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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„The Frankfurt Selection“: Dirk Baumanns, Uwe Groß und Natalie Vu in der Galerie Planet Vivid

Von Erhard Metz

Da sind wir mal wieder bei einem alten Thema: dem Verhältnis nämlich zwischen den scheints ewigen Antagonisten Frankfurt und Offenbach, Gegenstand mal mehr, mal weniger gelungener Witze. Heuer haben wir insoweit rundherum Neues wie Gutes zu vermelden:

„The Frankfurt Selection“ betitelt „Planet Vivid“-Galeristin Helen Hofmann ihre neueste Ausstellung mit Arbeiten von Dirk Baumanns, Uwe Groß und Natalie Vu. Aber: Groß und Vu studierten – und Baumanns, der jüngste unter ihnen, studiert noch – an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG). Jedoch setzten Groß und Vu anschliessend ihr Studium an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste, der Frankfurter Städelschule, fort, Groß als Meisterschüler von Jörg Immendorf, Vu als Meisterschülerin von Christa Näher.

Was angesichts solcher „Grenzüberschreitungen“ aktuell bei Planet Vivid herauskam, kann sich weit über das Rhein-Main-Gebiet hinaus sehen lassen: eine eindrucksvolle Werk- und Leistungsschau dreier hochbegabter Künstlerinnen und Künstler aus der Region, in einer überaus gelungenen Zusammenstellung und überzeugenden Präsentationsdramaturgie von Gegensätzlichem wie einander Ergänzendem.

Uwe Groß , 1963 in Frankfurt am Main geboren, der sicherlich derzeit Arrivierteste dieses künstlerischen Dreigestirns, studierte zunächst von 1981 bis 1984 an der HfG Industriedesign und von 1989 bis 1995 Freie Malerei an der Städelschule bei Jörg Immendorff, dessen Erster Meisterschüler er 1995 wurde. Seit 2003 lehrt er als Dozent an der Freien Kunstakademie Hohenaschau. Groß stellte vielfach im In- und Ausland aus, eine Anzahl seiner Arbeiten befindet sich in öffentlichen und privaten Sammlungen.

Serpentina in Dresden I, 42 x 59 cm, Kreide auf Papier-400

Serpentina in Dresden I, 2005, 42 x 59 cm, Kreide auf Papier

In seinen narrativen Arbeiten rekurriert Groß auf Themen aus der Literatur, die er mit Aspekten und Personen aus seinem eigenen Leben als Künstler verbindet. Auf diese Weise verfuhr er bereits mit dem Märchen vom „Goldenen Topf“ von E. T. A. Hoffmann oder dem Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist. Der jetzt bei Planet Vivid ausgestellten, zehn Arbeiten im Format 42 mal 59 cm umfassenden Serie liegt „Affe und Wesen. Ein Roman aus der Zeit nach dem Atomkrieg“ von Aldous Huxley zugrunde. Obwohl es sich bei dem Zyklus „lediglich“ um in Kreide ausgeführte Vorskizzen zu einer wohl wieder grossformatigen Ölmalerei handelt, die sich in Arbeit befindet, stellt er bereits ein eigenständiges, in sich geschlossenes erzählerisches Werk dar.

Einführung, 42 x 59 cm, Kreide auf Papier-340

Einführung, 2010, 42 x 59 cm, Kreide, Pastell auf Papier

Groß hat längst, inspiriert von seinem verehrten Lehrer und „Meister“ Jörg Immendorff, in seinen wie erwähnt zumeist grossformatigen Arbeiten eine spezifische allegorische Bildsprache voll Symbolik und von besonderer Sinnlichkeit entwickelt.

„Durch die stückartig zusammengefügten Hintergründe und Farbkontraste erhält seine Malerei“, schreibt Helen Hofmann, „eine enorme Präsenz, der man sich als Betrachter nur schwer entziehen kann.“

Uwe Groß, Gleich Mittendrin, 42 x 59 cm, Kreide auf Papier-400

Gleich Mittendrin, 2010, 42 x 59 cm, Kreide auf Papier

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Ausstellungsansicht (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Natalie Vu, 1974 in Bochum geboren, studierte nach einer Ausbildung an der Frankfurter Schule für Bekleidung und Mode sowie zahlreichen Auslandsaufenthalten von 2002  bis 2007 an der HfG Malerei, Freies Zeichnen und Illustration; 2007 legte sie ihr Vordiplom im Fach Freie Gestaltung ab. Von 2007 bis 2009 setzte sie ihr Studium an der Städelschule fort mit dem Abschluss als Meisterschülerin von Professor Christa Näher.

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Ausstellungsansicht, im Zentrum: Word in a Straight Jacket, 2010, 100 x 128 cm, verschiedene Textilien, Textilfarbe, Acryl, Garn, Ölpastelle (Foto: FeuilletonFrankfurt)

„Man möchte immer wieder Beweise dafür, dass man da gewesen ist. Auf unserem Weg sammeln wir Andenken wie Fotos, Dokumente, Videos usw. Kleine Erinnerungen für das, was gewesen ist und erlebt wurde. Beweise dafür, dass wir da waren. Das, was sofort abrufbar ist, sind die intensiven Zeiten. Das Gefühl des Glücks vergeht schnell, die Leichtigkeit ist so leicht, dass man sie kaum halten kann. Harmonische Zeit wird genossen, man zählt nicht die Minuten, wenn es einem gut geht. Aber man zählt jede Sekunde des Leidens. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit den schwierigen Zeiten des Lebens. Mich haben sie mehr geprägt als alles andere“, erzählt Natalie Vu.

Word in a straight Jacket, 100 x 128, Versch. Textilien, Textilfarbe, Acryl, Garn, Ölpastelle-A-600

Word in a Straight Jacket (Detail)

Einem Tagebuch vergleichbar, mit genauen Zeitangaben versehen hält die Künstlerin in „Word in a Straight Jacket“ Erlebnisse, Wahrnehmungen und Befindlichkeiten fest. Das „Jacket“ mag für ein Umgebendes, ein Um- und Verhüllendes stehen: Leben und Spielen, Drängen und Warten, Handeln und Verweilen, Blut und Krankheit, Versuchen, Verschwenden und am Ende Vergeblichkeit.

„The End“ markiert ein von falschem Grün umgebenes Reihendoppelhaus, die menschenleere Terrasse durch ein Spaliergitter aus dem Baumarkt geteilt, diesseits eine Hollywood-Schaukel, jenseits ein Gartenkamin, Metaphern obligatorischer wie sinnentleerter Freizeitgestaltung. In Fingerabdrücken dokumentiert sie – auf eindringliche, fast bedrängende Weise – Anwesenheit, Individualität und Existenz. Fake und Fade, Schein und Vergänglichkeit, werden als Bedrohungen wahrgenommen.

Fak 'n' Fade, 39,5 x 50,5 cm Textilien, Textilfarbe, Acryl, Garn-430

Fak ’n‘ Fade, 2010, 39,5 x 50,5 cm, Textilfarbe, Acryl, Garn

In ihren Arbeiten näht Natalie Vu Motive, Symbole und Worte, die sie, Collagen vergleichbar, zusammenfügt. „Das Nähen ist eine meditative Arbeit“, sagt sie, „die viel Zeit in Anspruch nimmt. Zeit, in der ich die gesammelten Stücke, in Gedanken, wie ein Puzzle zusammenfüge.“

In Ketten gefesselte Hände, die einander suchen, ergreifen, die geben und empfangen wollen – Ausdruck von Sehnsucht nach einer anderen, besseren Gesellschaft.

O.T. 45,5 55,5, Textilien, Textilfarbe, Acryl, Garn-380

O.T., 2010, 45,5 x 55,5 cm, Textilfarbe, Acryl, Garn

Dirk Baumanns, 1980 in Offenbach geboren, nahm 2003 das Studium (Malerei, Freies Zeichnen und Performance) an der HfG auf. 2007 legte er das Vordiplom ab, 2008 war er Preisträger des EVO-Kunstwettbewerbs “Künstler der Region” und 2009 Stipendiat der Johannes Mosbach-Stiftung. Seit 2006 stellte er in Frankfurt am Main und Offenbach sowie in Berlin, Rom, Salzburg und Zadar aus; daneben zeigte er in Frankfurt und Offenbach Performances. Baumanns lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

Dirk Baumanns, Burnout, Öl auf LW, 168,5x135cm-600

Burnout, 2010, 168,5 x 135 x 5 cm, Öl auf Leinwand

Baumanns jetzt bei Planet Vivid gezeigte, abstrakte wie auch in Ansätzen figurative, stets expressive Arbeiten erscheinen dreidimensional und muten in manchem skulptural an: Er trägt die oft lebhaft wirkenden, leuchtenden, mitunter grellen Ölfarben pastos in dicken und verschiedenfarbigen Schichten auf die Leinwand auf, die er anschliessend durch Auskratzen bearbeitet, wobei er die Schichten wieder freilegt. Manche seiner Arbeiten lesen sich, Atlanten ähnlich, wie aus grösserer Höhe aufgenommene topografische Darstellungen mit Gebirgen, Ebenen und Meeren. Meistens jedoch stehen der Mensch und seine Umwelt, die Natur in ihrer Bedrohtheit im Mittelpunkt.

Bound together, 45,2 x 37,7, Öl auf LW-585

Bound together, 2009, 45,2 x 37,7 x 2,5 cm, Öl auf Leinwand

Baumanns „gekratzte “ Arbeiten wirken energetisch aufgeladen, mitunter explosiv. „Das ‚Kratzen‘ „, schreibt Helen Hofmann, „ist ein Synonym für den zunehmenden Stress und psychische Überbelastung in der heutigen Gesellschaft. Bei Tieren als auch beim Menschen kann es geschehen, dass dieser emotionale Überdruck zu Selbstverletzungen durch Kratzen führt. Dirk Baumanns überträgt diese psychische und emotionale Energie auf das Medium der Malerei.“

Peng, 45,5 x42,3 cm, Öl auf LW-530

Peng, 2010, 45,5 x 42,3 x 2,5 cm, Öl auf Leinwand

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Vernissage: Natalie Vu, Dirk Baumanns, Galeristin Helen Hofmann und Uwe Groß (Foto: FeuilletonFrankfurt)

Galerie Planet Vivid, Frankfurt am Main, bis 31. August 2010

(Abbildungen, soweit nicht anders bezeichnet, Galerie Planet Vivid; abgebildete Werke © die Künstlerin bzw. Künstler)

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