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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Pixelgarten oder: Wer sitzt da unter dem Mount Everest?

Der Mount Everest fasziniert die Menschen, seit sie ihn entdeckt haben. Zum Sitz der Götter haben sie ihn erhoben – und zu einem der grössten Vergnügungsparks mit angeschlossener Müllhalde degradiert. Warum eigentlich sollten sich nicht auch Künstler für ihn interessieren? Tun sie ja, zum Beispiel Pixelgarten.

Wer Pixelgarten ist? Ein Künstler- und Designer-Duo. Catrin Altenbrandt und Adrian Nießler heissen sie. Sie lieben die Gratwanderung – und wohl deshalb auch den Mount Everest, den sie auf ihre ganz besondere Art (art!) bestiegen, unterwandert und jedenfalls bezwungen haben. Und sie lieben die Gratwanderung zwischen der freien und der angewandten Kunst und wundern sich darüber, warum andere sich wiederum über solche Gratwanderungen wundern. Denn Pixelgarten versteht sich auf beide Künste.

Hier sehen Sie das Duo:

(Foto: Pixelgarten)

Und hier ist der Mount Everest. Aber was ist das für ein Berg, irgend etwas scheint da nicht ganz zu stimmen; lassen Sie uns nachdenken, vielleicht kommen wir ja noch darauf.

„The North Face“, Höhenluft, 2007, Inkjet Print, 90 x 120 cm (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Gut zu erkennen sind das mittlere und obere Hochlager unter den Gipfelstürmern. Das Spruchband, das der Hubschrauber um den Berg herum fliegt, signalisiert den Nachkommenden „Warning: The north face is overcrowded“.

Dennoch ist das Gedränge gross, alle wollen hinauf in die Höhe, wollen die ersten, die besten sein; Wettkampfrichter stehen an den Aufstiegspfaden, halten Schilder mit „Erster“, „1“, „First“ hoch, immer schneller wird der atemlose Lauf auf die Spitze, immer neuere Disziplinen werden ausgetragen, und nun wird sogar der „1st man naked“ zum Gipfelsturm erwartet!

Detail (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Da gibt es diejenigen, die in der Kolonne dem Zug der Zeit folgend aufwärts streben, und es gibt die Kletterer abseits der allgemeinen Routen, sie bilden hoffnungsvoll Seilschaften, und dann stürzen die ersten in die Tiefe. Aber das strebsame Treiben geht weiter – unaufhaltsam weiter und höher in tödliche Zonen, für die der Mensch nicht gemacht ist und die ihn gerade deshalb zu dem verwegenen Aufstieg verführen. Auf diesem Weg findet mancher den Tod, und die im ewigen Eis Erstarrten dienen den Nachfolgenden als Wegmarken zum frivolen Weiterklettern, bis auch ihnen Höhenkrankheit die Sinne raubt.

Einer Parabel, einer Metapher gleich für die Hybris unserer Zeit, in der sich aktuell das Schicksal von Fukushima vollzieht, in der der Mensch im Kampf mit den entfesselten Urgewalten der gespaltenen Kerne unterliegt und das Würfelspiel mit dem teuflisch grinsenden Partner Plutonium verliert.

Auch noch in tiefster Nacht streben die Menschen unbeirrt zum Gipfel hinan, den sie nicht sehen, mit ihren starken Scheinwerfern versuchen sie, den für sie nicht bestimmten Weg zu erkunden. Und sie leuchten mit ihrem technischen Licht weit in das Firmament hinein und können doch das Ziel, das sie suchen, weder erkennen noch gar erreichen.


„Night Walk“, Höhenluft, 2007, Inkjet Print, 90 x 120 cm (Foto: Pixelgarten)

Bleiben wir im Mount Everest-Massiv und stellen wir uns, nach Stärkung an der Hot-Dog-Bude, am Kassenhäuschen zum fröhlichen Yeti-Ride auf der Riesen-Rosa-Achterbahn an – der Achterbahn des Lebens, die uns in schwindelnde Höhen emporschrauben wie jäh in den Abgrund stürzen kann.

„The Yeti Ride“, Höhenluft, 2007, Inkjet Print, 120 x 90 cm (Foto: Pixelgarten)

Detail (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Es ist die Kunst von Pixelgarten, uns den auf Hybris folgenden Schrecken unserer Zeit im Spiegel feinen Humors und intellektueller Ironie, verbunden mit meisterlichem handwerklichen Können vorzuhalten. Wir denken an den „Zauberberg“, in welchem Thomas Mann mit ähnlichen Stilmitteln seinen zu jenen weltentfremdenden Sanatoriumshöhen aufgestiegenen Protagonisten die Sinne vernebelt und das Szenario der aufziehenden Katastrophe, damals des bevorstehenden Ersten Weltkriegs, entwickelt.

Der Fall in den Abgrund scheint unausweichlich: Ölfässer, Automobile und Eisenbahnwagen stürzen kopfüber, von gewaltigem Steinschlag getrieben, zu Tale, am unteren Rand stehen Menschen hilflos in ihren Schutzanzügen, im Zeltlager rechts aussen, tief am Fuss des Gebirges, ahnen sie noch nichts von dem Bevorstehenden, von dem ihnen selbst die Satellitenantenne nichts kündet.

„Boulder Dash“, Höhenluft, 2007, Inkjet Print, 120 x 90 cm (Foto: Pixelgarten)

Pixelgarten arbeitet mit analoger Grossformatfotografie und ohne Retuschen. Über die Ebene des Gebirges wird eine zweite Ebene mit winzigen, feinst detaillierten Computerzeichnungen gelegt. Man muss nahe vor die Arbeiten im Format 120 mal 90 cm treten, um sie zu erkennen. Im künstlerischen Prozess wird gleichsam Dreidimensionales in eine Ästhetik des Zweidimensionalen transferiert. Die räumliche Wirkung der Fotografien ist erstaunlich.

Catrin Altenbrandt und Adrian Nießler, beide 1978 geboren,  studierten an der Hochschule für Gestaltung Offenbach (HfG) Visuelle Kommunikation mit dem Diplom-Abschluss im Jahr 2007. Seit 2004 arbeitet das Duo unter dem Namen Pixelgarten an freien und angewandten Projekten in den Bereichen Fotografie, Illustration und Grafik. Sie realisieren Projekte für Magazine, Verlage und Kulturinstitute, wobei sie oft den Raum als Gestaltungselement einbeziehen. Einer der Schwerpunkte des Duos liegt in fotografischen Inszenierungen in der dritten Dimension. Pixelgarten bestreitet regelmässig Ausstellungen, so neben Frankfurt am Main und Offenbach unter anderem in Berlin, Hamburg, Karlsruhe, Köln und Wiesbaden, im Ausland in Breda, Krakau, Leeds, London, Paris, Rabat, Zaragoza und Zürich. Die Künstler und Designer erzielten bereits in zahlreichen Wettbewerben Preise. Catrin Altenbrandt und Adrian Nießler (er hat an der HfG eine Vertretungsprofessur auf dem Gebiet Grafik-Design/Illustration inne) leben und arbeiten in Frankfurt am Main.

Bis vor kurzem war Pixelgarten mit der Serie „Höhenluft“ im Rahmen der Ausstellung „Modeled Realities“ in der ebenso experimentierfreudigen wie qualitätsbewussten Frankfurter Galerie Heike Strelow vertreten.

Ach ja, am Anfang schrieben wir, dass da mit dem Mount Everest irgend etwas nicht ganz zu stimmen scheine. Wir haben nachgedacht und verraten jetzt, wer unter dem Mount Everest sitzt: Es ist einer der beiden, in einen Weissbinderanzug geschlüpften „Pixelgärtner“! Schauen Sie sich einmal den vermeintlichen König der Berge genauer an: Blitzt da nicht auf der linken Seite ein wenig menschliche Haut unter dem Anzug hervor?

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