Aja von Loeper oder: Die Birke am Schmausenbuck
Von Erhard Metz
Am Schmausenbuck steht, in einer etwas lichteren Stelle des Waldes, eine Birke. Blindschleiche und Feuersalamander, Gelbbauchunke und die zu Unrecht von den Menschen verteufelte Kreuzotter haben, so lesen wir, dort ein Zuhause. Sie und all die anderen Tiere des Waldes kennen sie: die Künstlerin Aja von Loeper. Sie arbeitet dort nämlich, im Wald am Schmausenbuck, im Angesicht „ihrer“ Birke.
Dieser Ort ist ihr Atelier.
Es ist ein besonderer Ort.
Wir gehören zu denjenigen dieser vermeintlich so entzauberten Zeit, denen die Vorstellung nicht unnachvollziehbar erscheint: dass es – für empfängliche Menschen – Orte von besonderer Kraft, von besonderer kommunizierender Energie gibt. Wie anders sollte eine Künstlerin wie Aja von Loeper an „ihrer“ Birke den ihr angemessenen Platz für ihr Schaffen gefunden haben?
Aja von Loepers ureigene „Disziplin“ ist das Zeichnen, wobei der Begriff Disziplin durchaus wörtlich genommen werden darf: Tag für Tag zeichnet sie nämlich. In einem Zyklus von Zeichnungen des Dürerhauses, in dessen Nähe sie in Nürnberg lebt und arbeitet, fing sie ein halbes Jahr lang die verschiedenen, mit Licht, Wetter und Jahreszeit wechselnden Anmutungen des Gebäudes ein. Die Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung erwarb dieses Opus für ihre Sammlung.
In ihrem Studium setzte sich von Loeper intensiv mit Künstlern wie Lucio Fontana („Manifesto blanco“, „Movimento spaziale“) und Piero Manzoni („Achrome“) auseinander, mit Fragen also der Zwei- und Dreidimensionalität, des Verhältnisses zwischen Blatt, Relief und Skulptur, dem von Fontana verkündeten „Ende“ der Malerei und aller Kunstgattungen. Um die Zweidimensionalität zu überwinden, perforierte und schlitzte Fontana seine meist monochrom bemalten Leinwände. In seinen „Achromen“ schuf Manzoni „unfarbige“, unbemalte, lediglich mit etwas Gips strukturierte Leinwandflächen.
Aja von Loeper fand auf ihrem Weg zu einer höchst subjektiven, individuellen künstlerischen Sprache: Mit einem Graphitstift und einem speziell geformten Holz bearbeitet sie den weissen, flach auf einer Unterlage ruhenden Karton im Format 100 mal 70 cm. Das Material dehnt und wölbt sich in diesem Prozess, um drei, vier, fünf Zentimeter, und es ergibt sich ein erstaunlicher Effekt: Die bearbeiteten Flächen des Kartons kommen dem meist behutsamen, mitunter auch drängenden Druck entgegen, den die Künstlerin ausübt: Das Material kommt auf die Künstlerin zu, als wolle es ihr antworten.
Es entstehen Blätter von plastischer, reliefartiger Struktur.
Und es ist diese Lieblings-Birke, die die Künstlerin zu ihren aktuellen Arbeiten inspiriert (aber es sind auch die anderen Bäume am Schmausenbuck, die Natur schlechthin).
Am Schmausenbuck I – 52, 2009, Graphitzeichnung auf Papier mit einem Holzkeil bearbeitet, 302 x 70 x 3 cm
Gebannt stehen wir vor der drei Meter hohen, aus drei in vertikaler Folge aneinandergereihten Blättern bestehenden, Triptychon-ähnlichen Komposition. Sie scheint dort in ihrer ganzen Schönheit und Vollkommenheit zu stehen – diese Birke. Wir fühlen den strömenden Kraftfluss in ihrem Stamm, erleben, wie sie aus ihren Wurzeln die im Boden versammelten Nährstoffe hinauf in ihren Wipfel aufsteigen lässt. Und zugleich wiederum fliesst es, strömt es auch von oben nach unten, zurück zur Erde. Es mag etwas sein von dem vom Blätterwerk empfangenen Licht der Sonne und des Mondes, mit dem die Birke ihrerseits den sie tragenden Grund speist, ein Austausch zwischen Himmel und Erde, Firmament und Fundament, ein Geben und Nehmen in einer kosmischen Einheit. Ein Zeichen zweifellos auch dafür, wie Aja von Loeper in ihrem künstlerischen Schaffen selbst immer wieder gibt und empfängt. Denn auch das, was sie in der lebendigen Natur antrifft, ist bereits ein Kunstwerk. So stehen für die einzelne Birke die Gesamtheit der Bäume, der Wald, das Leben der Natur, das Universum.
In einem weiteren Zyklus verzichtet die Künstlerin auf den Graphitstift und wirkt allein mit dem Holz auf den Karton ein. Bis zu fünf Zentimeter hohe Strukturen arbeitet sie dabei heraus. Im seitlichen Lichteinfall entstehen Berge und Täler, wir könnten uns so den Blick aus grosser Höhe auf die antarktischen Gebirgslandschaften vorstellen. Und doch sollten wir uns nicht ein Bild machen wollen, sondern uns von der Ästhetik, dem Geheimnis dieser Reliefs forttragen lassen in eine Welt der Fantasien, die alle Gegenständlichkeit hinter sich lässt. Diese Erhebungen nämlich lassen sich „lesen“, einer Blindenschrift vielleicht vergleichbar, jedoch in gänzlich anderen Dimensionen, denn auch wir sind dem künstlerischen Genius gegenüber oft Blinde.
Weisses Blatt XXXXIV, 2009, Papier mit einem Holzkeil bearbeitet, 100 x 70 x 5 cm
Weisses Blatt XXXXV, 2009, Papier mit einem Holzkeil bearbeitet, 100 x 70 x 5 cm
Weisses Blatt XXXXVI, 2009, Papier mit einem Holzkeil bearbeitet, 100 x 70 x 5 cm
Es versteht sich von selbst, dass sich diese Arbeiten in ihrer Reliefartigkeit, in ihrer Ungebundenheit weder glasen noch rahmen lassen, was aber gerade auch zu ihrem besonderen Reiz beiträgt.
Aja von Loeper, 1971 in Warmbronn geboren, studierte an der Akademie für Bildende Künste in Nürnberg Freie Malerei als Meisterschülerin von Professor Christine Colditz. Wiederholt erhielt sie den Ersten Preis im Danner-Klassenwettbewerb der Akademie, ferner unter anderem den Förderpreis der Stadt Coburg und des Landkreises Calw, einen Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten sowie den Debütantenpreis des Freistaats Bayern. Seit 1999 ist sie regelmässig an Ausstellungen beteiligt; ihre erste Einzelausstellung hatte sie 2006 in Coburg.
Am Schmausenbuck I – 47, 2009, Graphitzeichnung auf Papier mit einem Holzkeil bearbeitet, 100 x 70 x 5 cm
Und wir kehren wieder an jenen Platz in der kleinen Waldlichtung am Schmausenbuck zurück: Aja von Loeper hat ihren Zeichenkarton ein weiteres Mal zu einem Kraft und Wuchs ausstrahlenden Relief verzaubert. Wir sind uns sicher: Blindschleiche und Feuersalamander, Gelbbauchunke und all die Tiere bei der Birke am Schmausenbuck schauen, hinter Blättern von Bäumen herablugend oder im Unterholz versteckt, Aja von Loeper zu, wenn sie vor „ihrer“ Birke arbeitet. Falls die Künstlerin gerade einmal nicht dort sein sollte, so werden sie geduldig auf sie warten. Und die von den Menschen zu Unrecht gefürchtete Kreuzotter wird sie ganz gewiss nicht beissen.
Aja von Loeper vor ihren „Weissen Blättern“
Die hier abgebildeten sowie weitere, auch farbige Arbeiten der Künstlerin sind bis zum 21. November 2009 in der Frankfurter Galerie Maurer zu sehen.
(abgebildete Werke © Aja von Loeper; Fotos: Erhard Metz)