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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Blütenstaub: Wolfgang Laib im MMK-Double

„Blütenstaub von Haselnuss, 1980“

so lautet der Titel einer Arbeit von Wolfgang Laib, die er im Mai 1981 im Kabinett für aktuelle Kunst in Bremerhaven installierte und im April 2010 im Rahmen der Ausstellungsreihe „Double“ des Frankfurter Museums für Moderne Kunst MMK im von Gregor Schneider rekonstruierten „Kabinett für aktuelle Kunst“ wiederholte.

Von Erhard Metz

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Knapp 30 Jahre also ist es her, dass sich Wolfgang Laib zum ersten Mal andächtig und in versammelter Haltung auf dem Boden knieend über seine Arbeit beugte: Er bedeckte eine Glasplatte mit Blütenstaub, in der gemeinen Sprache auch Pollen genannt. Es ist Blütenstaub von Haselnuss.

Haselnuss erblüht, weiträumig betrachtet, in den Monaten ab Januar bis in den April hinein. Laib hat dieses staubfeine Material – dem Titel seiner Arbeit entsprechend – wohl bereits im Winter und Frühjahr 198o mit dem Fleiss einer Biene vergleichbar „eingetragen“. Ein grösseres Einweckglas hat er, wie die Fotografie dokumentiert, mit der filigranen Kostbarkeit gefüllt.

Was für ein Unterfangen!

Bedenken wir: Wie mag der Künstler an den Blütenstaub gelangt sein? Er soll ihn, so wird berichtet, von den einhäusig zweigeschlechtlichen Haseln unmittelbar milligrammweise eingesammelt haben, durch Schütteln und Beklopfen der männlichen Blütenstände, der sogenannten „Kätzchen“. Ein Imker geht anders vor, er richtet vor den Einfluglöchern der Bienenhäuser eine entsprechende „Pollenfalle“ ein, also ein Gitter, durch das die heimkehrenden Bienen einfliegen und dabei ihre „Pollenhöschen“ abstreifen. Wieviel Geduld, wieviel Lebenszeit musste Laib aufbringen, um mit dem auf seine Weise gewonnenen Blütenstaub ein grösseres Behältnis füllen zu können?

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Der Künstler – knapp drei Jahrzehnte werden zwischen den beiden Fotografien liegen – nahm damals wie heute ein mit Baumwolltuch bespanntes Sieb zur Hand, das er beklopfte, um den Blütenstaub gleichmässig auf die gläserne Unterlage aufzubringen.

Wolfgang Laib, 1950 in Metzingen in eine pietistische Ärztefamilie geboren, studierte ebenfalls Medizin. Er schloss zwar 1974 mit der Promotion sein Studium ab, wandte sich jedoch anschliessend allein seinen künstlerischen Neigungen zu. Schon früh beschäftigte er sich mit fernöstlichen Kulturen und Philosophien, so mit dem Zen-Buddhismus und dem Taoismus, aber ebenso mit der europäischen mittelalterlichen Mystik eines Franz von Assisi. Zur Biennale Venedig 1982 trug Laib – neben Hanne Darboven und Gotthard Graubner – mit einer Arbeit aus Blütenstaub zur deutschen Ausstellungsbeteiligung bei. 1987 erhielt er den angesehenen Arnold Bode-Preis der „documenta“-Stadt Kassel.

In seiner kontemplativ-künstlerischen Arbeit wandte sich Laib von Beginn an natürlichen Materialen wie Bienenwachs, Blütenstaub, Milch oder Reis zu. 1975 trat er mit seinen ersten „Milchsteinen“ an die Öffentlichkeit: Er schliff flache, weisse Marmorblöcke nur wenige Millimeter tief aus und füllte diese Vertiefungen mit Milch zu einer waagerechten Fläche. 1977 begann er seine Arbeit mit verschiedenen Blütenpollen: von Kiefer, Haselnuss, Hahnenfuss und Löwenzahn.

Wir konnten dem künstlerischen Schöpfungsakt nicht beiwohnen, sondern wir sehen im MMK dessen Ergebnis und stellen uns vor, dass bereits dem langsamen und geduldigen Aufbringen des feinen Blütenstaubs auf die Unterlage etwas Feierliches, Zeremonielles innewohnt. Und dass man einem solchen „Material“, das seiner natürlichen Bestimmung nach für Fortpflanzung, neues Leben, für Zukunft steht, mit Ehrfurcht begegnen sollte. Der Künstler scheint dies zu tun, es scheint etwas Liebevolles, Bewahrendes in seinen Handlungen zu liegen.

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Wieder erfahren wir, wenn wir vor der gläsernen Wand des Ausstellungsraums stehen, den wir vereinfachend mit „Double“ bezeichnen, eine eigentümliche Situation: Die Tür zum Raum ist wie stets verschlossen, ein direkter Zugang zur ausgestellten Arbeit bleibt verwehrt. Sie kann nicht unmittelbar wahrgenommen, erfahren werden, sondern sie erschliesst sich mittelbar als ein integraler Bestandteil der gesamten Ausstellungssituation. Umgekehrt gewinnt der – immer wieder an einen kalten, unwirtlichen Plattenbau-Hauseingang erinnernde – Raum vor allem durch Arbeiten wie diejenige von Wolfgang Laib eine neue Qualität: Das warme Goldgelb des Blütenstaubs bringt etwas Verheissungsvolles in das Trostlose. Und zugleich werden wir der Ambivalenz dieser Ausstellung bewusst: ist doch dieses wundervolle „Material“ an jedweder Entfaltung gehindert, beschränkt auf ein bereits von der Architektur vorgegebenes, von den quadratischen Fliesen des Bodens erst recht beherrschtes Rechteck. Frei sich entfaltende Natur sieht anders aus. Assoziationen an eingesperrte Tiere, an in Barockgärten in groteske Zuschnitte gezwungene Büsche und Hecken, an eine vergewaltigte Natur stellen sich ein.

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Und ein letztes: Was geschieht mit dem Blütenstaub, wenn der Künstler seine Arbeit abbaut? Wird er ihn wiederverwenden? Wieviel daran wird verloren gehen? Und wird er im kommenden Frühjahr wieder in die freie Natur ausziehen, um erneut solchen kostbaren Stoff einzusammeln?

Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Ausstellungsreihe Double, nur noch bis zum 6. Juni 2010.

(Bildnachweis: Wolfgang Laib, Blütenstaub von Haselnuss, 1980, Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main)

 

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