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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Reisen: Myanmar / 7

Eine Reise durch Myanmar / 7

(Schluss)

Text und Fotos: © Ingrid Malhotra

Diese friedliche, faule Fahrt war so genussvoll. Ich lag und döste, trank gelegentlich einen Schluck Bier oder Wasser oder ass eine Banane, an mir vorbei glitten schilfbewachsene Ufer, Hütten, die über und über von Melonen-, Gurken- und Zucchiniranken bedeckt waren,Bauern, die am Ufer ihrer Arbeit nachgingen. Der Skipper sass vorne im Boot und schaute ins Wasser. Die Schiffsjungen sassen hinten auf einer kleinen Empore und dösten oder kicherten. Einmal haben wir lange einem jagenden Adler zugeschaut, der zuerst einen kleinen weissen Vogel fangen wollte,  sich dann aber doch mit einem Fisch zufrieden gab. Es wurde Abend, es dämmerte, die Sonne ging unter.Als wir in Mrauk U ankamen, war es stockfinster, und da ich nichts sehen konnte, ging ich davon aus, dass man mir am nächsten Tag die eine oder andere Pagode und Ausgrabungsstätte zeigen würde.

Das Hotel lag sehr idyllisch, die Mädels, die dort arbeiteten, waren sehr aufmerksam, aber man hatte schon merkwürdige Ansichten über die Bedürfnisse eines Touristen. Vor allem im Bad. Der Spiegel hing so hoch, dass nur ein Riese sich darin hätte sehen können, die Lampe war am anderen Ende des Bades. Die Tür und das Fenster konnte man nicht so richtig blickdicht kriegen, aber was soll’s. Es war sauber, das Essen schmeckte einigermassen, ich war müde und glücklich und schlief wie ein Stein.

Am nächsten Morgen ging es dann mit einem Jeep weiter, der aussah, als ob er schon weitgehend ausgeschlachtet wäre.

Jeep mit Kind

Ja, und dann kamen wir zum Grund meines Besuches hier. Die ersten Monumente wirken ja noch gar nicht so überraschend …

Eigentlich bereite ich meine Reisen ja immer recht gründlich vor, lese und informiere mich schon bei der Planung. Aber in Bezug auf Mrauk U war ich wohl etwas nachlässig. Ich wusste wohl, dass es auch einmal eine Hauptstadt war, des Rakhine-Reiches, von dem ich vor meiner Burmareise nie etwas gehört hatte, allerdings nur für ca. 355 Jahre, bis Sittwe diese Rolle im Jahr 1785 übernahm. Und ich wusste auch, dass hier wichtige Ausgrabungen gemacht werden. Aber ich hatte absolut keine Vorstellung von der überaus eigenartigen und mächtigen Architektur der Anlagen und dem Zauber der umgebenden Landschaft.

Andererseits war das vielleicht sogar besser so, die Wirkung war sicher stärker, als wenn ich genau gewusst hätte, was mich erwartet …

Fremdartig

Diese Bauten sind so völlig anders als alles, was ich je zuvor gesehen hatte. Meist buddhistisch, aber es gibt auch eine Moschee. Und die Stadt war gross. Zu ihrer besten Zeit soll sie 120.000 Einwohner gehabt haben. Von den Palästen und Wohnhäusern sind nur noch Ruinen oder Grundmauern übrig.Aber von den Tempeln sind noch viele hervorragend erhalten. Die Stupas und Chorten sind über alle Massen wuchtig.

Aus einer gewissen Entfernung sieht es aus, als ob hier Unmengen umgestülpter Kirchenglocken in allen Grössen herumstünden, aber alles ist gemauert, und die Ziegel sind mittlerweile schwarz verwittert. Und gelegentlich ist inmitten der alten Anlagen ein neuer Tempel entstanden

Alt und neu

Und durch und um und in und unter den Anlagen wandert man durch endlos lange Gänge, in denen nicht nur Buddhafiguren Wache halten,

Aussen- und Innengang

sondern auch Wächterfiguren und Fabelwesen, die noch aus uralten Vorstellungswelten stammen.

Wachhund

Manchmal fühlt man sich durch die schiere Wucht und Grösse der Bauten und ihre drohende Düsternis regelrecht eingeschüchtert,

dann wieder steht da plötzlich eine Fabelfigur, die vor diesen Monumentalbauten geradezu frivol wirkt,

Fabelwesen, wohl Garuda mit Reiter

oder eine Gruppe kleiner Mönchseleven bewundert neugierig die Kamera.

Mönchseleven

Mir fehlen eigentlich die Worte, um das Gesehene zu beschreiben – es ist zu fremdartig. Lassen wir die Bilder sprechen und gehen dann weiter zum Markt, den es natürlich auch hier gibt. Aber manches von dem, was hier angeboten wird, erscheint mir ebenso fremdartig wie die Tempelanlagen.

Keine Ahnung, was das ist

Auf einem Aussichtshügel habe ich dann noch ein kleines Mädchen fotografiert, das sich so gar nicht entscheiden konnte, ob es fotografiert werden will oder nicht. Entsprechend unglücklich sieht es ja auch aus …

Am nächsten Tag geht es nach dem Frühstück wieder auf ein Boot, aber dieses Mal ist es ein kleines, mit einem langen Ruderstock am Heck, an dessen Ende ein kleiner Propeller hängt, der das Boot vorantreiben soll.

Meine beiden Jungs installieren mich unter dem Dach des Bootes, damit ich nicht wieder einen Sonnenbrand bekomme, und dann geht es los. Der Fluss ist extrem flach, der Ruderstock muss immer wieder hochgehoben und von Schlingpflanzen befreit werden.Oft ist das Wasser so flach, dass die beiden aussteigen und das Boot über eine geröllige Untiefe ziehen oder schieben.Ich würde gerne helfen, aber das erfüllt sie mit tiefem Entsetzen! Ich bin Tourist, geehrter Gast – ich muss verwöhnt werden. Also ergebe ich mich in mein Schicksal, sitze im Boot und schwitze, während die beiden fröhlich planschend das Boot durch’s kühle Wasser schieben.

Die Fahrt soll zu einem Dorf der Chin gehen, nahe der Grenze zu Indien oder Bangladesh, genau weiss ich es nicht. Die Strecke ist nicht lang, 70 oder 80 Kilometer, aber es geht langsam, wegen der vielen Wassernarzissen, die sich immer wieder um den Propeller wickeln.

Und dann ist plötzlich ganz Schluss, der Propeller schlägt gegen einen Stein und zerbricht. Zum Glück ist nicht weit voraus, am rechten Ufer, ein Dorf. Als wir anlegen, sind die Kinder des Dorfes völlig aus dem Häuschen.

Sehr lustig

So etwas ist wohl noch nie passiert. Während meine beiden Begleiter klären, ob der Dorfschmied den Propeller reparieren kann,oder ob jemand einen Ersatzpropeller hat, mache ich einen Spaziergang durch das Dorf. Das ist schliesslich eine einmalige Gelegenheit, echtes burmesisches Dorfleben kennenzulernen.

Die Kinder haben sich nach wenigen Minuten an meine Anwesenheit gewöhnt und kehren zurück zu ihrem Murmelspiel. Ich schaue mir die Hauptstrasse an: ein Schmied, ein kleiner Laden mit Dingen,

Dorfladen, Markt

die man nicht so gut selbst herstellen kann (er hat sogar eine Auslage!), ein kleiner Markt für die lokalen Produkte. Bei jedem Haus ein Hund, ein Schwein, eine Ziege. Es gibt sogar einen kleinen Laden mit Schmuck! Vor mir spaziert ein hochgewachsener buddhistischer Mönch in seiner dunkelroten Robe.Hinter den Häusern, über der Uferböschung liegen – als Grundstückserweiterung – Matten aus Palmen- oder Bananenblättern oder etwas Ähnlichem. Darauf wird getrocknet, darauf ruhen Tiere, darauf findet alles Mögliche statt, aber sehr zuverlässig wirken sie nicht.

Aber es geht bald weiter. Der Rest der Fahrt verläuft ohne Katastrophen. Entlang den Ufern wird Vieh getränkt, gefischt, Wäsche gewaschen, ich faulenze.

Fischer

Aber als wir dann beim Dorf der Chin ankommen, habe ich erst einmal nur einen Wunsch: ich möchte eine Runde schwimmen. Der Fluss ist hier ein wenig tiefer, das Wasser ist herrlich klar; ich frage also vorsichtshalber, ob es Krokodile oder Wasserschlangen gibt, und als man mir sagt, dass das Wasser hier völlig sicher ist, verschwinde ich hinter einer Holzwand (die Chin haben hier eine kleine Werft, auf der sie Schiffe bauen und ziehe mich um. Meine beiden Jungs sind zunächst sehr verlegen, auch das scheint etwas zu sein, was vorher noch nicht da war, aber dann werfen sie sich begeistert in ihre Badehosen, und wir veranstalten eine gewaltige Wasserschlacht.

Das alarmiert die Chin, die bald von ihrem Dorf herunterkommen und uns, als wir wieder „anständig“ sind, hinauf geleiten.

Eine absolute Idylle.

Die Holzhäuser stehen auf Stelzen. Oben wohnen die Menschen, unten alles andere: Schweine, Hunde, Hühner, Ziegen – was man halt so braucht.

Oben im Haus – unter dem Haus

Die Leute sind offensichtlich an Touristen gewöhnt, denn sie haben eine besondere Eigenschaft: Die Frauen tätowieren ihre Gesichter.

Tätowierung

Das finden sie schön. Oder eigentlich – das fanden sie schön. Die jungen Frauen sind nicht mehr dazu bereit, aber ein paar ältere zeigen noch stolz ihre Tätowierungen.

Die drei Schönsten

Sie sind überaus gastfreundlich, laden mich zum Essen ein und zum Tee. Das Essen wird gerade extra meinetwegen frisch zubereitet – da komme ich nicht daran vorbei, und es kann eigentlich auch nichts passieren – kochend heisse Gemüse auf Bananenblatt – was soll da schon passieren. Aber um den Tee muss ich mich herumschlängeln. Die Gläser sind kaum noch als Glas zu erkennen, so dick ist die Dreckschicht.

Dorfjunge

Aber irgendwie schaffe ich es, ihnen taktvoll zu erklären, dass ich immer nur Wasser trinke, und nur mit Sprudel! Und als ich eine kleine Spende für ihr geplantes Gemeindehaus gebe, ist die Freundschaft besiegelt.

Frisches Wasser wird geholt

Am späten Nachmittag geht es wieder zurück zum Hotel in Mrauk U. Flussabwärts brauchen wir Motor und Propeller nicht oft, und die Fahrt geht sehr viel schneller. Die Ufer bieten viel Abwechslung.

Zimmermädchen

Noch eine Nacht im Hotel, in dem wir mittlerweile alle gute Freunde geworden sind, und am nächsten Morgen wartet mein Skipper, um mich nach Sittwe zurück zu bringen.

Dieses Mal nehme ich meine Schienbeine besser in acht – und die Fahrt ist wieder traumhaft. Ich habe während dieser Fahrt beschlossen, einmal in Frankreich oder Holland eines von diesen Booten zu mieten und gemächlich durch die Flüsse und Kanäle zu schippern.

Leider habe ich es zuhause wieder vergessen, aber ich glaube, es gibt nichts Besseres für die Nerven …

Von Sittwe habe ich nicht viel erwartet. Alle Reiseführer waren sich einig: hier gibt es nichts.

Das Hotel schien dieses Vorurteil zu bestätigen. Es war mit Abstand das schlechteste in ganz Burma. Es war schmutzig und lieblos geführt. Alle anderen waren vielleicht nicht immer professionell geführt, aber die Leute gaben sich Mühe. In diesem Hotel nicht.

Aber mein abendlicher Bummel zum „Point“ hat sich dann doch gelohnt. Hier fliessen drei Flüsse in den Golf von Bengalen: der Kaledan, der Myu und der Lemyo. Und der Sonnenuntergang war äusserst spektakulär.

Beim Schlafengehen fragte ich mich, wie ich den nächsten Tag totschlagen sollte: der Flug würde erst nachmittags gehen, und was hier sehenswert war, hatte ich gesehen.

Nun, wie bereits gesagt, Burma ist immer für eine Überraschung gut.

Am nächsten Morgen weckte mich mein Führer ziemlich zeitig und meinte, er hätte etwas Besonderes, das er mir zeigen wolle, nachdem wir das bereits geplante Besichtigungsprogramm absolviert hätten. Deshalb müssten wir früher los. Was? Ja, ich würde schon sehen. Also schnell Zähne geputzt und angezogen, eine Tasse Kaffee hinunter gestürzt, eine Zigarette geraucht und ab ins Auto. In den Wohnstrassen zogen die Mönche in langen Reihen mit ihren Bettelschalen von Tür zu Tür. Wir fuhren zum Hafen, wo gerade die Fischerboote einliefen, dann zum Markt, wo Gemüse, Reis und seltsame getrocknete Fische angeboten wurden. Draussen standen lange Reihen von Zweirädern.In einem Laden in der Nähe wurden Repliken alter Rakhine-Kunstwerke angeboten, aber er war leider geschlossen.

Schade – geschlossen

Dann ging es noch zu einer kleinen Pagode,

in der eine in Burma sehr berühmte Buddhastatue steht. Nicht nur ist die Statue die eines Buddha, die gesamte Körperfläche besteht aus zahllosen kleinen Buddhareliefs.

Das war wirklich sehenswert, aber das war’s noch nicht. Das war alles noch Pflichtprogramm, aber jetzt kamen wir zu einem grossen abgegrenzten Gelände. Als erstes sah ich Ringkämpfe,dann grosse Pavillons, in denen hübsche Mädchen graziös Tänze aufführten.

Tanzende Mädchen

In den Pavillons hingen Bilder eines älteren Mönches, und das war die Lösung des Geheimnisses. Dieser Mönch war in der Nacht gestorben, und er wurde in Sittwe sehr verehrt, weil er viel Gutes bewirkt hatte. Also gab es eine grosse Feier zu seinen Ehren. Denn man trauerte nicht um ihn, sondern freute sich für ihn, dass er nun sicher ins Nirwana eingegangen war.

Die Mädchen hatten ihre hübschesten Kleider an und tanzten. Die jungen Männer fochten Ringkämpfe aus und einen enorm unterhaltsamen Wettstreit, in dem sie in Gruppen einen grossen hölzernen Rahmen hielten, auf den eine kleine Pagode montiert war. Damit mussten sie eine Art Tanz aufführen, und die Gruppe, die am längsten durchhielt, war Sieger. Glaube ich jedenfalls.

Wettbewerb

Kleine Jungen liefen durch die Menge und verkauften Eis. Am Rand des Feldes wurde gegrillt und gebraten, Bands spielten gegeneinander an. Neben mir bereitete sich ein weissgekleideter Mönch auf etwas vor, er stand auf, prüfte sein Aussehen, betete. Dann trat wieder der Wettstreit zwischen den jungen Männern in den Vordergrund, die gelegentlich der jeweils zuständigen Band mitteilten, welche anfeuernde Musik sie jetzt hören wollten.

Und dann tanzte der Mönch.

Er trug einen rosa Schirm, er war geschminkt, und er tanzte anmutig und graziös einen Dankestanz. Er hatte an diesem Morgen erfahren, was er mit Hilfe des verstorbenen Mönches erreicht hatte: dass seine vier besten Schüler ein Stipendium an der Universität erhalten hatten.

Es ist gut, dass ich danach abreisen musste, denn dieses Erlebnis war unmöglich zu toppen!

⇒  ⇒  ⇒  Reisen: Myanmar / 1

Links zu weiteren Reiseberichten von Ingrid Malhotra:

Bhutan – ein noch ziemlich unbekanntes Land

Unterwegs in China

Eine Reise ins Innere der Mongolei

Shanghai

Tiahuanaco

Xi’an – Chinas alte Hauptstadt


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