Bea Emsbach
Häutungen oder: Wer hat Angst vorm Natternhemd?
Nun, wenn wir uns ehrlich, will sagen „ungeschützt“, äussern wollten, so müssten wir einräumen: Bei der Begegnung mit einem Natternhemd fühlten wir uns zunächst etwas unwohl.
Natternhemd? Ja, das Häutungshemd, die Exuvie der Häutungstiere, beispielsweise der Gliederfüsser, Schlangen oder Echsen. Eine gütige Fügung im Laufe der Evolution hat es diesen Lebewesen gegeben, von Zeit zu Zeit ihre Haut zu wechseln, die neue erwächst ihnen unter der alten, die sodann abgestossen wird, ein für das Tier oft mühsamer Prozess. Und ein gefährlicher: ist es doch in dieser Zeit meist ungeschützt und hilflos seinen Feinden ausgesetzt.
Haut: das grösste und diffizilste Organ der Geschöpfe, der Menschen. Die Haut grenzt das Innere vom Äusseren ab, sie umgibt, sie schützt die Umhäuteten vor den Einflüssen der Umwelt. Und ist doch selbst so verwundbar, verletzlich. Auch über seine Haut spricht der Mensch zu den Menschen: Haut errötet, erblasst, über sie schwitzen und frieren wir. Wehe, sie käme uns abhanden! Das Furchtbarste, was Menschen einander antun können: das Häuten. Der Heilige Bartholomäus, einer der zwölf Apostel, erlitt der Überlieferung nach auf diese Weise den Märtyrertod.
Bea Emsbachs Figuren, zumeist sind es Frauen, häuten sich, sie streifen im Zuge einer wohl mühsamen, schmerzhaften Entwicklung ihre alte Umhüllung ab, um eine neue Existenz zu gewinnen. Fast immer sind diese Frauen kahlköpfig, als befänden sie sich in einer Chemotherapie. Mögen uns diese Zeichnungen zunächst erschrecken, uns sogar als eine Zumutung erscheinen, so lassen sie doch eine Kraft erkennen, die Kraft des Lebens, sich dem Alten, Kranken zu entwinden. Aber noch ist das Antlitz der sich Häutenden, Erneuernden vom strapaziösen Prozess gezeichnet.
Zwei Menschen, aus ihren geöffneten Rücken lehnen sich zwei neue, den alten Gestalten aber – oder nur? – noch zur Hälfte verhafteten heraus, die neuen begrüssen sich erwartungsvoll, umarmen und küssen sich. Eine Darstellung von psychoanalytischer Dimension.
Molekularbiologie wollte Bea Emsbach zunächst studieren. Aber dann überwogen Interesse und Neigung, einen künstlerischen Weg einzuschlagen. 1991 nahm sie an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung das Kunststudium auf. Wie manche andere Künstler begann sie mit Arbeiten, die der Abstraktion verpflichtet waren, sie hat sie vernichtet. Im Laufe ihrer künstlerischen Entwicklung wandte sie sich mehr und mehr figurativen Darstellungen zu. Diese erinnern in manchem an akademische Proportions- und Körperstudien, ihnen eignet etwas „Medizinisches“, Anatomisches, fast Wissenschaftliches. Einem grossen Publikum wurde Emsbach schon vor längerem mit derartigen Zeichnungen bekannt, in denen sie eine völlig eigenständige Figurensprache entwickelt:
Menschen, wiederum fast ausschliesslich Frauen, erscheinen in mullbindenartige Bandagen eingehüllt. In den Umwicklungen miteinander verbunden, umfangen sie sich fürsorglich, oder aber ringen, kämpfen sie nicht vielmehr miteinander, in der Absicht, sich voneinander zu emanzipieren?
Und es erwachsen aus diesen Frauen, Gebärenden gleich, neue Frauen, aus den Köpfen, aus den Leibern, das Bedrohliche, Kranke wird verlassen, die neuen Gestalten recken sich, Renaissance-Menschen ähnlich, aufklärerisch-aufblickend empor. Gestus einer befreienden Wiedergeburt.
In einer anderen Darstellung trägt eine Frau ein Kind, in einem merkwürdigen, rucksackähnlichen Gebinde. Beider Beine und Köpfe sind von einem blätter- oder fellähnlichen Bewuchs bedeckt, Ausdruck einer allerdings ambivalenten Naturhaftigkeit.
Im Gegensatz dazu nämlich tragen beide gemeinsam eine grotesk anmutende mechanische Apparatur, die dem Kind auf dem Rücken der Frau ein Überleben zu ermöglichen scheint. Über die Schläuche werden lebensspendender Atem, Nährstoffe, Kräfte transportiert. Leben gerät zum Überleben. Allegorie der Frau als Ernährerin, in einer der Natur entarteten, verseuchten, vergifteten Umwelt?
Die Frau als Nährmutter, auf einem mit Blattwerk bekrönten Baum, mit dessem kräftigen Stamm sie fast verwachsen zu sein scheint. Die Stoffe ihres Kreislaufs gibt sie in Schläuchen an die unter dem Baum hockenden Frauen weiter, diese halten die Schlauchenden in ihren Ohren, als wollten sie lebenspendenden Botschaften lauschen? Dazwischen geschaltete Apparaturen scheinen die Aufgabe zu haben, den Kraftfluss, die körperliche, die akustische Energie auf eine wiederum künstliche Weise zu verstärken.
Bea Emsbach umgibt manche ihrer Frauen mit „Nährkleidern“, kettenartig geknüpften Gewandungen, aus denen Bergung spendende Kräfte zu strömen scheinen. Im Kreis liegen die Schlafenden in der Obhut der Nährmutter, die ihre Arme schützend, in der Geste einer Segen Spendenden erhebt.
Andere Frauen wiederum leben in einem aus solchen kettenartigen Geflechten gewobenen Nest. Es mag sie beschützen, aber es beengt und begrenzt zugleich ihren Lebensraum. Verstrickte, Gefangene sind sie in ihrer vermeintlichen Geborgenheit.
Bea Emsbach arbeitet mit ungewöhnlichem Gerät: dem Kolbenfüllfederhalter, mit roten Tinten in verschiedenen Konzentrationen. Waren ihre Arbeiten zunächst von der mit grosser Präzision ausgeführten zeichnerischen Linie bestimmt, so findet die Künstlerin aktuell mehr und mehr zu einem malerischen Ausdruck in der Fläche.
Wieder begegnen wir den Häutungen, den Fesselungen, aber auch den erträumten Erlösungen im Blätterwerk der Natur: am Ende unserer Darstellung in einer taufähnlichen Szene, die Hände auf den Kopf einer sich aus dem Wasser oder der Erde erhebenden Gestalt gelegt, diese empfängt mit ausgebreiteten Armen heilende Energie.
Es sind gesellschaftliche wie zwischenmenschliche Utopien, denen Bea Emsbach in ihren Arbeiten nachspürt. Sie reflektiert eine Welt der Verletzlichkeit und Verletztheit, die Brüchigkeit sozialer Beziehungen und Systeme. Zugleich imaginiert sie Möglichkeiten eines selbstheilenden, Wärme, Nähe, Berührung verheissenden Mit- und Füreinanders. In „Zeiten wie diesen“ – wir schreiben das Wahl-Jahr 2009 – erscheinen Emsbachs Arbeiten aktueller denn je.
Bea Emsbach wurde 1965 in Frankfurt am Main geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Von 1991 bis 1998 studierte sie an der Hochschule für Gestaltung, Offenbach, bei den Professoren Heiner Blum, Marianne Eigenheer, Adam Jankowski, Dieter Linke und Manfred Stumpf. Sie erhielt Preise und Stipendien, unter anderem den Maria Sybilla Merian-Preis des Landes Hessen und den Preis für junge KünstlerInnen der Darmstädter Sezession, ein Südkorea-Stipendium des Frankfurter Amtes für Wissenschaft und Kunst, ein Forschungsstipendium des Centro Tedesco di Studi Veneziani in Venedig sowie Stipendien der Hessischen Kultur GmbH und des Hessisches Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, des Kunstfonds Bonn und der Stiftung Schloss Balmoral.
Seit 1997 stellte sie ihre Arbeiten aus, über Frankfurt am Main und Offenbach hinaus unter anderem in Aschaffenburg, Berlin, Bochum, Bonn, Darmstadt, Düsseldorf, Hamburg, Jena, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Landau, Nürnberg und Weimar. Im Ausland war sie in Ausstellungen und Galerien im schwedischen Avesta, in Basel, Graz, Linz, Madrid, Modena, Paris, Rotterdam und Zürich, ferner im schweizerischen Nidwalden und im Oberösterreichischen Landesmuseum Zwickledt vertreten.
Die derzeitige Ausstellung in der Frankfurter Galerie Perpétuel – man sollte sie wirklich nicht versäumen – läuft noch bis zum 14. Oktober 2009.
Bea Emsbach: Zeichnungen, Skulpturen und Wandmalerei in der Galerie Perpétuel Frankfurt am Main (Foto: FeuilletonFrankfurt); Werke © VG Bild-Kunst, Bonn
→ Bea Emsbach: „Zeichen und Wunder“ in der Weissfrauen Diakoniekirche