„En Passant“ der Künstlergruppe „et al.*“
Sie ging wohl in der grosses Aufsehen erregenden, spektakulären Jubiläumsausstellung der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt „Surreale Dinge. Skulpturen und Objekte von Dalí bis Man Ray“ leider etwas unter, zumindest, soweit wir sehen können, in der öffentlichen Resonanz: die fantasievolle Rauminstallation „En Passant“ der Künstlergruppe et al.* Obwohl jeder Besucher der Surreal-Schau die im abgedunkelten Treppenaufgang der SCHIRN errichtete Installation passieren muss.
Nun läuft, parallel zur Hauptausstellung, auch „En Passant“ am 29. Mai 2011 aus, aber die Installation der Künstlergruppe mit dem bemerkenswert findig-listigen Namen sollte keineswegs in Vergessenheit geraten.
Eine Art Pandämonium, den Türhütern des Höllenrachens nur wenig nachstehend, scheint die Besucher zu empfangen, wenn sie sich – mit oder ohne Furcht und Grusel – anschicken, die obere Ausstellungsetage zu erklimmen. Doch gemach, sassen wir zur Jugendzeit nicht allzu gerne zur Kirmes in den damaligen „Geisterbahnen“, in denen sich spukhafte, wimmernde Torsi und skelettierte Wesen, vom Seufzen ewiger Verdammnis verfallener Seelen begleitet, über uns beugten, uns berührten und uns im nur langsam voranzuckelnden Wägelchen gar nachfolgten?
Verdrehte, verstümmelte Körper, abgeschlagene und aufgespiesste Köpfe, zerfetzte Gliedmassen sind unsere Wegbegleiter beim Aufstieg, kopflose Gespenster schweben auf uns herab, mächtiges, krakenarmhaftes Gedärm bedrängt und aus der Höhe. Eine in üppige Brokat- und Seidenstoffe gehüllte geheimnisvolle Dame küsst, wie der nächtlich gaukelnde Schmetterling dem tödlich heissen Licht der Glühbirne verfallen, eine grell-leuchtende Lampe. Ungewohnte Geräusche und Lichteffekte testen Schreckhaftigkeit und Nervenkostüm des redlich-nichtsahnenden, zur Ausstellung strebenden Kunsthallenbesuchers.
An die 40 skulpturale Elemente hat die Künstlergruppe im Treppenaufgang installiert; sie verschiebt, wie die SCHIRN betont, bewusst die Grenzen zwischen Ausstellungs- und Erlebnisort, zwischen (Alb-)Traum und Wirklichkeit.
Und doch ist all der inszeniert-durchschaubare Schrecken ein Fest der Sinne.
Zac Dempster, Mitglied der Künstlergruppe et all.*, im Interview mit dem SCHIRN Magazin: „Um einen harten Kern von sieben Leuten gibt es einen sich ständig verändernden Kreis aus Freunden, Bekannten und Neugierigen, die alle etwas zu unserer Arbeit beisteuern. Einige kenne ich noch von meiner Zeit aus New York, andere stiessen über Paris und Boston zu uns, die meisten trafen wir in der Frankfurter Städelschule oder auf Partys … Wir entwerfen begehbare Boxen, Nichträume, Traumwelten …“
Und weiter: „Obwohl wir uns nie mit den Surrealisten direkt vergleichen würden, schaffen auch wir irreale Orte, in die man aus der Realität eintritt, aber auch wieder verlassen muss. Diese Phase des Überganges ist uns besonders wichtig und hat uns zur ‚En Passant‘ im Treppenhaus der SCHIRN inspiriert … Bei ‚En Passant‘ war für uns vor allem interessant, dass die Besucher keinen abgeschlossenen Raum betreten, sondern eine Passage durchlaufen müssen, um zur Ausstellung ‚Surreale Dinge‘ zu gelangen … All diese Eindrücke und Einflüsse strömen auf den Besucher ein, der sich eigentlich auf dem Weg in eine andere Ausstellung befindet. Es wird spannend, zu sehen, wie die Leute reagieren werden auf diesen verstörend wunderschönen Moment. Für uns ist ‚En Passant‘ damit eine interessante Vorbereitung auf ‚Surreale Dinge‘ „.
Künstlergruppe et al.* : Nicholas Vargelis, Zac Dempster und Wendell Seitz
Wer nun aber glaubt, sich an der spukhaften Geisterwelt im Treppenaufgang einfach nur (wenn auch insgeheim schaudernd) erfreuen zu können, wird sich korrigieren müssen: Natürlich ist alles viel hintergründiger, als es vordergründig erscheinen mag, und Kunstgenuss ist nun einmal nicht zum „anstrengungslosen“ geistigen Nulltarif zu haben.
Also heisst es in dem Statement der Künstlergruppe zu ihrer Arbeit in der SCHIRN: „Wenn Sie die Stufen der Schirn Kunsthalle hinaufsteigen, stellen Sie sich bitte vor, dass Sie vor dem Gemälde Antoine Carons ‚Das Massaker unter dem Triumvirat‘ von 1566 stehen. Durch ein blutiges Enthauptungsritual gewinnen dort die aurei (römische Goldmünzen) an Wert. Auch im Schlachthof werden die Köpfe der Rinder, Lämmer und Schweine gezählt, obwohl es aber das Fleisch ihrer Körper ist, das die Menschen ernährt. Wir erinnern an Michel Leiris’ Idee der Selbstenthauptung, von der er besessen war und die wir mit Batailles erotischen Opferfantasien verbinden, die das Ordnungssystem seines blutigen Chaos beherrschen. Ist das Massaker einmal beschrieben, findet es seine Bewegung und seinen Zweck im surrealistischen Scherz über die Wirklichkeit und der L’amour fou.“
Und damit Sie nun am Schluss, geneigte Leserinnen und Leser, nicht länger gänzlich im Dunkeln herumtappen, liefern wir Ihnen hier das zitierte Gemälde des manieristischen Malers und Meisters der Schule von Fontainebleau, Antoine Caron (um 1521 bis 1599):
Antoine Caron, Das Massaker unter dem Triumvirat, 1566, Öl auf Leinwand, 117 x 200 cm, Musée du Louvre, Paris (Bildnachweis: wikimedia commons/The Yorck Projekt)
(Installation „En Passant“: © Künstlergruppe et al.*; Fotos: FeuilletonFrankfurt)