home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ausrastern!

Ausrastern!
Ein Skulpturenprojekt der Kunsthochschule Mainz auf dem Jockel-Fuchs-Platz

Text und Fotografien: Vera Mohr

Das Bild wird sich festsetzen und nur schwer aus dem Gedächtnis zu löschen sein: Aktenordner im Sonnenschutzgitter des Mainzer Rathauses. Es bedarf noch nicht einmal der skurrilen Rückenschilder, die den Behördenalltag auf die Schippe nehmen. Die farbigen Kleckse auf der Fassade dominieren den in blassem Grau dahindämmernden Jockel-Fuchs-Platz und ziehen ihn aus der Belanglosigkeit, in der er zu versinken droht.

Maria Brinkmann, Ad acta


Längst vorbei scheinen die Zeiten, wo der Namensgeber des Rathausplatzes und bekannteste Oberbürgermeister der Republik selbstbewusst den Stararchitekten Arne Jacobsen beauftragte, der Fassenachtsstadt ein markantes Rathaus zu bauen. Denn der Stolz der Bürger verkümmert heute in Abfallhaufen, die sich dort bilden, wo einst Aufstieg angesagt war. Eine Rolltreppe, die schon lange nicht mehr funktioniert, vereinfachte in früheren Jahren jedem Bürger den beschwerlichen Zugang zu den über der Rheinstraße residierenden Stadtoberen und dem neu errichteten Einkaufszentrum. Die junge Künstlerin Judith Walz montierte ihr U-Bahnschild „Bürgerstolz“ an dem verslumten Abgang.

Judith Walz, BÜRGERSTOLZ

Die Bildhauerklasse der Professorin Sabine Groß an der Kunsthochschule Mainz nutzt für einige Wochen den Rathausplatz als Ausstellungsraum und thematisiert die Fläche zwischen Anspruch und Realität. Unter dem Titel „Ausrastern!“ zeigen zwölf Kunststudentinnen und -studenten ihre Arbeiten, sie nehmen Bezug auf „Repräsentation und Natur“ des herausgehobenen Ortes und stellen ihn infrage.

Sabine Groß, links im Bild, Studentinnen, Ausstellungseröffnung


Eine viel zu seltene Gelegenheit, wie von Kunstinteressierten immer wieder in Mainz kritisiert wird. Denn die Stadt sollte sich nicht nur am eingefahrenen Image von „Worscht, Weck und Woi“ abarbeiten, sondern sich verstärkt jungen Strömungen öffnen und aktuellen Künstlern eine Chance geben, sich zu präsentieren; dann findet sich auch das Publikum.

Einladend breitet Daria Buglay den roten Teppich aus und lädt ein, sich wichtig zu fühlen, mal Promi zu spielen im Schatten des Mainzer Machtzentrums mit Blick über den Rhein. Doch Vorsicht ist angesagt, denn leicht kann der erhöhte Standpunkt, wie bei Suleika Schäfer, zu Fall kommen.

Suleika Schäfer, Der Ausguck


Auch die Spatzen und Tauben, die Hauptbewohner des Platzes, werden kommen und nach Krumen suchen. Letztere haben es Johanna Bodis besonders angetan, und so hat sie ihnen einen eigenen Imbissstand gebaut. Oder verbirgt sich dahinter eher ein geniales Geschäftsmodell? Fangprämien für die ungeliebten Vögel kassieren und gestressten Stadtmitarbeitern die sprichwörtlich gebratenen Tauben zu servieren?


Johanna Bodis, TAUBENIMBISS

Wer nach Antworten sucht, sollte sich die gelbe „Bräutigamseiche“, von Ann-Kathrin Hannappel im Laubengang näher ansehen, denn sie bietet das sagenumwobene Astloch, das ehemals heimlich Verliebte benutzten, um Botschaften auszutauschen. Allerdings bleibt in Zeiten von Wikileaks nichts geheim, und so kann jeder mitmachen, Informationen hinterlegen, an wen auch immer, oder lesen, was andere geschrieben haben.


Ann-Kathrin Hannappel, Die Bräutigamseiche

Bis Ende August haben die Mainzer Zeit, sich dem Selbstverständnis der Stadt auf ungewöhnliche Art zu nähern und auch die eigenen Vorstellungen zu hinterfragen, denn dann werden die Werke der Kunststudierenden wieder abgebaut. Ob der blaue Mopp dabei eine wichtige Rolle spielen soll und schon mal fürs Reinemachen bereit gelegt wurde?


Selina Ruffing, MOPP

Ausrastern! Jockel-Fuchs-Platz, 55116 Mainz, noch bis 31. August 2011

Comments are closed.