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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Das Wesen im Ding“ im Frankfurter Kunstverein (1): Nina Canell

Dunkel ist es in diesem Raum des Frankfurter Kunstvereins. Aber es ist nicht die Faust’sche Hexenküche, und es geht auch nicht ganz so knallend und zischend zu wie im Giessener Liebig-Museum, wenn der legendäre Professor Wolfgang Laqua dort vor staunendem Publikum seine chemischen Experimente zum Besten gibt. Aber es begegnet uns schon etwas Geheimnisvolles, es faucht und blubbert leise schäumend aus der Schüssel, und klackernde Töne, wie wir sie von einem Geigerzähler her kennen, verbreiten sich im Raum.

„Das Wesen im Ding“ ist die neue Ausstellung im Frankfurter Kunstverein betitelt. Sieben künstlerische Postionen werden dazu präsentiert. Es geht darum, wie Künstler die Natur- und Dingwelt durch deren Repräsentation und Imitation ergründen, um tiefere Erkenntnisse über das Wesen der Welt zu gewinnen. „Die Repräsentation der für wirklich gehaltenen Welt“, so der Frankfurter Kunstverein, „ist kaum noch ohne eine Reflexion der damit verbundenen Parameter möglich. Mit den unterschiedlichsten künstlerischen Strategien wie Serialität, Fragmentierung, Skalierung oder Auflösung entstehen nunmehr Abbildungen der Natur- und Dingwelt, die ihren Wirklichkeitsbezug in Frage stellen“.

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In „Morasko Circle“ – einer ihrer sieben ausgestellten Arbeiten  – baut Nina Canell eine kleine Installation, die auf den ersten Blick – den wir jedoch alsbald korrigieren werden – wie eine einfache naturwissenschaftliche Versuchsanordnung erscheint. Das Wasser in der Schüssel wird von derem Grund her etwas aufgewirbelt, ihm entsteigt bisweilen ein nebeliger Dampf, ein Mikrofon verstärkt blubbernde Geräusche über eine technische Apparatur zu jenem erwähnten Prickeln und Geigerzähler-Klackern, das wir so unauslöschlich mit hörbar gemachter radioaktiver Strahlung verbinden. Rote und schwarze Kabel leiten elektrische Ströme, eine profane Lampe, in künstlerischer oder kuratierender Absicht verbal zur „Laterne“ veredelt, beleuchtet die Szenerie.

Nur ein Baukastenspielchen? Was hat es mit dem „Morasko Circle“ auf sich?

Vor etwa 5.000 Jahren soll es sich begeben haben: Ein Meteorit stürzte dort zur Erde, wo heute das polnische, inzwischen nach Posen eingemeindete  Dörfchen Morasko liegt, nach welchem der Ausserirdische – nach seiner Entdeckung Ende 1914 – seinen Namen erhielt. Die Geschwindigkeit des Himmelskörpers mag zwischen 11.000 und 18.000 kmh betragen haben, als er in einer grossen Druckwelle zerberstend und verdampfend einschlug. Es bildeten sich mehrere Krater, zum Teil bis heute mit Wasser gefüllt.

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Liegt hier der Schlüssel zu jenem Geheimnis, das uns umhüllt, wenn wir in der Dunkelheit die Installation immer wieder im Kreis umschreiten, der vom grellen Lichtbündel enthüllten Dampfentwicklung ansichtig, das Prickeln und Klackern der Strahlungen unerreichbar ferner Welten im Ohr, von denen uns der einst dem Asteroidengürtel entflohene Meteorit kündet? Die banalen, armen Materialien, die Nina Canell zu ihrer skulpturalen Erzählung komponiert, gewinnen eine neue ästhetische, ja poetische Dimension. Unsichtbare Energien werden in Luft, Dampf und Licht, im Klang des seine Aggregatzustände wechsenden Wassers erahnbar. So wie der ganze kosmische Kreislauf. Das Universum.

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Abbildungen: „Morasko Circle“, 2007, Plastikschüssel, Nebelmaschine, Wasser, Acryl, Schlingenhalterung, Mikrofon, Laterne, PA-System; Ausmasse variabel; Courtesy Sammlung Christian Schwarm, Stuttgart; Fotos: FeuilletonFrankfurt

Nina Canell, 1979 im schwedischen Växjö geboren, studierte am Institute of Art, Design and Technologie in Dun Laoghaire, Irland, mit dem Abschluss Bachelor of Fine Art (1st Class Honours). Seit 2005 stellte sie in einer Vielzahl von Gruppen- und Einzelausstellungen ihre Arbeiten vor, unter anderem in Aachen, Antwerpen, Berlin, Dublin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Gwangju (Korea), Hamburg, Köln, London, Neapel und New York. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin und in Dublin.

 

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