20 JAHRE MUSEUM FÜR MODERNE KUNST FRANKFURT AM MAIN (6)
Andreas Slominski, Fallensteller
„Zitronenpresse“, 1995, Herrenrad, halbierte und ausgepresste Zitronen, Masse variabel, Fahrrad 115 x 170 x 55 cm, © Andreas Slominski
Ob sich die Fahrradindustrie über die Objekte von Andreas Slominski wirklich freut, wissen wir nicht so recht, veranstaltet der Künstler mit den Zweirädern doch allerlei Unerwartetes oder gar Unerhörtes. Wir kennen seine mit Plastiktüten voller erbärmlicher Habseligkeiten behangenen Fahrräder, wie wir sie tagtäglich in der Realität der Obdachlosigkeit in Frankfurt antreffen. Aber er stellt auch eines dieser Fahrzeuge als „Zitronenpresse“ aus. Es scheint ein ganz gewöhnliches Herrenrad zu sein, sogar ordentlich mit Lichtanlage und Klingel versehen, kein Polizist könnte Anstoss an ihm nehmen.
Nur fahren kann man nicht mit ihm. Jedenfalls solange der Sattel steil nach oben fixiert ist; das könnte man ja noch ändern. Aber: man kann vor allem deshalb nicht mit ihm fahren, weil es im Frankfurter Museum für Moderne Kunst steht, genauer gesagt in der grossen Jubiläumsausstellung im Main Tor-Areal, man trifft es dort in der 6. Ebene an. Es ist ein handelsübliches „Fahrrad“ und doch ist es wiederum keines, sondern ein Kunstwerk. Wer oder was nun macht ein Fahrrad zum Kunstwerk? Der Künstler; das Kunstmuseum, welches das „Fahrrad“ in seinem Kontext als Kunstwerk erkennt und affirmiert; der Betrachter, der es als ein Kunstwerk ebenfalls anerkennt und versteht.
Slominski konterkariert in seinen Arbeiten die Erwartungshaltung, die Wahrnehmungsgewohnheiten des Betrachters: Natürlich kann man mit einem Fahrrad nicht nur fahren, sondern halbierte Zitronen auspressen, wenn man über sie rollt, wieso denn nicht? Das erscheint uns Zivilisierten zwar unvernünftig und abstrus. Und die Zitronensaftschmiere auf dem Museumsboden sieht wahrhaftig nicht besonders schön aus. Doch werden wir, und das sollen wir durchaus, nachdenklich: Was kann man mit den uns – angeblich so vertrauten – Alltagsgegenständen tun – jenseits aller als „selbstverständlich“ tradierten Zweckbestimmungen? Und welche Konsequenzen haben solche Erkenntnisse für unser Wahrnehmungsverhalten? Dies will Slominski fragen und hinterfragen.
Und wenn wir uns ärgern über solch eine „Kunst“ (und damit im Grunde genommen ja über uns selbst), so sind wir bereits in die Slominski-Falle getappt!
„Vogelreusen“ (aus der Serie „Fallen“), 1998, Weidengeflecht, Vogelfutter, je 85 x 139 cm, © Andreas Slominski
Ach ja, der Künstler ist ja als „Fallensteller“ berühmt. Hier sehen wir zum Beispiel eine Vogelfalle: Vogel sieht Vogelfutter, fliegt gierig durchs kleine Loch hinein, frisst sich dumm und dusselig, findet nicht mehr heraus. Aber mal im Ernst: Kennt man das nicht irgendwie? Vielleicht bereits aus der die Welt und alle Politik beherrschenden Finanzwirtschaft: hohe Renditen kassieren wollen, sich in obskure Transaktionen einlassen, mitgegangen – mitgefangen – mitgehangen, das Geld ist weg, im Besitz der anderen, der cleverer bis krimineller Spekulierenden, man selbst also in der Falle?
Honi soit, qui mal y pense, pflegen wir da immer mal wieder zu sagen.
Das MMK widmete Andreas Slominski 2006/2007 eine grosse Ausstellung (und stellte im Sommer vergangenen Jahres in der Reihe „Double“ seine Arbeit „Fallen-Hochsprunganlage – Berg Sportgeräte“ aus). Es besitzt, wenn wir richtig gelesen haben, über 40 Werke dieses so überaus bedeutenden zeitgenössischen Künstlers, insbesondere eine Reihe von Arbeiten aus der Serie „Fallen“, darunter je eine Fuchs-, Hamster-, Iltis- und Schildkrötenfalle sowie zwei Elritzenfallen. Uff, mal rasch googeln, Elritze … hätten wir es Ihnen nicht gleich sagen können, ein Fisch natürlich, Süsswasserfisch. Schon wieder in die Slominski-Falle getappt? Oder sind wir, wenn wir vor den beiden Vogelreusen stehen, nicht doch ein wenig nachdenklicher und kritischer geworden im Umgang mit unseren eigenen Sehgewohnheiten?
„Man kommt in einer Welt an, in der alles auf dem Kopf steht, in der alle Erwartungen ins Gegenteil verkehrt werden, in der Komödie schnell zur Tragödie wird und umgekehrt, wo an jeder Ecke Fallen lauern, jederzeit bereit, den Betrachter zu übertölpeln, zu peinigen oder auch zu erfreuen“ schreibt die bekannte Kuratorin Nancy Spector.
Der 1959 in Meppen geborene Künstler studierte zunächst Philosophie und anschliessend Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Nach einer Professur in Karlsruhe lehrt er an der besagten Hamburger Hochschule. Slominski lebt und arbeitet in Hamburg und im brandenburgischen Werder.
(Fotos der Ausstellungsansichten: FeuilletonFrankfurt)