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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Rolf Kissel in der Galerie Das Bilderhaus

Raum + Zeit: Rolf Kissel in der Galerie Das Bilderhaus

Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin

Fotos: © Sabine Lippert (10)

Rolf Kissel in der Vernissage (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Konstruktivistische Intentionen dominieren das künstlerische Werk des Avantgardisten Rolf Kissel, da bleibt nur wenig Spielraum für imaginative Intuition. Hilmar Hoffmann bezeichnete Kissel als „führenden Protagonisten der künstlerischen Nachkriegsgeneration“.

1929 in Frankfurt am Main geborenen und hier lebend, absolvierte Rolf Kissel 1961 die Frankfurter Städelschule, die Staatliche Hochschule für Bildende Künste, als Meisterschüler bei Professor Albert Burkart. Und schon 1966 erhielt er den Preis für „Junge Kunst in Hessen“ der Frankfurter Marilies-Hess-Stiftung. Er ist Mitglied der Neuen Darmstädter Sezession und des Deutschen Künstlerbundes e.V. in Berlin. Auch blickt er auf zahlreiche Einzelausstellungen zurück und hat Auftragsarbeiten im öffentlichen und architekturbezogenen Raum stehen.

Variation, nicht Reduktion, ist das Anliegen dieses Künstlers, obwohl er sich seit seinen frühen Licht-Reliefs der 1960er Jahre immer wieder auf die „unbunte“ Farbe Weiss beschränkt.

Dabei gelangte er nicht über die Reduktion von Farbe zum Weiss, sondern Weiss war als Summe der Komplementärfarben und als Reflexion des Lichts von Anfang an da.

Rolf Kissel versteht sich als Lichtkünstler im umfassenden Sinne. Raum und Zeit beansprucht er als seine Aktionskoordinaten. Er will mit seinen Licht-Reliefs den Raum erobern und in seinen Aqua-Farbcollagen der verlorenen Zeit nachspüren, im Sinne von Marcel Proust „à la recherche du temps perdu“.

Was finden wir, als Betrachter, von diesen Intentionen in seinem Werk wieder? Wenn wir einen Rundgang durch die kleine, feine Ausstellung in der Frankfurter Galerie Das Bilderhaus machen, die einen Bogen über alle Schaffensperioden Rolf Kissels spannt.

Betreten wir den fast sakral anmutenden weissen Raum der frühen, technisch durchnummerierten Licht-Reliefs der 1960er Jahre. Keine schrillen Farben lenken vom Wesentlichen ab. Man verspürt die Nähe zur statischen Op-Art, erwachsen aus den experimentellen Traditionen des Bauhauses und des russischen Konstruktivismus.

Raum mit weissen Licht-Reliefs, 1960er Jahre, Holzreliefs, bemalt, Acryl

Die mit weisser Acrylfarbe bemalten Wandobjekte aus Holz mit den verleimten, erhaben oder vertieft angesetzten Holzlamellen unterschiedlichster Profile bilden Raum- und Flächenformen.

LR2-2, 1967, Holzrelief, bemalt, Acryl, 77 x 124 cm

Durch den Perspektivwechsel des Betrachters verschieben sich diese zu immer neuen Formverbindungen. Weiss ist dabei nicht nur für Rolf Kissel eine Verweigerung der Farbe und gleichzeitig ein Medium, das durch Lichteinfall und Schatten selbst farbig wird.

Diese Phase seiner Kunst trifft in die Zeit des „ZERO“, einer europäischen Form von künstlerischer Reduktion, bei der die Klarheit der reinen Farbe und die dynamischen Lichtschwingungen im Vordergrund stehen. Der Verzicht auf alles Figürliche ist darin ganz selbstverständlich impliziert.

In den 1970er Jahren entstehen dann seine in Aluminium gegossenen Reliefs, die er weiterhin Licht-Reliefs nennt und deren Krönung das architekturbezogene Licht-Relief von 1974 am Kongress-Zentrum des Mannheimer Rosengartens bildet.

AL-O-A, 1975, Aluminium auf Holz, 80 x 80 cm

Seitenansicht AL-O-A, 1975, Aluminium auf Holz, 80 x 80 cm

Drei dieser schillernden, spiegelnden und rhythmisierten Raum- und Flächenformen aus Aluminium, montiert auf monochrom bemalten Holzplatten, sind im ersten Ausstellungsraum zu sehen, begleitend auch die beiden „Tektura“-Zeichnungen, als formale Vorstudien dazu.

Angeregt durch sein soziales und politisches Engagement als Künstler, durch die Auseinandersetzung um die Reste des jüdischen Ghettos am Frankfurter Börne-Platz in der Arbeit „Börneplatz – Restrisiko Geschichte“, 1989, und durch seine Zeichnungscollagen „Briefe aus Weimar“ von 1994/1995, kommen in seinen Arbeiten auf Papier und Holz, seit den 1990er Jahren bis heute, vermehrt vereinzelte Buchstaben sowie ganze sinngebende Wörter nicht aus typographischer Sicht, sondern als bildnerische Formelemente zum Tragen. Parallel dazu hält durch geometrische Strukturen gebändigte Farbe in seine Werke Einzug. Zusammen lösen diese Elemente beim Betrachter eigene emotionale und gedankliche Assoziationen aus.

3 lettere biglietti, 1998 bis heute, Farbe + Schrift auf Papier + Collage, je 50 x 50 cm

Die von links nach rechts in der aufsteigenden Diagonale versetzten, Piet Mondrian und „De Stijl“ paraphrasierenden Farbquadrate seiner „Lettere Biglietti“, einer 1998 begonnenen und bis heute fortgeführten Serie von Aqua-Farbcollagen, speichern vergegenwärtigte Erinnerungen an die Farben italienischer Städte wie Rom, Assisi, Urbino, Venedig, und verbinden sie mit durch Worte vermittelten Zeitabläufen.

lettera biglietti (jetzt), 1998, Farbe + Schrift auf Papier + Collage, 50 x 50 cm

ciao, 1999, Farbe + Schrift auf Papier + Collage, 50 x 50 cm

Ebenso die mit dem Horizont von Wasser, Meer und See spielende malerische Serie kleinformatiger Aqua-Farbcollagen.

Und sie stachen in See per Sieb, 2005, Farbe + Schrift auf Papier + Collage, 43 x 32 cm

Diese Sujets lösen beim Betrachter Erinnerungen und Imaginationen aus, veranlassen ihn, nach dem Leben hinter den Dingen und Erscheinungen zu suchen.

Ein Sein im Vergangenen, Gegenwärtigen und Zuküftigen, so versteht Rolf Kissel sein „In der Zeit sein“, wie er seine Retrospektive zum 80. Geburtstag betitelt hat.

NRE 13, 1992, Bleistift + Farbe + Schrift + Collage auf Holz, 70 x 70 cm

Und wir stellen fest: Zeit, die im Kunstwerk konserviert wird, ist für ihn keine verlorene Zeit.

Marcel Proust und Ernst Bloch haben ihn beschäftigt und er hat ihnen, ihrem Verständnis von Zeit, einige Werke gewidmet.

RS 2-8, 2005, Holzkonstruktion, bemalt, Acryl, 49,5 x 14,5 cm;
LR-E1, 1969, Holzrelief, bemalt, Acryl, 41 x 38,5 cm;
RS 2 – Nr.3, 2005, Holzkonstruktion, bemalt, Acryl, 54 x 21 cm

Beenden wir nun den Rundgang durch die Rolf Kissel-Ausstellung in der Galerie Das Bilderhaus mit dem Ausblick auf zwei zarte, feingliedrige und farbige Raumkonstruktionen von 2005 aus mit Acryl bemaltem Holz, die in die Nähe von Kazimir Malewitsch anzusiedeln sind. Da leuchtet uns aus der geometrischen Konstruktion wieder das Wort „Randzone“ entgegen und wir entdecken im Rückblick, dass Rolf Kissel seine Grenzen noch lange nicht erreicht hat, weil er sie stets auf’s Neue kreativ überschreitet.

Rolf Kissel kommt es auf ein sinnliches Erlebnis, auf eine Sensation im ursprünglichen Sinn des Wortes an. Lassen Sie sich die Sensation dieser Ausstellung – und das nicht nur im Sinne des Ungewöhnlichen, sondern als Erlebnis – nicht entgehen! Freilich fordert sie auch Konzentration, Zeit und Lust am Schauen.

(abgebildete Werke © Rolf Kissel)

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