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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Dieter Mulch

Erkenntnis im Rückblick und Aufbruch: Dieter Mulch im Nebbienschen Gartenhaus

Eine kleine Siedlung südlich von Wetzlar, wenige Häuser nur in einem von Lichtungen erhellten Wald. Nach einigem Regen atmet sich die Luft kühl und frisch. Wir stehen vor einem kleinen, mit Holz verblendeten, sauber gefertigten Haus, im Giebelfeld unter dem First grosse Fenster, Dieter Mulch erwartet uns in der sich öffnenden Tür. Beim Eintreten erblicken wir einen grossen, lichtdurchfluteten Raum unter der halbseitigen Verglasung des Daches. Ein „Traum“ von einem Atelierhaus, gemäss den Überlegungen des Künstlers ausgeführt.

Alles ist aufgeräumt, Pinsel, Stifte, allerlei Farbtuben liegen wohlsortiert auf dem grossen Arbeitstisch, auf der Staffelei eine der wundervollen neuesten Bleistiftzeichnungen des Künstlers. Ein Kaffee steht bereit und ein duftender, köstlicher Pflaumenkuchen (ein Pflaumenbaum trägt, auf der anderen Seite des Ateliers im weitläufigen Garten, üppig Früchte), dazu etwas Schlagsahne, versteht sich.

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Man nennt ihn den Grandseigneur der Wetzlarer Kunstszene: Dieter Mulch, der vor wenigen Wochen seinen 80. Geburtstag begehen konnte. Mit einer Korrektur: Mulch ist ein weit über Hessen und Deutschland hinaus bekannter und geschätzter Künstler. Im Anschluss an die Geburtstags-Hommage in der Wetzlarer Galerie am Dom sind seine neueren Arbeiten nun auch in Frankfurt am Main im Nebbienschen Gartenhaus des Frankfurter Künstlerclubs zu sehen.

Mulch, 1929 in Frankfurt geboren, studierte Graphik und Malerei bei Waltraut Hassenstein und später bei Beckmann-Schüler Theo Garve an der Städel-Abendschule. 1957 schloss er sein Philologiestudium an der Universität Frankfurt am Main ab. Neben seiner Lehrtätigkeit an Wetzlarer Gymnasien und weiteren Kunststudien wirkte er als Illustrator und Übersetzer englischsprachiger Literatur über Kunst und Künstler.

Seine Zeichnungen und Druckgrafiken, Tafelbilder und Collagen, Objektkästen, Objekte und Installationen waren Gegenstand zahlreicher Ausstellungen im In- und Ausland, in heimatnahen Städten wie Bad Homburg, Frankfurt am Main, Gießen, Herborn, Mühlheim, Weilburg, Wetzlar, Wiesbaden oder Zwingenberg, im ferneren Altena, Bielefeld, Bonn, Düsseldorf, Homburg/Saar und Ilmenau, im Ausland in Sintra/Portugal, in Paris, im französischen Tullins sowie in York/England.

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Zwei Gemälde aus früheren Jahrzehnten, wohl unverkäuflich, hängen an der Stirnseite seines Ateliers. Sie bewegen auch uns, scheinen Schlüsselbilder zu sein:

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Antik anmutende, burgartige Architektur, reich an symbolischen Details, entfernt an die römischen Trajansmarkthallen erinnernd, Wurzeln abendländischer Kultur.

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Der Bauwagen in einer winterlichen Szene mit halb geöffneter Tür, die Baustelle – noch – menschenleer, wir wollen Assoziationen an Edward Hopper nicht zulassen, weil sich etwas in uns sträubt, die Darstellung nicht als Verheissung für Aufbruch, Neubeginn und Zukunft zu empfinden.

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Dieter Mulch malt und zeichnet grossenteils figurativ. Weit fehl ginge indes die Annahme, seine Bilder läsen sich – im Vergleich etwa zu abstrakter Malerei – einigermassen leicht. Das Gegenteil ist der Fall, denn Mulch chiffriert Erlebtes und Durchlebtes in einem zunächst rätselhaft erscheinenden Kaleidoskop von Szenen und Gegenständen, die er zusammenfügt. Wir fühlen uns in machem entfernt erinnert an die altägyptische Hieroglyphenschrift mit ihren konkret-gegenständlichen Darstellungen, die – erst in einer Abfolge gelesen – das Mitzuteilende offenbart.

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Im Nebbienschen Gartenhaus zeigt der Frankfurter Künstlerclub mit Mulchs Gemälden, Zeichnungen und den sogenannten „Bagatellen“ (kleinen dreidimensionalen Papierarbeiten in farbiger Mischtechnik auf Papiermontage in einem Rahmengehäuse) fast auschliesslich neuere Arbeiten: In „Memory“ – so lautet der Titel der Ausstellung – entwickelt Mulch, rückblickend auf einen reichen künstlerischen Entwicklungs- und Schaffensprozess, Werke von suggestiver wie zugleich zärtlich-poetischer Bildsprache, die enträtselt werden möchten.

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Wir sehen Gemälde in Acryl auf Leinwand in den für den Künstler typischen rechteckigen Formaten. Das Rechteck hat seit jeher seine Tücken, steht es doch zwischen dem Dynamik vermittelnden Hoch- und dem eher statischen Querformat. Mulch komponiert kleine Stillleben miteinder zu einem grösseren. Es sind die reifen, vollen, gesättigten Farben des Herbstes, die uns begegnen, dominiert von rotbraunen Abstufungen und jenen einzigartigen, geheimnisvollen Blau- und Grüntönen; jedwedes Schrille ist gewichen, falls es jemals auf des Künstlers früherer Palette zu finden gewesen sein sollte.

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Die Bilder gleichen Ruhepunkten in einer von medialen Bilderfluten beherrschten Welt. Sie laden zum Schauen, zum Innehalten ein. Es sind die inneren Bilder des Lebens, die der Künstler zu einem gelungenen und immer wieder neu gelingenden Ganzen zusammenfügt. Einem Ganzen, das in einem reiferen Lebensabschnitt des Malenden Authentizität vermittelt.

„Während jemand als Maler seine Bilder verfertigt“, schreibt Dieter Mulch, „wird seine innere Vorstellungswelt keineswegs zum Schweigen gebracht; im Gegenteil! Gewissermaßen als Ausgleich für die Konzentration, mit der sich der Malende seiner Arbeit zuwenden muss, drängen sich ihm ständig neue Bildvorstellungen auf, die mit alternativen Möglichkeiten spielen, Variationen in Erwägung ziehen, neue Kompositionen vorschlagen und zum Erproben anderer Verfahren verlocken.“

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Die Bilder, die Chiffren sind die Sprache des Künstlers. Sie spiegeln den Reichtum eines Lebens wider, nicht sich dem Betrachter andienend, sondern ihn – einem Rebus gleich – zu teilnehmender Reflektion auffordernd.

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Die Stadt Frankfurt am Main spielt eine grosse Rolle in Mulchs Bildersequenzen. Wir lesen das Zitat des Beckmannschen Hauptbahnhofs, wir vernehmen Musik in Gestalt der Instrumente, der Stimmgabel oder der taktgebenden Metronomen, diese zugleich Symbol für den Takt und die Endlichkeit unseres Lebens. Wir fahren noch einmal im heissgeliebten Deux Chevaux unserer Studentenzeit. Und stets begegnen uns die stummen, geheimnisvollen, mit goldenem Halsband versehenen, wieder an altägyptische Darstellungen anmutenden Hunde, die reifen Äpfel, das in spätgoldenem Schatten verbleichende Laub, die im Nebel sich umblickende Krähe, und immer wieder diese Leiter …

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Dieter Mulch: „Es gilt, ein vergessenes Geheimnis der Kunst wieder zu entdecken: Wer die abstumpfende Wirkung der Gewohnheit überwinden will, muss bei einer Sache lange verweilen können.“

Die gegenständlichen Arbeiten stehen in einem spannungsreichen Kontrast zu manchen aus ihnen in logischer Konsequenz formulierten abstrakten Gemälden.

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Die quadratischen Arbeiten sind in Acryl auf Leinwand in den Formaten zwischen 30 x 30 cm und 60 x 60 cm ausgeführt.

Dieter Mulch wäre nicht Dieter Mulch, hätte er nicht – wenige Monate vor Vollendung des Achtzigsten – in einem Aufbruch zu neuen Formaten und Darstellungsformen gefunden. Seine aktuellen figurativen Bleistiftzeichnungen führen in eine Welt von Visionen und Träumen.

Es sind fragile, schwebende, im Labilen balancierende, sich auf schmalstem Fundament bewegende und am sprichwörtlichen „seidenen Faden“ hängende Konfigurationen. Ausgeführt in feinster Zeichenarbeit mit dem Graphitstift, im Hochformat 65 x 50 cm auf Karton. Wieviele Träume muss man träumen und erinnern, wieviele mystische Visionen erfahren, auf welche Gipfel gestiegen sein und in welche Abgründe geblickt haben, um zu einer solchen Bildsprache finden zu können?

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Die Zeichnungen hat Mulch gewissermassen von oben nach unten entwickelt. Das Schwere verliert sein Gewicht, das Leichte erweist sich als für die Stabilität Unabdingbares. Traumsequenzen gleich kommunizieren die einzelnen Motive in surrealer Weise miteinander. Träte nur ein kleines, unwägbares Ereignis hinzu, könnte das Ganze kollabieren, ins Bodenlose stürzen. Launische Spiele des  Künstlers oder Gleichnisse für die Fragilität, die schicksalhafte Ungewissheit des Lebens, ja allen Daseins?

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Nur noch bis zum 18. Oktober 2009 ist diese bemerkenswerte Bilderschau im Nebbienschen Gartenhaus zu sehen (Dienstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr).

(Abgebildete Werke © Dieter Mulch; Fotos: FeuilletonFrankfurt)


 

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