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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zu Besuch im Mathematikum Gießen

Heute sind wir zu Besuch im Gießener Mathematikum!

Was? Sie zucken zusammen, liebe Leserinnen und Leser, denken gar mit Schrecken und Graus an ein „knapp befriedigend“ oder gar „schwach ausreichend“ Ihres Mathe-Abiturs? Nicht doch, es geht lustig und entspannt zu im Gießener Mathematikum, bereits die Fassade verbreitet gute Laune …

… und erst recht das Entrée: Über diese Mathe-Matte muss gehen, wer die Ausstellungsräume betreten will.

Wir hatten im Rahmen einer Veranstaltung der Steuben-Schurz-Gesellschaft Gelegenheit, das Haus unter persönlicher Führung von Professor Albrecht Beutelspacher besichtigen zu können, dem Gründer und Direktor des Mathematikums. Der durch seine „populärwissenschaftlichen“ Hörfunk- und Fernsehsendungen und seine Gesprächsreihe „Beutelspachers Sofa“ deutschlandweit bekannte Mathematikprofessor eröffnete das Haus im Jahr 2002 als weltweit erstes seiner Art.

Albrecht Beutelspacher vor der visualisierten Darstellung der Kreiszahl π

Das rund 150 Exponate zeigende „Mitmachmuseum“ („science center“) will die Mathematik einer möglichst grossen Allgemeinheit, insbesondere jungen Menschen sinnfällig, ja spielerisch zugänglich machen. Die jährlich über 150.000 Besucher jeden Alters und jeder Vorbildung können einzeln oder in Gruppen interaktive mathematische Experimente durchführen: Puzzles legen, Brücken bauen, sich bei Knobelspielen „den Kopf zerbrechen“, an sich selbst den goldenen Schnitt erproben und vieles andere mehr.

Und Superlative gibt es auch zu sehen: Beispielsweise kann die älteste bislang bekannte Zahl in Europa besichtigt werden: auf einem 25- bis 30tausend Jahre alten Knochen.

In Grenzbereiche menschlichen Denkens führt die berühmte, auch heute noch geheimnisvoll anmutende Kreiszahl π, eine irrationale, sozusagen unendliche Zahl. Im Mathematikum ist sie visualisiert, in Form von präzis errechneten und kreisförmig hintereinander geschriebenen rund 2000 (!) Stellen hinter dem Komma.

π – also rund 3,1416 – wurde wohl, jedenfalls der Grössenordnung nach, schon zu alttestamentlichen Zeiten erahnt. So heisst es im 1. Buch Könige, Kapitel 7, Vers 23 über Salomo, der für den israelitischen Tempel ein rundes Wasserbecken erbauen liess: „Dann machte er das Meer. Es wurde aus Bronze gegossen und mass 10 Ellen von einem Rand zum anderen; es war völlig rund und 5 Ellen hoch. Eine Schnur von 30 Ellen konnte es rings umspannen“. Wir errechnen daraus unschwer die Zahl 3. Auch im alten China war sie bekannt. Die Ägypter rechneten damals schon genauer und kamen auf  3,1604, die Babylonier auf 3,125. Aber erst Archimedes von Syrakus (um 287 v. Chr. bis 212 v. Chr.) gelang die Berechnung auf 3,1428 und später auf 3,1416. Der in Rom geborene und in Venedig verstorbene Barockmaler Domenico Fetti bannte den grossen altgriechischen Mathematiker auf die Leinwand.

Domenico Fetti (1588/9 bis 1623), Archimedes, 1620, Öl auf Leinwand, 98 x 73,5 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Erinnern Sie sich noch der mühsamen schulischen Darstellung von Kegelschnitten? Im Mathematikum ist es mit einer geradezu genialen Anordnung ein Kinderspiel!

Auch im Mathematikum, dessen Besuch wir auf das Beste empfehlen können, führen manche Wege zur Kunst: so zu Leonardo da Vincis weltbekannter Proportionsstudie, mit der Sie unmittelbar im Museum die mehr oder weniger gelungene Wohlgestaltung Ihres Körperbaus überprüfen können …

Proportionsstudie nach Vitruv, Federzeichnung, 1492, Galleria dell‘ Accademia, Venedig

… oder zu Albrecht Dürers Unterweisung im perspektivischen Zeichnen und Malen, hier wiedergegeben als Wandzeichnung im Mathematikum und als Kupferstich von 1525.

(Bildnachweis D. Fetti, A. Dürer: wikimedia commons; Leonardo-Studie: Luc Viatour; Fotos Mathematikum: FeuilletonFrankfurt)

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