home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Barbara Kruger: „Circus“ in der SCHIRN Kunsthalle

Eine Lesebrille werden Sie, verehrtes Publikum, nicht benötigen, wenn Sie sich in die Rotunde der SCHIRN Kunsthalle in Frankfurt am Main begeben, denn die Buchstaben, die dort auf Sie zur Lektüre warten, sind übermannsgross. Und dennoch wird es Ihnen eine nicht geringe Anstrengung abverlangen, die Bild-Texte beziehungsweise Text-Bilder visuell aufzunehmen und in einen Sinnzusammenhang zu fügen.

In der offenen, jedermann zu jeder Zeit frei zugänglichen Rundhalle hat die US-amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Kruger die eigens für diesen Ort entwickelte Installation „Circus“ eingerichtet. Sie hat unter der Kuppel der Rotunde eine kreisrunde Zwischendecke eingezogen und diese – ebenso wie die Innenwände der Halle und den dafür eigens präparierten Boden – mit Majuskeln in Weiss vor dunklem Hintergrund versehen. In den die Rotunde umlaufenden inneren Galerien begegnet Ihnen auch manches „X“ in einem kräftigen Rot.

Die Bild-Texte, allesamt in der einst unter dem Einfluss des Bauhauses entwickelten „Futura“ (die uns in unserem PC-Programm leider nicht zur Verfügung steht): Wir geben sie hier in ihrer Konzeption wieder, gleichsam vorab und zum neugierig machen, in der Gewissheit, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese aussergewöhnlichen Wort-Bilder in der SCHIRN-Rotunde unmittelbar auf sich einwirken lassen, denn nur so und vor Ort in der konkreten Ausstellungssituation werden sie sich Ihnen sinnlich erschliessen:

BELIEVE + DOUBT = SANITY

BLINDER IDEALISMUS IST REAKTIONÄR BEÄNGSTIGEND TÖDLICH.

GEWALT LÄSST UNS VERGESSEN, WER WIR SIND.

THE WAR FOR ME TO BECOME YOU.

WHAT YOU LOVE IS BETTER THAN WHAT I LOVE. WHAT YOU BELIEVE IS TRUER THAN WHAT I BELIEVE. WHAT YOU HATE DESERVES IT.

DU BIST VERLIEBT. DU KANNST EINFACH NICHT AUFHÖREN ZU LÄCHELN. DEIN HERZ HÜPFT. DU LÄUFST DAVON.

Natürlich kommen wir nicht umhin, an die Geschichte von Belsazar und der Schrift an der Wand im alten Buch Daniel zu denken, an das mene mene tekel uparsin, das dem im Gastmahl prassenden Herrscher den alsbaldigen Tod und seinem Reich den Untergang voraussagt, aufgegriffen von Heinrich Heine in seiner Belsazar-Ballade. Womit wir bei der Frage wären, ob und inwieweit Kruger eine politische Künstlerin ist. Sie selbst will sich jedoch keinerlei Kategorien zuordnen lassen. Und ihre formale Bild-Sprache – oder sprechen wir von Sprach-Bildern – hat sie der Werbebranche entlehnt, in der sie über lange Jahre hinweg tätig war.

Dass die Installation just zur Zeit des Frankfurter Weihnachtsmarktes eingerichtet wurde, der sich vom Römerberg bis hin zum Fuss der Rotunde erstreckte, ist kein Zufall: handelt es sich doch um die publikumsträchtigste Zeit des Jahres für diese den Eingang zur Kunsthalle bildende Lokalität. Denn es liegt in der Intention der Künstlerin, dass ihre Texte von vielen gelesen werden. Sie stellen für Kruger sehr wohl Inhalte dar und nicht allein formale Elemente.  Denn Barbara Kruger ist überzeugt davon, dass Kunst durchaus die Welt verändern kann, zum Positiven, zum Guten hin selbstverständlich. So können wir uns auch vorstellen, dass es nicht unerwünscht sei, zumindest einige dieser Sentenzen als eine Art „gute Vorsätze“ mit in das neue Jahr zu nehmen.

Eine gewisse Schlüsselrolle komme, sagt SCHIRN-Kuratorin Ingrid Pfeiffer, etwa der Aussage „BELIEVE + DOUBT = SANITY“ zu: Den Glauben vielleicht gedacht als Symbol eines Engagements für das Gute und Richtige, den Zweifel als Korrektiv und Bewahrung vor „blindem Glauben“, die Sanity schliesslich gedacht als Balance und „gesunder Menschenverstand“. Immer aber geht es Kruger um die Auseinandersetzung auch mit Macht, mit Gewalt, um den Umgang der Menschen untereinander im Zeichen von Konsum als ökonomischer Macht. Und um das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Nicht nur deshalb aber fragen wir: Kann es heute noch eine Kunst geben, die unpolitisch ist?


„Ich arbeite mit Bildern und Worten“, sagt die Künstlerin, „weil sie die Fähigkeit haben, zu bestimmen, wer wir sind oder nicht sind“. Und: „Es ist jedes Mal eine Herausforderung und eine Freude, eine Installation in einem bestimmten Raum zu einem so machtvollen Statement wie möglich zu machen“.

Mit „Angry“: „BITTE LACHEN“

Mit „Smiley“: „WHAT YOU HATE DESERVES IT“

In ihren gossdimensionierten, teilweise agressiven, subversiv gegen die psychologischen Strategien der Werbung gerichteten Wort-Bildern greift Barbara Kruger Bilder und Texte der Massenmedien, eben der Werbung und des Konsums auf. In der ihnen eigenen Ästhetik wollen ihre Sentenzen kommentieren, irritieren und aufrütteln. Kruger bevorzugt für ihre – teils auch in die jeweiligen Landessprachen übersetzten – Botschaften den öffentlichen Raum, ohne jedoch als Künstlerin selbst öffentlich in Erscheinung zu treten.

Ihre mitunter nicht auf den ersten Blick zu entschlüsselnden Sentenzen und Textcollagen entfalten ihre Wirkung auf den Betrachter nicht zuletzt durch ihre orts- und raumbezogene Monumentalität und Suggestivkraft.

 

 


Barbara Kruger,1945 in Newark in New Jersey geboren, studierte seit 1965 Design und arbeitete zunächst als Grafikerin und Bildredakteurin. Sie hat unter anderem im Whitney Museum of American Art, dem Museum of Modern Art, New York, der Serpentine Gallery, London, dem PS1 in New York, dem Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen oder dem Magasin in Grenoble ausgestellt. Bei der 51. Biennale di Venezia 2005 erhielt sie den begehrten Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.

Schirn-Direktor Max Hollein und Kuratorin Ingrid Pfeiffer in der Pressekonferenz

Die Ausstellung in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt am Main läuft bis zum 30. Januar 2011. Man darf sie nicht versäumen. Aufgeschlossenheit und Bereitschaft, zu empfangen und aufzunehmen, sollten Sie mitbringen. Und denken Sie an die „guten Vorsätze “ für das neue Jahr 2011. Ihre Lesebrille hingegen können Sie getrost zu Hause lassen.

(Installation © Barbara Kruger; Fotografien: FeuilletonFrankfurt)

Comments are closed.