Ein Jagdhund von echtem Schrot und Korn
Jagdhund, Wachhund, Couch Potato?
Text und Fotografien: Ingrid Malhotra
Ich habe einen Hund. Aber natürlich nicht irgendeinen Hund. Es handelt sich dabei um einen rumänischen Wirtschaftsflüchtling, der bei seiner Ankunft hier noch völlig undefinierbar war und einem Alien wesentlich ähnlicher sah als einem Hund. Aber mir wurde glaubhaft versichert, die Mutter sei ein Schäferhund gewesen und der Vater, naja, den Vater hatte niemand gesehen. Der war auf jeden Fall wohl schnell. Vielleicht war’s ja ein Wolf?
Tatsächlich hat mein Hund im Lauf der Monate eine starke Ähnlichkeit zu (eher kleinen) Wölfen entwickelt. Toll, dachte ich, ein Hund, der meine Wohnung bewacht und mich beschützt, wenn wir im Wald herumlaufen.
Etwas stutzig hat es mich ja schon gemacht, als eines Tages wildfremde Menschen über die Balkonbrüstung in die Wohnung stiegen – sie hatten ein Gerüst aufgestellt und fanden es am einfachsten, durch meine Wohnung wieder nach unten auf den Erdboden zu gelangen. ICH habe ja fast einen Herzinfarkt bekommen vor Schreck – aber mein Wachhund? Pustekuchen! Er wälzte sich vor Begeisterung über den unerwarteten Besuch auf dem Boden und leckte den Leuten erfreut die Hände ab. Ich nehme an, wenn es Einbrecher gewesen wären, hätte er ihnen auch gleich noch gezeigt, wo die Brieftasche liegt.
Aber im Wald! Da würde er mich sicher schützen, oder? Schwer feststellbar, denn wir kennen ja die meisten anderen Leute, die im Wald herumlaufen. Aber da war einmal im Herbst so eine denkwürdige Geschichte …
Mein Hund und ich sammelten Pilze. Genau genommen sammelte ich die Pilze; der Hund schnüffelte und wühlte im Boden herum und war voll mit anderen Dingen beschäftigt, bis mir nach einer Weile auffiel, dass ich ihn schon recht lange nicht gesehen hatte. Ich richtete mich auf, um Ausschau zu halten und zu rufen, aber das war gar nicht mehr nötig, denn mein tapferer Hund brach plötzlich in wilder Panik aus einem Gebüsch hervor, verfolgt von, ja, von was wohl? – von einem jungen Reh, das mit wütend gesenktem Kopf meinen „Wolf“ kreuz und quer durch den Wald jagte, bis er schliesslich die Kurve kriegte und sich keuchend zu meinen Füssen niederwarf. Das Rehkitz warf ihm nur noch einen leicht verächtlichen Blick zu und verschwand.
Ein Wachhund?
Also, ich weiss nicht …
Aber was soll’s, ich liebe meinen kleinen Wolf und werde mich wohl damit abfinden müssen, dass ich das gute Tier weiterhin sorgfältig beschützen muss!