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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Biennale Arte Venedig 2011 (7): Ayse Erkmen und ihr „Plan B“

Das, was man in der kapitalistischen Welt für ein sogenanntes Geschäftsmodell hält, sieht anders aus als der „Plan B“ von Ayse Erkmen: Die in Frankfurt am Main nicht nur aus der Zeit ihrer Professur an der Städelschule oder von ihrer Aktion „Shipping ships“ wohlbekannte Künstlerin pumpt Wasser aus einem der Kanäle Venedigs, reinigt es in einer zu riesigen Dimensionen erweiterten Wasseraufbereitungsanlage und führt es anschliessend wieder in das brackige Nass, dem Venedig Weltruhm wie Touristenströme verdankt, zurück, anstatt es dem in sommerlicher Hitze dürstenden Publikum zu verkaufen. Ort des Geschehens ist eine der Hallen der Arsenale. Erkmen vertritt mit ihrer skulpturalen Grossinstallation das Land Türkei auf der diesjährigen Biennale.

Ayse Erkmen wird die von ihr gemietete, liebevoll in den Farben Violett, Pinkrot, Grün und Türkis lackierte Anlage nach Beendigung der Biennale dem Eigentümer zurückgeben.

Apropos Farben: In einem Interwiew mit Brigitte Werneburg äusserte sich die Künstlerin zur Symbolik der Farben: Das zunächst noch schmutzige Salzwasser läuft durch die violetten Rohre, nach einer ersten Reinigung durch die roten, nach weiterer Filtrierung – es ist nun bereits zum Duschen und Waschen geeignet – durch die grünen; in Trinkwasserqualität fliesst es in den türkis lackierten.

Plan B, 2011, Installation (Ausstellungs- und Detailansichten), Water purification units with extended pipes and cables

Wasser und Venedig: das gehört zusammen. Ohnehin beschäftigte sich die in Istanbul, der Stadt am Wasser geborene Künstlerin des öfteren mit dem nassen Element. Aber die wunderbare Arbeit von Ayse Erkmen öffnet in ihren ästhetischen wie gesellschaftskritischen Dimensionen einen viel weiteren Assoziationsraum: Wir denken an lebensspendende Kreisläufe wie denen des Blutes oder des Wassers im Wechsel von Niederschlag und Verdunstung; wir denken an segens- und weniger segensreiche Zirkulationen wie den Fluss des Geldes im Kleinen wie in den globalen, unkontrolliert ablaufenden Finanzströmen. Wir denken an Gemein- und Eigennutz, an Geben und Nehmen, an Bemühen und Vergeblichkeit, wenn die Künstlerin das vergleichbar Wenige an sorgsam aufbereitetem Wasser wieder in die verschmutzt-salzige Lagune zurückführt. Ein anrührender wie Hilflosigkeit aufzeigender Versuch auch, die Lebensgrundlagen dieser Welt zu verbessern, zumindest zu erhalten, für die Nachwelt zu retten?

So schön kann Technik sein, zumal in Räumen, wie sie die einzigartigen mittelalterlichen venezianischen Arsenale bieten: Maschinen und Leitungen als Skulpturen unserer Zeit, in ihrer skulpturalen Ästhetik auch als ein Zeichen der Versöhnung von Technik und Kultur. Der Betrachter als Zeuge eines sinnvollen produktiven Prozesses, der Aufbereitung von Brack- zu Trinkwasser. Im Anschluss an die Biennale und nach ihrem Rückbau wird die Anlage dort wieder eingesetzt, wo sie benötigt wird: etwa in Überschwemmungs- oder anderen Katastrophengebieten.

Ayse Erkmen, 1949 in Istanbul geboren, studierte an der dortigen Staatlichen Kunstakademie Bildhauerei. Über den Deutschen Akademischen Austauschdienst kam sie zunächst nach Berlin. Sie arbeitete als Gastdozentin an der Gesamthochschule Kassel und hatte über lange Jahre eine Gastprofessur an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste, der Städelschule inne. Heute ist Ayse Erkmen Professorin für Bildhauerei an der Kunstakademie Münster. Ihr künstlerisches Wirken erstreckt sich dabei auch auf Installationen und Interventionen.

(Installation © Ayse Erkmen; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

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