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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Matthew Brannon im Frankfurter Portikus

Vor dem Betreten der Halle: Hände desinfizieren!

Wo sind wir? Im Ausstellungshaus Portikus auf der Frankfurter Maininsel. Was sehen wir? Eine ortsspezifische Installation des US-amerikanischen Künstlers Matthew Brannon. Ihr – wie so üblich alles oder eben auch nichts sagender oder positiv gewendet neugierig machender – Titel:  „A question answered with a quote“. Ihre Bestandteile: eine Sprühflasche in Schwarz und Chrom; acht Holzgestelle mit insgesamt 24 Letterpress-Drucken hinter Glas in vitrinenartigen schwarzen Bildträgern; eine Wandtapete mit schwarzweissen Ornamenten; die Skulptur einer von der Decke herabhängenden schwarzen Glühbirne; ein schwarzer Plattenspieler mit einer Schallplatte in Weiss mit rotem Etikett, darüber ein Letterpress-Druck mit der Aufschrift „gag“, eine Sound-Arbeit, aus Lautsprechern ertönen Würge- und Erbrechenslaute eines Menschen.

Portikus-Kuratorin Sophie von Olfers und Matthew Brannon

Der Betrachter sollte seine Aufmerksamkeit nicht sogleich auf die einzelnen Druckgrafiken fokussieren, sondern zunächst das Ausgestellte in seiner Gesamtheit erfassen. Er sollte dazu auf die Empore der Halle steigen, von der sich der Blick auf das Ensemble der Installation erschliesst. Er wird alsbald den Kontext wahrnehmen zwischen den Blättern selbst und ihrer bewusst ungewöhnlichen Inszenierung. Denn er hätte – so steht zu vermuten – eher eine wandhängende Präsentation solcher Grafiken erwartet.

Ausstellungsansicht vom Balkon

Brannon entwickelte die Installation speziell für die Ausstellungshalle Portikus. Die 24 Blätter sind hinter Glas in schwarzen, wie ein Display anmutenden Bildträgern untergebracht, die schräg nach hinten geneigt auf hölzernen Gestellen ruhen, die in der Städelschule nach Angaben des Künstlers und auf das Perfekteste gefertigt wurden. Anders als bei einer üblichen Wandhängung werden die Blätter dem Betrachter vergleichbar einer Schaufensterauslage in fast aufdringlicher Weise präsentiert.

Ausstellungsansicht

Ausstellungsansicht

Bei den Blättern handelt es sich um in feiner und penibler Handwerklichkeit ausgeführte, allesamt gleichformatige Grafiken, die Darstellungen verschiedener Objekte werden mit Texten kombiniert. Die ältesten Blätter datieren aus dem Jahr 2004. Brannon lässt sie als hochwertige Letterpress-Unikate drucken. Ihre Schönheit und Ästhetik, das aufwendige Produktionsverfahren stehen in einem spannungsreichen Kontrast zu den Inhalten: „Abgefressene Festmahle, verlassene Bürolandschaften, Erwachsenen-Spielzeuge und andere Accessoires der Entertainment-Industrie, Alltagsgegenstände der Pseudo-Luxusklasse sowie diverse Alkoholika und gastronomische Genüsse – Klischees des globalisierten Jet-Sets“ – so lesen wir in einer Veröffentlichung des Portikus, mit der Brannons Sujets zutreffend beschrieben werden. Die Texte enthalten scharfzüngige, zum Teil makabre Aussagen unter Anspielung auch auf die menschliche Sexualsphäre.

„A Difference of Hours“, 2010, Letterpress auf Papier, 61 x 45,7 cm

„A Well Pissed On Tree“ und „Steak Dinner“, jeweils 2007, Letterpress auf Papier, 61 x 45,7 cm

Brannon will uns eine „verrottete“ Konsumgesellschaft aufzeigen, wobei er sich auf den bekannten Filmregisseur Jean Renoir bezieht; eine globalisierte Gesellschaftsschicht geprägt von Oberflächlichkeit, Überfluss und Gier, von Exzessen und einem überbordenden Hedonismus. In der Tat ein Stück realer Welt des globalen Kapitalismus und seiner zügellosen Ausschweifungen, nicht die Welt des grösseren Teils der Menschheit und schon gar nicht der inzwischen knapp eine Milliarde Hungernden.

Hierzu setzt Brannon ergänzend und verstärkend die Sound-Installation „gag“ ein: unablässig ertönt ein Würgen und Erbrechen. Wir denken an das Phänomen der in den westlichen Wohlstandsgesellschaften anzutreffenden Bulimie. Wobei sich der Künstler wohl der Ambivalenz dieses Begriffes bedient: „gag“ bedeutet im Angelsächsischen auch „Knebel“ oder „Maulkorb“, zugleich steht er für Witz und Idee, aber auch für Tricks und Schwindel. „Matthew Brannon untersucht“, verlautet es aus dem Portikus, „mit solch einer Gegenüberstellung nicht nur die Komplexität gesellschaftlich etablierter Zeichen und ihrer Lesarten, sondern fordert darüber hinaus Bedeutungen an, die durch den perplexen Betrachter entstehen“.

Sound-Arbeit „Gag“, 2010, Plattenspieler, Letterpress Blatt

Etwas perplex stehen wir auch vor der von Brannon entworfenen ornamentalen Tapete, die die gesamte Westwand der Halle bedeckt und das seit langer Zeit erstmals wieder freigelegte, den Blick auf die Maininsel öffnende grosse doppelflügelige Fenster des Portikus umschliesst.

„Wallpaper by Matthew Brannon for Raoule de Verande Inc.“, 2010, Detail

Der Blick schweift zur nordwestlichen Ecke der Halle: Die geschwärzte Holzskulptur einer Glühbirne hängt von der Decke herab. Kein Zitat sicherlich – aber vielleicht eine Anspielung oder Persiflage auf die berühmten Glühbirnenketten von Felix Gonzalez-Torres, zeitlich parallel zu sehen im Frankfurter Museum für Moderne Kunst und auf dem Paulsplatz.

„Bright ideas and lower exspectations“, 2010, Balsaholz, Farbe, Garn

Matthew Brannon wurde 1971 in St. Maries, Idaho geboren. 1995 erwarb er an der University of California, Los Angeles, den Titel eines Bachelor of Arts und 1999 an der Columbia University, New York, den eines Master of Fine Arts. 2010 stellte er unter anderem in Los Angeles, Mailand und im belgischen Löwen aus, in den Jahren zuvor in London, Mailand, New York und Toronto. Ferner war er an zahlreichen Gruppenausstellungen beteilig, in Deutschland 2009 im Badischen Kunstverein, Karlsruhe. Der Künstler lebt und arbeitet in New York.

Nun verlassen wir wieder nach all dem, was wir gesehen, gehört und – hoffentlich – verstanden haben, den Portikus und die so perfekte, klinisch reine Installation. Alles wird gut – die Knebelungs-, Würge- und Kotzgeräusche, was soll’s, sie kamen ja vom Tonträger. Unsere Hände sind sauber geblieben. Von der schwarzen Desinfektions-Sprühflasche am Eingang müssen wir keinen Gebrauch machen.

(Installation © Matthew Brannon; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

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