Biennale Arte Venedig 2011 (2): Jacopo Tintoretto und Maurizio Cattelan
Es ist ruhiger geworden um die diesjährige 54. Kunst-Biennale in Venedig. Die Printmedien, insbesondere die Fachmagazine, haben sich an ihr abgearbeitet ebenso wie Hörfunk und Fernsehen: Es ist also der rechte Zeitpunkt für FeuilletonFrankfurt, seinen Leserinnen und Lesern ein paar eigene Eindrücke zu vermitteln und diejenigen, die einen Besuch erst noch planen, neugierig zu machen.
„ILLUMInations“ lautet beziehungsreich der Titel der 54. Biennale Arte 2011 – von dem 1976 im japanischen Okinawa geborenen US-amerikanischen Künstler Josh Smith in seiner unverwechselbaren Schrift und in einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Ironie auf die Eingangsfassade des Biennale-Palastes in den Giardini Pubblici gepinselt. Diese Arbeit reisst uns nicht unbedingt vom Hocker.
Josh Smith, ILLUMI-NATIONS
Aber dann folgt, beim Betreten der Haupthalle, der Aufreger, und – obschon alles im Vorfeld landauf, landab bereits hinlänglich zu lesen war – ein Erstaunen und ungläubiges Augenreiben: Zum ersten Mal in der Geschichte der Biennale werden Werke eines alten Meisters präsentiert und noch dazu mit ihnen die weltweit renommierteste Schau kontemporärer Kunst quasi eingeleitet und eröffnet.
Es sind drei Werke des venezianischen Malers Jacopo Robusti, genannt Tintoretto (1518 bis 1594), Vater des venezianischen Malers Domenico Tintoretto (1560 bis 1635). Die grossformatigen Gemälde wurden für die Dauer der Biennale von der Gallerie dell‘ Accademia und der Abbazia di San Giorgio Maggiore zur Verfügung gestellt.
Trafugamento del corpo di San Marco (Die Bergung des Leichnams des Heiligen Markus), 1562 / 1566, Öl auf Leinwand, 397 x 315 cm, Gallerie dell‘ Accademia, Venedig
La creazione degli animali (Die Erschaffung der Tiere), 1550 / 1553, Öl auf Leinwand, 151 x 258 cm, Gallerie dell‘ Accademia, Venedig
Ultima Cena (Abendmahl), 1591 / 1594, Öl auf Leinwand, 365 x 568 cm, Abbazia di San Giorgio Maggiore, Venedig
Biennale-Direktorin Bice Curiger, die die Biennale nicht ganz zu Unrecht schon als ein Ufo bezeichnete, das sich alle zwei Jahre für den Zeitraum der Ausstellung in der Stadt niederlässt, wollte das Ereignis in einen Zusammenhang mit der Tradition – venezianischer – Kunst stellen. Tintoretto, so Curiger, ein Sohn der Stadt, ein experimenteller Künstler von „ungestümer Kraft“, ein Maler des Lichts und „ekstatischer Momente“, ja ein Aussenseiter, spreche, wie zu seinen Lebzeiten, so auch heute noch in seiner Malerei die Menschen unmittelbar an.
Tintoretto verkörpert gewissermassen das Motto der Biennale „Illuminazioni, Illuminations“ (das reizvolle Wortspiel illumi und nazioni hier einmal beiseite gelassen). Und doch überschreiten wir eine Schwelle, wenn wir uns in die benachbarten Ausstellungsräume begeben, gelangen wir aus einem Vergangenen, das wir durchaus in uns tragen und das auch das unsrige ist, in ein uns auf andere Weise herausforderndes Hier und Heute.
Zum Beispiel das des – in Frankfurt allen noch bekannten – Maurizio Cattelan. Ironisch, spöttisch und „sophisticated“ wie stets.
Mehr als 200 Tauben (ausgestopfte, versteht sich) plaziert er auf den Lüftungsrohren und Verspannungsdrähten der Hallen. Die Arbeit ist beileibe nicht neu, greift der Künstler doch auf eine entsprechende zur 47. Biennale des Jahres 1997 („Turisti“) zurück, als er den etwas heruntergekommenen, mit Tauben bevölkerten italienischen Pavillon mit 200 nunmehr ausgestopften Tauben karikierte und konterkarierte, einige von ihnen sollen, so hören wir, ohne selbst dabeigewesen zu sein, mit Hilfe gewisser Mechaniken den Boden verklackst haben.
Maurizio Cattelan, Others, 2011, (Turisti, 1997), ausgestopfte Tauben
Eine interessante und hinterlistige Arbeit, die uns zu knabbern gibt: Reminiszenz an den von Tausenden von Tauben belebten Marcusplatz als eines der Wahrzeichen von Venedig; eine Metapher für denselben Platz (und letztlich ganz Venedig), wie er von ins Unerträgliche ausufernden Heerscharen von Touristen heimgesucht und seiner Würde und Grandiosität beraubt wird; gar ein Hieb auf den alle zwei Jahre einschwebenden Kunstbetrieb der Biennale, der doch (wir mutmassen eine mögliche Einschätzung des Künstlers) immer wieder nur das Gleiche zu sein scheint wie die nie aussterben wollenden Taubenscharen der Stadt?
(Fotos: FeuilletonFrankfurt)
→ Biennale Arte Venedig 2011 (3): Die Goldenen Löwen