Club statt Galerie: Jennifer Gelardo und Jördis Hille im 1822-Forum
Das 1822-Forum wird zum Club „Black Dice“ – jedenfalls zur Vernissage und an den kommenden Freitagen. Forum-„Hausherr“ Max Pauer im schwarzen Zweiteiler mit Krawatte macht keinen Hehl daraus, dass es ihm ernst damit ist, und erteilt seine Anweisungen. Und mit dem korrekt frisierten Türsteher (pardon Doorman) sollte man besser keinen Streit beginnen. Auch die Dame vom Protokoll mit den Listen der Clubmitglieder und Angemeldeten scheint sich nicht unbedingt auf’s Scherzen bei der Frage zu verstehen, wer hinein darf und wer nicht.
Ungewöhnliches erwartet den Besucher ebenso im – ehemaligen – Forum, heute also im „Black Dice“: ein veritabler „White Cube“, jedoch mit jeweils einem mit schwarzem Tuch verhängten Ein- und Ausgang. Betritt man den Würfel, befindet man sich ebenfalls im Schwarzen. Ein zum Niedersetzen einladender Würfel oszilliert in flimmerndem Disco-Licht, und Disco-Atmosphäre vermittelt die mit Hunderten kleiner quadratischer Spiegelgläser verkleidete Stirnwand. Über zwei Lautsprecher werden akustische Kompositionen und klangliche Elemente verbreitet, während der Vernissage ein bass-voluminöses rhythmisches Dröhnen, den gesamten Aufbau samt den Brustkorb des Betrachters in Schwingungen versetzend, an einen schweren Schiffsdiesel erinnernd. Auch die schwankenden Lichtprojektionen vermitteln demjenigen, der auf dem Würfelhocker Platz nimmt, den Eindruck einer Schiffsreise.
Eine Reise wohin? Er schreckt vor nichts zurück, der Autor: hier im schonungslosen Selbstversuch mit Kamera. Und auch die Dame blickt mit einigem Erstaunen auf ihr Spiegelbild. An der Bar – auch sie besteht aus Würfeln, wiederum in Schwarz und Weiss – gibt es durchaus discogemässe Getränke, Wein vermissen wir.
Die beiden in Frankfurt am Main lebenden Künstlerinnen Jennifer Gelardo und Jördis Hille alias Blanche Dado und Cherni Hub haben nicht nur den Ausstellungsraum gestaltet, sondern fungieren als Cultural Manager und Betreiberinnen des Clubs, Max Pauer muss sich mit der Rolle eines Doorman zufriedengeben, und HfG-Professor Heiner Blum, im grauen Arbeitskittel mit den passenden Attributen Leiter, Hammer, Zollstock und Bierflasche versehen, gibt (allerdings nur zur Vernissage) den die Ausstellung eröffnenden Club-Hausmeister/Caretaker. Dann gilt es noch eine Reihe von Barkeepern/Bartenders sowie einen Stab an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Aufbau und Betrieb der Installation zu erwähnen. An den kommenden Freitagen nämlich veranstaltet das Künstlerinnen-Duo verschiedene musikalische Performances und Events.
Das intermediale Ausstellungskonzept vereint in dem zum Erlebnisraum transformierten Forum eine Vielzahl einzelner Elemente aus den Bereichen Fotografie, Skulptur, Installation, Musik und Performance zu einer künstlerischen Symbiose. Will es einen Bogen schlagen zwischen jugendlicher Disco- und Club-Kultur und einer Welt der Kunst, was immer heute unter einer solchen Welt verstanden werden kann? Es mag zugleich durchaus einiges an Kritik mitschwingen an einem Kunstbetrieb, dem oft das Event wichtiger zu sein scheint als der Inhalt. Und schliesslich setzen sich die Künstlerinnen, erfrischend persiflatorisch, mit dem in den Fachschaften ebenso knochentrocken wie heftig diskutierten, heute zumeist längst wieder ins „Out“ abgeschobenen Ausstellungskonzept „White Cube“ auseinander. Eine nette Gaukelei: bei ihnen ist der Cube, wie wir wissen, im Inneren schwarz.
Schwarz und weiss die Würfel für das grosse Würfelspiel des Lebens? Den zwei kleinen Glücks- wie Pechbringern kommt in der Installation eine wichtige Bedeutung zu: den bei gleichzeitigem Wurf möglichen zwölf verschiedenen Augenzahlen entspricht der Verhaltenskodex des Clubs – sorgsam in Gold gerahmt hängen die zwölf Regeln in der Raummitte aus. Man wird sich mit ihnen auseinanderzusetzen haben, ob man will oder nicht. Und auch die dem Katalog beigefügte Musik-CD enthält zwölf Titel, ein jeder wird der entsprechenden Regel zugeordnet sein.
Apropos Katalog: auch er ein überraschendes – und mit Augenzwinkern überreichtes – Element des konzeptionellen Gesamtkunstwerks, ein hübscher Faltkarton, ein jeglicher kann den „White Cube“ (der keiner ist) in den heimischen vier Wänden aufstellen.
Ausstellungseröffnung mit Max Pauer, Jennifer Gelardo, Jördis Hille und Professor Heiner Blum
Jennifer Gelardo, 1985 im kalifornischen Loma Linda geboren, studiert experimentelle Raumkonzepte und Bühnenbild an der Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach. In Frankfurt ist die Künstlerin unter anderem durch das Projekt „xqm“ der Evangelischen Stadtakademie bekannt geworden.
Jördis Hille wurde 1982 in Stralsund geboren. Sie studiert Kulturanthropologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Sie arbeitet als Autodidaktin an freien, oftmals intermedialen Projekten wie beispielsweise dem von der SCHIRN Kunsthalle veranstalteten „Playing the City“.
Die Ausstellung im bekannten 1822-Forum läuft bis zum 5. November 2011 mit wie folgt geänderten Öffnungszeiten: Mittwoch und Donnerstag von 14 bis 18 Uhr, Freitag von 14 bis 22 Uhr und Samstag von 13 bis 16 Uhr; Sonntag, Montag und Dienstag geschlossen. Und es sei daran erinnert: Die Freitage sollte man nicht versäumen.
Plakat zur Ausstellung (Detail)
Installation „Black Dice“ © Jennifer Gelardo und Jördis Hille; Musik (mit freundlicher Genehmigung) © Tobias Fischer, Interpret „Lunchforyou“; Fotos: FeuilletonFrankfurt