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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Das Wesen im Ding“ im Frankfurter Kunstverein (2): Florian Haas

„Das Wesen im Ding“ – Wer oder was erwartet uns dieses Mal im Frankfurter Kunstverein?

Merkwürdige Gesellen haben sich dort eingefunden, soviel sei schon zu Beginn verraten, als da wären Rübling und  Schwindling, Porling und Saftling, Becherling, Ritterling und Täubling und sogar der legendäre Hallimasch.

Und was für Beinamen tragen diese Gesellen! „Am Ast gehen“, „Ganz alleine“, „Ein Herz und eine Seele“, „Erzieherin“ und „Alleinerzieherin“, „Carmen“ und „Lourdes“,  „Langes Gespräch“ und „Husten“, „Gouvernante“ und „Schneewittchen“, „Drei Kameraden“ …

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Florian Haas vor 66 Pilzbildern, 2002 bis 2009, jeweils Öl auf Hartfaser, 17,5 x 25 cm, Courtesy Künstler und Galerie Heike Strelow

Natürlich kennen Sie, liebe Kunstliebhaber und -liebhaberinnen, Florian Haas – vielleicht bringen sie ihn zu allererst mit der Künstlergruppe „finger“, der  „Frankfurter Stadtimkerei“ und natürlich dem Museum für Moderne Kunst MMK in Verbindung, auf dessen Dach er (zusammen mit Andreas Wolf) wiederholt einen Bienenstand – als ein gesellschaftsrelevantes Kunstprojekt – installierte.

Hier nun Florian Haas als Maler: Im Frankfurter Kunstverein zeigt er Pilze, so weit im Ausstellungssaal das Auge reichen mag. Allein 66 Bilder in kleinem Format, zu einem Tableau gehängt; hinzu kommen mehrere Arbeiten in grossem Format.

Mit seinen Autorenarbeiten (Malerei und Grafik) einerseits und seinen vielgestaltigen Gruppenprojekten andererseits wendet sich der Künstler an recht unterschiedliche Publika. Für erstere mögen aus jüngerer Zeit seine Einzelausstellungen in der Frankfurter Galerie Heike Strelow stehen, für letztere neben der bereits genannten „Stadtimkerei“ Projekte wie „Public Garden Public Generation“ in Aachen, „Observing Beast, Time, Evolution – Kunst und Naturwissenschaft“ in Hildesheim oder „Wollen Sie Ihrer Bank auch etwas mitteilen?“ im Frankfurter Projektraum finger. Stets haben seine Arbeiten und Interventionen einen institutions-, zeit- und gesellschaftskritischen Hintergrund, seien es die Eitelkeiten eines narzisstischen und hedonistischen Kunstbetriebs, sei es die Banken- und Finanzkrise samt ihrer gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen.

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Lourdes, 2010, Öl auf Leinwand, 130 x 96 cm, Courtesy Künstler und Galerie Heike Strelow

Neben den Bildern von Pilzen und Blumen – die er geradezu als Porträts gestaltet – beschäftigt sich Haas in seiner Malerei mit Landschaften, mit der Natur schlechthin. Den Pflanzen- und Pilz“porträts“ kommt vielfach ein allegorischer Charakter zu – wir erinnern uns an die eingangs aufgeführten Titel, die Haas seinen Pilzbildern gibt. Sein Malstil könnte „naiv“ genannt werden – naiv jedoch im Sinne einer Respektlosigkeit gegenüber dem Urteil der „Experten“ eines immer stärker kommerzialisierten Kunstbetriebs samt dessen Hitlisten. Also durchaus auch eine Provokation.

„Bei Haas entspringt das Malen“, schreibt Holger Kube Ventura, Chef des Frankfurter Kunstvereins, „eher dem Bedürfnis nach einer sensiblen Würdigung des Gegenstands: Es ist eine absichts- und funktionslose und daher respektvolle Beschäftigung mit ihm. Sie ist getrieben von der Neugier darauf, dass aus der künstlerischen Handlung quasi ungesteuert etwas Neues entstehen möge.“ Kritik an gesellschaftlichen Zuständen der Gegenwart, an Egoismus und Konkurrenzdenken, an Unterwerfung gegenüber dem Diktat der Ökonomie auch hier: In Haas‘ Arbeiten jedoch manifestiert sich diese Kritik als Darstellung einer Welt der schönen Natur, als eine – so Kube Ventura – „Würdigung natürlicher Organismen, die eine andere, friedlichere Form des Zusammenlebens vorzuschlagen scheinen“.

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Albert Speer zum 75. Geburtstag, 2010, Öl auf Leinwand, 97,5 x 145 cm, Courtesy Künstler und Galerie Heike Strelow

„Das Wesen im Ding“ zu ergründen – dazu scheinen uns in besonderer Weise Pilze herauszufordern. Pilze als geheimnisvolle Wesen, biologisch zwischen der Tier- und der Pflanzenwelt angesiedelt: Ihre heterotrophe Lebensweise teilen sie trotz ihrer Ortsgebundenheit mit den Tieren, von den Pflanzen unterscheiden sie sich durch die Unfähigkeit zur Photosynthese. Vielfach und fälschlich wird als Pilz lediglich der oberirdisch sichtbare knollen- oder hutförmige Fruchtkörper angesehen, der jedoch nur einen geringen Teil dieses Lebewesens ausmacht. Pilze erreichen mitunter hohe Lebensalter und riesige Dimensionen: Ein im Jahr 2000 im US-amerikanischen „Malheur National Forest“ (Oregon) entdeckter, über 2400 Jahre alter Armillaria ostoyae, ein Hallimasch, hat eine Ausdehnung von knapp 900 Hektar und dürfte nach Ansicht von Wissenschaftlern rund 600 Tonnen wiegen. Er wird als eines der grössten, von manchen überhaupt als das grösste Lebewesen der Erde angesehen.

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Carmen, 2009, Öl auf Leinwand, 85 x 120 cm, Courtesy Künstler und Galerie Heike Strelow

Florian Haas, 1961 in Freiburg/Breisgau geboren, studierte von 1983 bis 1988 an der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Professor Peter Dreher. 1990 bis 1992 folgte ein Aufbaustudium mit dem Abschluss Meisterschüler. Haas lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

(abgebildete Werke © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

→ “New Frankfurt Internationals” 2015: “Solid Signs” (4)

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