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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Am „Webstuhl der Zeit“: Michael Beutler in der Galerie Bärbel Grässlin

Von Erhard Metz

Im Kleinen kann sich mitunter das Grosse zeigen, wie sich Grosses umgekehrt oft nur als Kleines entpuppt. Manchmal aber entfaltet sich Grosses im Grossen, in der voluminösen Form. Wenn man Glück hat, kann man einer solchen Offenbarung angesichtig werden. Wie heuer im Kunsttempel der Frankfurter Galerie Bärbel Grässlin.

Dort hat der an Lebensjahren noch junge, hochbegabte Städelschul-Absolvent Michael Beutler eine monumentale Arbeit installiert, um deren wuchtige Präsenz und Kraft ihn mancher um ein Alterswerk ringender Künstler bestaunen wie beneiden mag. Ihr Titel: “ ‚Elefant und Schwein im 3D-Wandteppichstall‘, 2010, 3D-Webstuhl, Schneidemaschine, Tragehilfen, Wellpappe aus Schrenzpapier, Karton, Tusche, Textilfarbe, Mindestvolumen 8,5 x 13 x 5 m“.

Womit auch deren Dimension geklärt wäre.

Im Zentrum dieser Arbeit, die den grossen, mit Beutlers „Wandteppichen“ verkleideten Ausstellungssaal der Galerie zur Gänze für sich vereinnahmt, steht ein gewaltiger Webstuhl.

Webstuhl

Ein Webstuhl? Der Betrachter ist um sich rasch einstellende Assoziationen und Reminiszenzen kaum verlegen: Die Weberaufstände in Schlesien des Jahres 1844, so kramen wir unser zu verblassen drohendes Wissen hervor, bildeten vor dem Hintergrund der einsetzenden „industriellen Revolution“ und des Aufkeimens einer Arbeiterklasse einen der Nährböden der 1848er politischen Revolutionen und der Mitte Mai gleichen Jahres eröffneten Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Sie lieferten Heinrich Heine den Stoff zu seinem schon unter Zeitgenossen zur Legende gewordenen Gedicht vom Juni 1844 ebenso wie später Gerhard Hauptmann zu seinem naturalistischen Schlüsseldrama von 1893. Zu einer Metapher der besonderen Art geriet Goethes faustischer „Webstuhl der Zeit“.

Und unserem Wunsch nach Verdrängung widersetzt sich bei Betrachtung der Maschinerie bei all ihrer friedlich-hölzern anmutenden Konstruktion doch einigermassen hartnäckig die Erinnerung an Franz Kafkas grotesk-grausame Apparatur in seiner Erzählung „In der Strafkolonie“.

Nun neigen – und leiden – wir an Lebensjahren vorangeschrittenen Deutschen gern dazu bzw. daran, alles und jedes uns Beeindruckende in Goethescher, gar Kant- und Hegelscher Sinngebung zu überhöhen, kaum ermessend, was wir unserem jungen Künstler-Protagonisten gegebenenfalls damit antun. Versuchen wir es deshalb mit einer Beschreibung des Gesehenen:

Michael Beutler errichtete in jenem grossvolumigen Ausstellungssaal einen aus Holz gefertigten, allein mit menschlicher Kraft zu betreibenden Webstuhl (Elefant). Dessen Produkt sind aus schrenzpapierner Wellpappe gefertige, zu „Teppichen“ zusammengefügte und verknüpfte plastische, „dreidimensionale“ Elemente, mit denen er die Wände und den Eingangsbereich deckenhoch verkleidet. Die papiernen Materialbahnen liefert ihm eine ebenfalls in dem Raum positionierte, wiederum weitgehend aus Holz gearbeitete Schneidemaschine (Schwein). Im laufenden Fertigungsprozess der mit Hilfe der Maschinen produzierten Wandverkleidung „mauert“ sich der Künstler samt seiner Apparate gewissermassen ein. Dieser Prozess ist – ebenso wie die spätere Dekonstruktion der Arbeit – integraler Bestandteil des künstlerischen Produkts. Dieses wiederum konzipiert und realisiert Beutler exakt auf die jeweilige Ausstellungssituation, den individuellen Ausstellungsraum hin.

An aus mächtigen Quadern erstellte Mauern gewaltig dimensionierter antiker Tempelanlagen und imperialer Herrscherpaläste erinnern uns die „Wandteppiche“, ihrer papiernen Substanz geschuldet jedoch zugleich in ihrer ironisierten Attrappenhaftigkeit entlarvt. Monumentalität und Wehrhaftigkeit wird durch die simple Fragilität des Materials konterkariert. Was hilft uns all unser Einmauern und Abschotten?

Und ein Aufbegehren wollen wir in diesen archaisch anmutenden, aus einfachen Materialien gefertigten, sinnfällig von menschlicher Muskelkraft zu bedienenden Maschinen verspüren: gegen eine brutal industrialisierte Arbeitswelt, gegen eine  Zerstörung menschlich-handwerklicher Kreativität, des menschlichen Raum- und Zeitmasses.

Schneidemaschine

Und wir kehren zu Goethe zurück, der im „Faust“ den von seinem ungeduldig forschenden Protagonisten angerufenen Geist rätseln lässt:

„In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall’ ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.“

In der Halle der Galerie eine in ihrer Länge immerhin bereits drei Meter messende weitere handgefertigte und per Hand zu bedienende Maschine des Künstlers, auf denen er die Einladungskarten zur Ausstellungseröffnung druckte:

„15,6 x 21,4 Kartenmangel“, 2010, Holz, Hartfaserplatte, Schnur, Weinkanister, Kupferrohr, Isolierschaum, Baumwollstrumpf, Einladungskarten, Zeichentusche, 105 x 300 x 70 cm

Michael Beutler wurde 1976 in Oldenburg geboren. Von 1997 bis 2003 studierte er an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – Städelschule – in Frankfurt am Main. Seine Arbeiten wurden durch zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland bekannt. Beutler lebt und arbeitet in Berlin.

Michael Beutler in der Vernissage vor seinem Wandteppich

Galerie Bärbel Grässlin, „Michael Beutler“, bis 23. Oktober 2010

(abgebildete Werke © Michael Beutler; Fotos: Erhard Metz)

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