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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ilse Dreher: Reflexionen und Metamorphosen

Ilse Dreher:
Reflexionen und Metamorphosen – Fangbilder und Stills

Von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin

Catch me, if you can! Dieser Herausforderung der Realität stellt sich Ilse Dreher in jedem ihrer Werke – seien es die grossformatigen Fotografien, ihre Wachs-Material-Collagen oder ihre Objekte. Sie bedient sich dabei ihrer intensiven Wahrnehmung, eines ausgeprägten, auf trial and error ausgerichteten Spieltriebs und meditativer Qualitäten.

So entstehen ihre wunderbaren Fangbilder und Stills, wie ich ihre Werke nennen möchte.

Ilse Drehers Vorgehensweise unterscheidet sich von der herkömmlichen, von den Ägyptern überlieferten Enkaustik der frühchristlichen Mumienporträts und auch von deren Wiederaufnahme durch die Pop-Art, wenn letztere, und zwar Jasper Johns‘ Flaggenbilder, sie auch dazu angeregt haben: Sie macht keine Wachsmalerei im eigentlichen Sinne, sondern setzt das Wachs als Bindemittel für ihre Material-Collagen ein, wobei sie dem weiss opaken, aus Erdöl gewonnenen 100-prozentigem Paraffinwachs, welches nach dem Schmelzen bei ca. 52 bis 54 Grad glasig wird, auch Farbpigmente beimischt. Durch das sukzessive Giessen der mehrfach auf den festen Bildträger aufgetragenen und in Schlieren verfliessenden, heissen Schichten erzeugt sie spezielle Oberflächenqualitäten. In dem schnell trocknenden Wachs verfangen sich dann, wie in einem Klebstoff, die „gefundenen Gegenstände“ in neuen Sinnzusammenhängen, als skulpturale Erweiterung der Collage, wie das ähnlich schon der Dadaismus praktiziert hat.

Sammelnd erweitert Ilse Dreher im Alltag und auf Reisen ihren Fundus an objets trouvés, um von den vorgefundenen, fetischartigen Materialien, ihrem Gestaltungswillen folgend, kleine, fragile Teile für ihre Collagen auszuwählen – Spuren von Treib- und Schwemmgut an maritimen Stränden, Sand, Netze, Folien, Schnüre, Stahlwolle, Baumwolle, Späne, Styroporbällchen, Samenkerne, Blätter und Blüten.

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Sand und orange Folie, 2005, Wachs-Material-Collage, 80 x 60 cm

Man könnte sogar etliche der in den letzten dreissig Jahren entstandenen Artefakte Ilse Drehers auch wortwörtlich als Manufakte bezeichnen, denn manus, die Hand, erhält als vorherrschendes Kompositionselement, in Form von emotional bewegten Latex-Handschuhen und expressiv ausgestopften und bemalten Latex-Hand-Arm-Prothesen, eine symbolische Bedeutung.

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Hände im Netz, 2005, Wachs-Material-Collage, 80 x 60 cm

Die Hand ist nicht nur Subjekt, im Sinne von fatto a mano oder handmade, sondern wird zum surrealen Bildobjekt der Wachs-Material-Collagen und Objekte.

Hand in Sand-380

Hand in Sand, 2005, Wachs-Material-Collage, 80 x 60 cm

Die wirklichen Highlights ihrer künstlerischen Laufbahn aber bilden die seit Ende der 1990er Jahre entstandenen, grossformatigen Foto-Zyklen zu den vier Elementen der Natur, die Ilse Drehers steile Entwicklung seit ihrer ersten Foto-Ausstellung von 1972 in München bezeugen.

Dabei spielt das reissende Wildwasser eines Gebirgsflusses in den Bergen oberhalb von Aubenas, einer Stadt in Frankreich im Département Ardèche der Region Rhône-Alpes, eine fast magische Rolle. Immer wieder zieht es die Fotografin dorthin.

Wasserreflexion-400

Wasserreflexion, 2009, Fotografie auf Aludibond, 100 x 150 cm

Es ist der genius loci, es sind die Urkräfte des Ortes, die energetische Verbindung von über Kalkgestein und Karst fliessendem Wasser mit der Wasserflora, dem Licht, dem Wind und besonders der Sonne. Denn je nach Jahres- und Tageszeit fallen die Sonnenstrahlen in unterschiedlichem Winkel auf die tosende, rauschende, hüpfende, sich kräuselnde oder glatte Wasserobefläche ein.

Wasser Gestein

Wasser Gestein, 2010, Fotografie auf Aludibond, 48 x 48 cm

Für die in Aufsicht realisierten Makroaufnahmen geht die Fotografin in den Fluss hinein, an die Stellen, wo sich das Licht am besten bündelt und so eine Wirkung entsteht, bei der Steine, facettenreiche Gesteinsschichten und Algen am Boden zu leuchten beginnen.

So wandelt sich, in ihren Fangbildern und Stills, Sonne zu Feuer, und Wasser – durch Sonnenlicht – zu Goldwasser.

Goldgrünes Wasser

Goldgrünes Wasser, 2010, Fotografie auf Aludibond, 48 x 48 cm

Aber ebenso haben es ihr die Spuren der Wellen an maritimen Stränden angetan, wo der feuchte Sand tausendfach im Sonnenlicht zu glitzern beginnt, oder die grandiosen feurigen Sonnenuntergänge.

Sandwellen

Sandwellen, 2010, Fotografie auf Aludibond, 48 x 48 cm

Es sind die seltensten Momente, die in diesen Makroaufnahmen eingefangen werden, und Ilse Dreher scheint jedesmal auf‘s Neue den Anblick der Natur zu beschwören: „Verweile doch! Du bist so schön!“, um dem gleissenden Spiel der Sonnenstrahlen magische Präsenz und Dauer zu verleihen.

Meduse-Sylt Qualle

Meduse – Sylt-Qualle, 2010, Fotografie auf Aludibond, 48 x 48 cm

Die so entstehenden abstrakt, fast tachistisch, räumlich und haptisch wirkenden Fotografien sind das Ergebnis eines sehr intensiven und anhaltenden Wahrnehmungsprozesses, der von der Künstlerin nicht nur Talent, sondern auch Konzentration und meditative Fähigkeiten erfordert.

Wasser tiefblau

Wasser tiefblau, 2010, Fotografie auf Aludibond, 48 x 48 cm

Die Intensität der Farben und die Vielzahl der Farbnuancen dieser grossformatigen Fotografien Ilse Drehers werden immer öfter verstärkt durch das edle Finishing: als randlose Kaschierung der Ausbelichtung auf Alu-Dibond; dies lässt die Fotografie im Raum schweben und verleiht dem Motiv eine exquisite Wirkung. Hingegen wählt die Fotografin für die Sandflächen den direkten Print auf reine Aluminiumplatten.

Aber Ilse Dreher spielt und lässt spielen. Die als Spielen bezeichneten Bewegungsabläufe und Interaktionen beruhen auf der Basis von Versuch und Irrtum, einer heuristischen Methode, um Probleme zu lösen, bei der solange zulässige Lösungsmöglichkeiten probiert werden, bis die gewünschte Lösung gefunden wird. Dabei wird oft bewusst auch die Möglichkeit von Fehlschlägen in Kauf genommen.

Wuerfelobjekt-600

Interaktives Würfelobjekt, 2009, 9 Würfel beschichtet mit Detailfotografien, je 30 x 30 x 30 cm

Spannend wird es, wenn Ilse Dreher mit präzise zugeschnittenen, puzzleartigen Details ihrer Wasser-Makrofotografien ein grosses Interaktives Würfelobjekt gestaltet, bestehend aus einem Prototyp-Würfel und neun Elementar-Würfeln, mit jeweils sechs 30 x 30 cm grossen Seitenflächen, ein mehrteiliges Objekt also, das sowohl einzelne als auch mehrere Betrachter zum Spiel verleiten kann und als Kunstobjekt deren Wahrnehmung schärfen soll.

Es erinnert nicht nur an Ernő Rubiks Zauberwürfel, den Rubik Cube, der 1980 als bestes Solitärspiel ausgezeichnet wurde, sondern auch an die Happy Cubes, eine Puzzle-Reihe, die seit 1986 produziert wird, zurzeit von der im belgischen Zoersel ansässigen Firma Happy.

So verewigt Ilse Dreher die Magie des Spiels sowohl in ihren Fotografien und Objekten als auch in ihren Wachs-Material-Collagen und beschwört Erdgeister, Wassergeister, Luftgeister und Feuergeister, oder Gnomen, Undinen, Sylphen und Salamander.

Schauen Sie selbst, wie es ihr gelingt, dem Vergänglichen, dem Fluiden und Ephemeren Eternität zu verleihen.

Die 1950 in Dreieichenhain geborene, seit fast vierzig Jahren selbstständige Künstlerin, Fotografin, Designerin und Spieleautorin absolvierte eine Fotografenausbildung. Sie besuchte die Fotoschule Hamburg und studierte danach Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach. Dreher stellt kontinuierlich im Raum Frankfurt am Main sowie in ihrer Stadt Dreieich, aber auch bei den Schwabacher Kunsttagen oder im französischen Aubenas aus.

Ilse Drehers Ausstellung Reflexionen und Metamorphosen ist bis zum 20. August 2010 zu Bürozeiten in den Räumen der sozial-ökologischen GLS Bank Frankfurt, Am Hauptbahnhof 6, in Frankfurt am Main zu sehen.

(Abbildungen © Ilse Dreher)

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