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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Von Ausserirdischen und Sterntalern: Lisa Marei Klein erzählt (k)eine weihnachtliche Geschichte

Fünf Sterne – oder besser gesagt Sternhälften – weihnachtet es etwa im 1822-Forum in der Frankfurter Fahrgasse? Lisa Marei Klein hat dort eine raumgreifende dreiteilige Installation aufgebaut – bis zum 18. Dezember 2010, dem Samstag vor dem Vierten Advent also, werden wir diese Arbeit dort antreffen können.

Fünf fünfzackige Sterne, räumlich geformte Sternhälften, hellcremebeige marmoriert, überdimensionierte vorweihnachtliche Bastelarbeiten längst vergangener Kindheitstage? Eine Laune des Moments, eine erzählte wie auch erzählende Reminiszenz? Waren wir damals nicht fasziniert von den Gebrüder Grimmschen Sterntalern, glaubten wir nicht an das leibhaftige Christkind, das vom Himmel herabschwebte, durch unsere weihnachtlich hergerichteten Zimmer webte und sich doch immer im allerletzten Moment unseren Blicken entzog, so dass wir dieses geheimnisvollen Wesens niemals ansichtig wurden?

Fünf Sternhälften, drei liegen auf dem Boden, zwei andere sind an einer Wand aufgerichtet. Wollen sich jene beiden vereinigen oder haben sie sich voneinander getrennt? Eine mächtige dunkle Kordel umschlingt sie haltend, aus einer Posamentenfabrik soll sie stammen. Vermag sie die zwei Hälften zueinander zu fügen oder steht sie nur als eine vergebliche Geste für Vergangenes, Zerbrochenes, nicht mehr Erreichbares? Die Schnur wächst aus einer auf dem Boden liegenden kolossalen Quaste heraus, wie wir sie als Zierrat heimischen, die Fenster festlich wie schwülstig bekleidenden Dekorationsbehangs kennen, auch treffen wir sie gern als Schmucktroddeln an ausschweifenden barocken Schränken an. Diese hier mag jedoch gut einen Meter in der Länge messen. Werden wir Erwachsenen zu zwergenhaften Betrachtern im Lande Liliput?

Die Mitte des Ausstellungsraums füllen drei am Boden liegende Sternhälften, zwei von ihnen überspannt ein gewaltiger Vorhang, oder ist es eine Art von Zelt, von riesigem Schirm, dessen Kiele staksig in die Höhe ragen, wölbt sich gar ein ausserirdisches Etwas über hernieder gefallene Sterntaler? Die dritte und kleinste der Sternenhälften hat sich verselbständigt, dem Schutz der Überwölbung entzogen, sie lehnt sich, dem Schaufenster des Raumes zugewandt, an diese an.

Von etwas Schützendem sprachen wir, denn nichts Bedrohliches eignet dem Schirm, dem wir am liebsten eine ausserirdische Herkunft zuschreiben möchten. Seine Oberfläche schimmert zwischen firmamentlichem Schwarz und astralem Silber, seine Unterseite in einem weiten Spektrum gedeckter, dunkler Farben bis hin zu freundlich-lebhaften Blau- und Gelbtönen.

Hoch an einer anderen Wand der dritte Teil der Installation: Ein nach Art siamesischer Zwillinge verwachsener Kopf mit zwei narbigen Gesichtern, er hat etwas von einem Januskopf, silbrig glänzend, über zwei lotrechten Elementen, deren Gestaltung Assoziationen an Pendelgewichte mächtiger Standuhren erweckt. Ein Alien, ein Ausserirdischer, der über der Szenerie wacht?

Symbol für den Blick zurück und nach vorn, zugleich auch nach innen, auf die hellen wie die dunklen Seiten jeden Lebens?

Der geheimnisvoll anmutende Titel der Arbeit „Ein Sommer ohne Schulbücher“ rüttelt uns auf aus vorweihnachtlicher Gemütslage. Und dann stossen wir, langsam und etwas mühsam zu entziffern, auf dünn auf die Sterne aufgeschriebene Worte, die sich zu einem Satz aus Bert Brechts Schauspiel „Leben des Galilei“ fügen: „Angesichts von Hindernissen mag die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten die krumme sein“.  Eine Metapher für Erkenntnis und Wahrheit, die sich unter manch schönem wie falschem Schein verbergen, der Aufnahme in alle Schulbücher der Welt würdig. Und Galileo Galilei, der das Licht des heliozentrischen in die Finsternis des geozentrischen Denkens trug, war kein Alien, kein Ausserirdischer.  Ausser dass er zu seinen Zeiten den Mut hatte, sich im späteren Kantschen Sinne „seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen“. Was der Welt aber sonst noch und an Wesentlichem fehlt, sagt uns das Märchen von den Sterntalern. Man sollte es immer wieder einmal lesen. Nicht nur jetzt in der Weihnachtszeit.

Ein Blick auf die Materialien der Installation: Die Sterne aus verklebten Papierschichten, mit Kunstharz überzogen; der Vorhang oder Schirm aus ebenso mit Kunstharz überzogenem Stoff; die Quaste aus MDF mit silbergrauer Möbelkordel umwickelt; der Januskopf aus – Gips!

Lisa Marei Klein, 1980 in Darmstadt geboren, studierte von 2002 bis 2010 an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach bei Professor Wolfgang Luy. Sie hatte bislang Einzelausstellungen in Offenbach und Hannover sowie Ausstellungsbeteiligungen in Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover und Viernheim. Sie erhielt den Förderpreis der Kulturstiftung der Städtischen Sparkasse Offenbach und das Dr. Marschner Diplomstipendium.

Lisa Marei Klein im Frankfurter 1822-Forum

(Installation „Ein Sommer ohne Schulbücher“ © Lisa Marei Klein; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

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