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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Malerin Hélène de Beauvoir

Keineswegs ein Püppchen – Die Malerin Hélène de Beauvoir

Text und Fotografien: © Renate Feyerbacher

„Originell und eigenständig“

Kein Geringerer als Pablo Picasso hat sich so über die junge Künstlerin geäussert. Das war 1936: Hélène de Beauvoir war 25 Jahre alt und stellte zum ersten Mal in Paris aus.

Weg zur Freiheit

Hélène, am 6. Juni 1910 in Paris geboren, ist die einzige Schwester der berühmten Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir, die fast zweieinhalb Jahre älter ist. „Poupette“ (Püppchen) wird Hélène von ihr ein Leben lang genannt. Ein Kosename, den ihr zuerst die Mutter gab. Er war wohl abwertend gemeint. Jedenfalls fühlte sich Hélène in ihrer Kindheit und Jugendzeit von den Eltern zurückgesetzt, ja sogar unerwünscht, weil die Eltern lieber einen Sohn gehabt hätten. Simone dagegen, die Erstgeborene, hatte die volle Liebe der Eltern, einer überfrommen katholischen Mutter und eines reaktionären, frauenfeindlichen Vaters, der Agnostiker war. In den Wirren der Nachkriegsjahre um 1920 ging das Vermögen der grossbürgerlichen Familie – der Vater war Anwalt am Pariser Appellationsgerichtshof – verloren. Die beiden Töchter aus gutem Hause mussten einen Beruf ergreifen. Simone wurde Lehrerin, Hélène Malerin.

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Hélène de Beauvoir, Ausstellungsplakat (Ausschnitt); Bildrechte: Galerie Ludwig Hammer, Regensburg

Zwar fühlt sich Hélène durch diesen im Künstlermilieu angesiedelten Beruf als „Deklassierteste“ in der Familie, aber das stört sie nicht, sie ist stolz. Lange hatte sie nicht gewagt, sie selbst zu sein. Sie hatte nicht gewusst, ob sie das Recht dazu hatte. Auf Kinderbildern ist sie die Sanfte, Verträumte, Simone dagegen die Selbstbewusste, Trotzige. Dennoch war Hélène diejenige, die zuerst ihre Laufbahn forcierte.

Nach dem Abitur in Philosophie 1927 besucht sie zunächst verschiedene Kurse an Kunstakademien, dann folgt mit 20 Jahren die Aufnahme in die Kunstakademien „Colarossi“ und „Akademie Scandinave“. Ihr Studium verdient sie sich in einer Galerie. Die ältere Schwester finanziert ihr 1934 das erste Atelier. Dafür tippt Hélène Manuskripte für sie und für Jean-Paul Sartre, der mit Simone liiert ist. Dann arbeitet sie als Sekretärin in der Galerie Bonjean, wo sie auch Salvador Dali kennenlernt und wenig später ihre erste eigene Ausstellung hat, die Picasso besucht. „Ihre Malerei hat was“, lobt er.

Drei Jahre zuvor hatte sie im Zug Lionel de Roulet, ihren späteren Mann kennengelernt. Er war ein Schüler von Jean-Paul Sartre. Sie reist viel, unter anderem in die italienischen Kunststädte Florenz und Rom, nach Spanien, Portugal, wo sie während des Krieges bleibt und Lionel de Roulet – er ist persönlicher Referent von Charles de Gaulle – heiratet. In dieser Exilzeit malt sie Portraits, gestaltet grosse Wandbilder und schreibt Artikel über Kunst.

1945 nach Paris zurückgekehrt, wird ihr Mann Oberst und als Direktor des Informationsministeriums nach Wien versetzt. Um ihm dorthin folgen zu können, lässt sich Hélène zum Leutnant ernennen. Dann wieder ein Wohnungswechsel: Sie folgt ihrem Mann nach Belgrad, wohin er versetzt wird. Nach Paris kehren sie erst 1948 zurück, um zwei Jahre später wieder Umzugskisten zu packen. Ihr Mann wird Leiter des französischen Kulturzentrums in Mailand; erst 1957 verlassen sie die Stadt wieder in Richtung Paris. Aber nur drei Jahre gemeinsamer Zeit ist ihnen dort vergönnt, dann wird Lionel Direktor im Europaparlament in Straßburg. Die Umzugs-Odyssee ist endlich 1963 beendet, als sich das Paar einen alten verlassenen Weinbauernhof im elsässischen Goxwiller kauft.

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Goxwiller, 1960, Öl auf Leinwand, 130 x 95 cm

Künstlerisches Werk

Jahr für Jahr ab 1948 hat Hélène de Beauvoir Ausstellungen in Pariser Galerien und bis in die neunziger Jahre überall auf der Welt – auch in Berlin, in Regensburg und, 1961, im Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath. Dort sind nun anlässlich ihres 100.Geburtstages in diesem Jahr einige ihrer Bilder wieder ausgestellt.

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Gondeln, 1956, Öl auf Leinwand, 65 x 91 cm

„Kuben, Prismen und Kristalle“, unter diesem Motto stand eine Ausstellung in Paris in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre. Das Bild „Gondeln“ von 1956 könnte dabei gewesen sein. Eigenständig sind ihre Motive, beeinflusst von den Reisen nach Italien, Spanien, Marokko und Portugal. Sie orientiert sich nicht an Kunstrichtungen, sondern schafft ihre eigenständige Mischung aus Abstraktion, Tachismus, Konstruktivismus und Realismus. Konstruktiv wirkt die Hügelkette des Landschaftbildes, das vorwiegend aus Dreiecken besteht. Talent für die Komposition hat die Malerin. Die Farben sind leuchtend, fröhlich, von der Sonne des Südens beeinflusst.

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Landschaft, 1960, Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm

Paul Cézannes Einfluss in punkto Konstruktion und Farbe ist unverkennbar.

Manchmal sind die Farbtöne pastos, manchmal pastellfarben. Mal leicht, mal verspielt, mal konstruktiv, Harmonie suchend. Eine weibliche Malweise ist ihr eigen. Das Figurative hat die Künstlerin nie losgelassen. Mal braucht sie den Pinsel, mal den Griffel. Sie sucht immer Veränderung.

 

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Der Sonnenschirm, o.J., Aquarell auf Arche-Papier, 56 x 38 cm

Simone, die Ältere, übt anfangs immer wieder Kritik am Malstil der Schwester, dann äußerst sie sich begeistert: „Ein Bild ist für Hélène eben nicht nur ein Akkord harmonischer Farben, der zum Komfort des Mobiliars beiträgt. Es stellt vielmehr so etwas wie ein Fenster dar, das den Blick ins Imaginäre öffnet.“ Und Jean-Paul Sartre schreibt im Vorwort des Ausstellungskatalogs von Brest 1975: „Sie hat ihren Weg gefunden zwischen den vergeblichen Zwängen der Nachahmung und der Dürre der reinen Abstraktion … Ihr Werk vermag zu überzeugen und zu bezaubern.“

Beide machen für Hélènes Werk die beste Werbung.

Die Luxusausgabe von Simones Erzählband „Une femme rompue“ („Eine gebrochene Frau“) 1967 bei Gallimard ist mit 16 Kupferstichen von Hélène illustriert.

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Zebras, Aquarell, o.J., 38 x 57 cm

Neunzehn Jahre später findet eine grosse Einzelausstellung im Ministerium der Frauen in Paris statt, kurz darauf stirbt Simone, die bei der Ausstellungseröffnung noch dabei war. Die Todesnachricht erreicht Hélène in den USA. Simones Briefwechsel mit Sartre, der 1990 veröffentlicht wird, offenbart jedoch ihre wahre Meinung über ihre Künstler-Schwester: „Die anderen Maler sind genauso schlecht wie sie … Warum sollte ich ihr Talent zusprechen, wenn sie keines hat?“ Diese Kränkung hat Hélène nie verwunden. Dennoch arbeitet sie unermüdlich weiter, hat in jedem Jahr eine Ausstellung im In- und Ausland bis 1996, da ist sie bereits 86 Jahre alt, erhält Preise. Sie ist eigenständig geworden. Der Schatten der berühmten Schwester hatte sie lange verdeckt.

1970 hatte sie den Galeristen Ludwig Hammer aus Regensburg kennengelernt. Ihre Freundschaft mit ihm währte bis zu ihrem Tod im Sommer 2001. Ihm überlässt sie einen Teil ihres Werkes, das er durch Expositionen unablässig publik macht.

Ähnliche – unähnliche Schwestern

Simone meckerte auch gelegentlich an Hélènes „bürgerlicher“ Lebensweise, kritisierte ihre Häuslichkeit. Dabei war Hélène eine engagierte Feministin.

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Simone et Hélène, o.J., Aquarell, 57 x 38 cm

Sie war keineswegs das Püppchen, wie sie immer genannt wurde. Sie engagierte sich politisch: 1968 erschien ihre Bildreihe „Der schöne Monat Mai“, der knüppelnde Polizisten zeigt. Sie gehörte zu den Unterzeichnerinnen des Manifestes, in dem sich Frauen zur Abtreibung bekannt hatten. In Straßburg war sie Mitgründerin eines Hauses für geschlagene Frauen. Auf Umweltprobleme machte sie in ihren Bildern aufmerksam.

Beim Begräbnis in Paris sagte eine Feministin, es sei, als wäre Simone ein zweites Mal gestorben, allerdings eine wärmere, fröhlichere.

Das Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath zeigt bis zum 13. Februar 2010 eine Auswahl von Ölgemälden aus der Zeit von 1956 bis 1965. Die meisten gezeigten Aqarelle sind undatiert. Eine schöne, verdiente Hommage an die Künstlerin, die in diesem Jahr einhundert Jahre alt geworden wäre.


Ein Kommentar zu “Die Malerin Hélène de Beauvoir”

  1. Heier
    14. Februar 2010 19:44
    1

    Text u. Bildmaterial haben mir diese „unbekannte“
    sehr gut nähergebracht, danke.