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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Brief vom Amt

Eine bissige Betrachtung

von Hans-Burkhardt Steck
Rechtsanwalt – Dipl.-Soziologe

Die Amts- und Gerichtssprache ist deutsch. Die geht ungefähr so:

Die Klage gegen den Landkreis Kummersdorf als untere Bauaufsichtsbehörde – Beklagter zu 1) -, mit der der Kläger begehrt festzustellen, dass den Nachbarn, Gewerbeoberlehrerin Greta Gründlich, Frau Bergassessor Bollmann und Herrn Berengar Bläulich – Beklagte zu 3) bis 5) -, die Baugenehmigungen vom 13. März 1976 und vom 28. Mai 1977 zur Errichtung und Änderung eines Wohngebäudes auf dem Grundstück Am Geierberglein 8 (Flurstück 18) in Grantlerschwaige im Schnakinger Moos illegal erteilt worden seien, kann keinen Erfolg haben.

Was ist los?

Quatschsätze erfinden kann jeder.

Nur ist das ein völlig ernstgemeinter, durch und durch typischer Satz. Stammt von einem deutschen Verwaltungsgericht. Nicht etwa aus Gemeinheit, sondern zufällig ausgewählt worden. Nur die Namen sind eine Spende. Natürlich von unser aller Dr. Erika Fuchs.

Was möchte uns das Verwaltungsgericht nahebringen? Ganz einfach:

Erfolg         (Subjekt des Satzes)
kann           (Prädikat Teil 1)
die Klage    (Objekt)
nicht          (Negation)
haben.       (Prädikat Teil 2)

Diese Aussage als solche wäre natürlich viel zu leicht verständlich. Da muss was geschehen!  Die überfrachten wir mit Zusatzinformatioanen, deren Notwendigkeit sich nicht unbedingt erschliesst. Nach dieser Kur sieht der Satz doch viel schöner aus:

Die Klage (Objekt des Satzes)
gegen den Landkreis Kummersdorf (Benennung des Gegners, obwohl dieser wenige Zentimeter drüber schon zu lesen war, wie alle anderen Angaben auch)
als untere Bauaufsichtsbehörde (Bezeichnung, in welcher Funktion der Gegner am Verfahren teilnimmt – an dieser Stelle nicht wirklich notwendig, aber eine hübsche Arabeske)
Beklagter zu 1) (Bezeichnung der Verfahrensrolle, steht auch weiter oben schon mal)
mit der der Kläger begehrt festzustellen (worauf sich das „mit der“ bezieht, kann nur verstehen, wer in solchen Sätzen geübt ist. Grammatisch könnte es sich auf die untere Bauaufsichtsbehörde, die Beklagte zu 1 oder auch die Klage beziehen)
dass den Nachbarn (Beginn der Erklärung, worum es in der Klage geht, an dieser Stelle reichlich überflüssig)
Gewerbeoberlehrerin Greta Gründlich, Frau Bergassessor Bollmann und Herrn Berengar Bläulich (namentliche Aufzählung der Nachbarn, stehen wenige Zeilen weiter oben schon mal)
Beklagte zu 3) bis 5) – (Bezeichnung der Verfahrensrolle der Nachbarn, auch nicht neu)
die Baugenehmigungen vom 13. März 1976 und vom 28. Mai 1977 (Bezeichnung des allen Beteiligten bekannten und aus der weiteren Begründung unzweifelhaft hervorgehenden Gegenstands des Verfahrens, an dieser Stelle kein bisschen notwendig)
zur Errichtung und Änderung eines Wohngebäudes (weitere Präzisierung der verfahrensgegenständlichen Baugenehmigung – wozu eigentlich an dieser Stelle?)
auf dem Grundstück Am Geierberglein 8 (nähere Bezeichnung des Grundstücks, auf das sich die Baugenehmigung bezieht – wozu?)
Flurstück 18 (noch genauere Bezeichnung des Grundstücks, Notwendigkeit nicht erkennbar)
in Grantlerschwaige im Schnakinger Moos (Angabe des Ortes, der natürlich auch schon vorkam)
illegal erteilt worden seien, (Kern des Vorwurfs)
kann (Prädikat Teil 1)
keinen (Negation)
Erfolg (Objekt des Satzes)
haben. (Prädikat Teil 2)

Toll. Wer soll das kapieren? Jedenfalls keiner, der nicht darauf trainiert ist. Bei dieser wunderbar poetischen Abart der deutschen Sprache bevölkern zahlreiche Begriffe den Satz, deren Bedeutung und Funktion nicht sofort klar sind. Denn fast alle Worte haben schliesslich mehrere Bedeutungen. So einen herrlichen Satz zu analysieren und zu verstehen ist teufelsschwierig, vor allem weil die jeweils aktuelle Bedeutung der einzelnen Begriffe erst klar wird, wenn der Satz bereits verstanden ist, und zwar richtig. Das richtige Verstehen wiederum ist nur möglich, wenn die Begriffe richtig eingeordnet und verstanden werden. Ein wahrer Teufelskreis.

Ob da ein Wörterbuch hilft? „Google Translate“ zeigt für fast jeden der wesentlichen Begriffe dieses Satzes mehrere Bedeutungen. Deutsch.

Englisch sieht das so aus:

1. Klage 12 Bedeutungen,
2. untere 4,
3. Beklagter 1,
4. Kläger 5,
5. begehrt 5,
6. feststellen 16,
7. Errichtung  5,
8. Änderung 7,
9. illegal 3 und schliesslich
10. Erfolg 9 Bedeutungen.

Daraus ergeben sich schlappe 18.144.000 Kombinationsmöglichkeiten, das Produkt der angebotenen Bedeutungen. Das Beispiel macht deutlich, wie komplex solche Sätze sind und welche Aufgabe sie einem nicht restlos mit der Materie vertrauten Leser stellen. Der Leser kann der Bedeutung der Worte und des Satzes nur auf die Schliche kommen, wenn er sich der jeweils richtigen, nämlich der gemeinten Bedeutung der mehrdeutigen Vokabeln auf dem Wege des Sinnzusammenhangs nähert. Nur setzt die Auswahl der richtigen Wortbedeutung eben voraus, dass Sinn und Zweck des Satzes bereits verstanden sind. Schomma gesagt? Macht nix.

Wackere Menschen tun das als Zahlenspiel und theoretische Erwägungen ab und seufzen bloss: „Übersetzungsprogramme, na ja …“. Trotzdem: Man sollte mal versuchen, das dolle Deutsch der Gesetze, Beschlüsse, Urteile, Verfügungen oder behördlichen Schreiben mit einem anerkannten Standard-Übersetzungsprogramm in eine Sprache, die man selbst beherrscht, auf ihre Verständlichkeit hin zu überprüfen. Das Programm als Prüfstein der Verständlichkeit – das wäre doch mal was! Sätze, die das Programm auf heutigem Stand der Technik falsch übersetzt, dürfte auch ein Nichtprofi nicht richtig verstehen. Nur bei Sätzen, deren Sinn auch in der Rückübersetzung erhalten bleibt, wollen wir mal glauben, dass sie auch von ausländischen Mitbürgern und von weniger Gebildeten verstanden werden.

Schlussfolgerung: Ein Deutsch, das auf der Basis von Grundkenntnissen der deutschen Sprache mit Hilfe eines Wörterbuchs oder mit einem Übersetzungsprogramm nicht richtig übersetzt werden kann, taugt natürlich auch nicht dazu, ernsthafte Informationen an den betroffenen Personenkreis zu vermitteln. Kein Wunder, wenn bei so einer Korrespondenz nichts, jedenfalls nichts Gutes, rauskommt.

Auf diesen Prüfstand gestellt, erlebt die zitierte Passage folgendes Schicksal:

The lawsuit against the district of Kummersdorf as lower Supervision Authority – Respondent to 1) -, with the desire of the plaintiffs noted that the neighbors, Mrs. Greta Gründlich, Frau Bergassessor Bollmann and Mr. Berengar Bläulich – defendant to three) to 5) – which permits the 13th of March 1976 and of 28th of May 1977 on the establishment and modification of a residential building on the property Am Geierberglein 8 (Flurstück 18)  in Grantlerschwaige im Schnakinger Moos were issued illegally, can not succeed.

Lässt man sie zurückübersetzen, dann ergibt sich folgendes:

Der Prozess gegen den Landkreis Kummersdorf als untere Supervision Authority – Beklagter zu 1) – mit dem Wunsch der Kläger darauf hingewiesen, dass die Nachbarn, Frau Greta Gründlich, Frau Bergassessor Bollmann und Herr Berengar Bläulich – Beklagte zu drei) bis 5) – die ermöglicht den 14. Januar 1993 und 24. Februar 1997 über die Errichtung und Umbau eines Wohnhauses auf dem Grundstück Am Geierberglein 8 (Flurstück 18) in Grantlerschwaige im Schnakinger Moos illegal ausgestellt wurden, nicht gelingen kann.

Die These, dass der betroffene Personenkreis einen solchen Text wie den eingangs zitierten jedenfalls nicht besser versteht, erscheint nicht sehr gewagt. Eine weitere Probe zeigt den Unterschied zwischen verständlichem und unverständlichem Deutsch. Was das Verwaltungsgericht sagen wollte, lässt sich auch anders ausdrücken:

Ursprungssatz  –  Übersetzung durch
Google-Translate –  Rückübersetzung durch Google-Translate:

Es geht um ein Grundstück in Grantlerschwaige im Schnakinger Moos. It’s about a plot in Grantlerschwaige im Schnakinger Moos. Es geht um ein Grundstück in Grantlerschwaige im Schnakinger Moos.

Der Beklagte baute dort ein Haus. The defendant built a house there. Der Beklagte baute dort ein Haus.

Der Landkreis Kummersdorf erteilte die Baugenehmigung. The district of Kummersdorf issued the building permit. Der Landkreis Kummersdorf hat die Baugenehmigung erteilt.

Der Kläger meint, daß die Baugenehmigung illegal war. The plaintiff says that the building permit was illegal. Der Kläger meint, dass die Baugenehmigung rechtswidrig war.

Das Gericht soll feststellen, dass die Baugenehmigung illegal ist. The court should determine that the building permit is illegal. Das Gericht sollte feststellen, dass die Baugenehmigung rechtswidrig ist.

Er hat deshalb die Nachbarn und den Landkreis Kummersdorf verklagt. He has, therefore, the neighbors and the county sued Kummersdorf. Er hat deshalb verklagt die Nachbarn und die Grafschaft Kummersdorf.

Die Klage hat aber keine Aussicht auf Erfolg. The lawsuit has no chance of success. Die Klage hat keine Aussicht auf Erfolg.

Deshalb erhält der Kläger keine Prozesskostenhilfe. Therefore, the plaintiff receives no legal aid. Daher erhält der Kläger keine Prozesskostenhilfe.

Ein Wunder! Es geht also doch! Man kann auch gerichtliche und behördliche Schreiben allgemeinverständlich formulieren. Wer hätte das gedacht! Dagegen ist die wunderschöne Sprache, mit der hierzulande der Bürger traktiert wird, leider zur Vermittlung von Informationen nur noch innerhalb der jeweiligen Fachkreise geeignet. Es ist ganz und gar kein Zufall, dass die Verbreitung dieser hoch elaborierten, künstlichen Fachsprachen parallel mit dem ungeheuren Erfolg der einfachen und eindeutigen Sprache von Bild („Aussiedler gefasst – zwei Kilo Atom im Kofferraum“ oder „Wir sind Papst“) und des beliebten Reality-TV geht. Was bei „Bauer sucht Frau“ gesprochen wird, ist tatsächlich für jeden verständlich, der die deutsche Sprache einigermassen beherrscht. Schon bei der Tagesschau werden laufend Vokabeln verwandt, die nicht zum Grundwortschatz gehören und die die Verständlichkeit für weniger Gebildete empfindlich beeinträchtigen.

Also, lieber Amtssprachler: Google hin, Translate her – fünf Sekunden, und Du weisst: Dieses mein neues Gesetz versteht nun wirklich jeder. Oder auch nicht.

 

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