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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Urlaubsbrief aus der Türkei / Statt eines Vorworts – ein Nachwort

nachwort

Statt eines Vorworts  – ein Nachwort

Für den möglichen Fall, dass Sie vielleicht Robert Straßheims Erzählung „Urlaubsbrief aus der Türkei“ nicht zu Ende verfolgt haben sollten: Wir möchten ihnen ein aufmunterndes „bitte lesen Sie weiter!“ zurufen.

Und noch eines vorab: Wer diese Erzählung kurzgegriffen als eine Türkei-kritische Reisegeschichte missverstanden hätte, der hätte den Text weit verfehlt.

Es musste ja nicht gleich eine Art neuer „West-östlicher Divan“ werden. Straßheim erzählt die Geschichte eines jungen, intellektuellen, ein wenig introvertierten Deutschen, der durchaus an seinem althergebrachten Deutschtum leidet (am Ende lehnt er sich mit einem verzweifelten „ich und deutsch!“ gegen diese Zurechnung, freilich vergeblich, auf). Mit seiner türkischen Ehefrau Zara besucht er deren Heimatland. In der hektischen 10-Millionen-Metropole Istanbul wie auch in deren ländlicher Umgebung begegnet er Zaras Familie. Die dreiwöchige Reise führt ihn in einen zu deren Beginn so kaum erwarteten Einkehr- und Selbstfindungsprozess. Nicht des Türkischen mächtig, verliert er sich in Zaras und deren Familie Umgebung in der Lektüre seiner mitgebrachten Bücher. Das Lesen treibt ihn in eine Isolation, an den zur Schreibunterlage umfunktionierten Bügeltisch ebenso wie an den Internet-PC des Enişte, des türkischen Schwagers, in dessen nach Feierabend abgeschlossener Dienststelle.

Und: Was hatte er sich nicht alles erwartet von Istanbul: „… jene heiligen Hügel der Stadt, diese runden Formen im Himmel: die Kuppeln der ewigen Moscheen …“ Was er antraf: Verkehrschaos, Lärm, Schmutz, Gedränge, Luftverpestung und so manche Befindlich- und Widrigkeiten des ihm fremden türkischen Alltagslebens.

Was uns an dieser Erzählung gefällt: die Begegnung zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Traditionen im fremden Land, wie auch die selbstreflektorische Auseinandersetzung mit dieser Begegnung. Dies alles jedoch exemplifiziert in der zärtlich-subtil erzählten Beziehung unseres Helden zu seiner Zara.

Aktuell ist diese Auseindersetzung: vor dem Hintergrund eines zusammenwachsenden Europas, zu dem viele auch die Türkei zählen, und der Option eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union.

Die Briefform spricht uns persönlich an, nimmt uns unmittelbar in die Gedanken der Handelnden und das Geschehen um sie herum hinein. Und über allem walten eine feine, selbstkritische Ironie ebenso wie ein schmerzlicher Selbstzweifel am eigenen Deutschsein, am eigenen Unvermögen, sich dem Fremden zu öffnen.

Das kleine Opus erschliesst sich in seiner Dimension erst von seinen beiden letzten Kapiteln her. Am Schluss mündet die Reflexion der Reise unseres Helden in der Erkenntnis: „Wenn nicht gleich mein eigener Geist auch Folter wäre! Wenn ich auf dieser Reise etwas gelernt habe, dann das: Wie jämmerlich mein Gedankenapparat ins Leere läuft! Und wie seine Ressentiments alle auf ihn selbst zurückfallen! Von daher bereue ich keine Zeile von dem, was ich Gehässiges gegen die Türken geschrieben habe, denn es ist das ja alles wahr, spiegelt es doch nichts anderes als mein ureigenstes Elend wider! Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich Zara Kummer machte, da sie glaubt, dass ich ihr Istanbul nicht hätte sehen wollen, und sie als Türkin kann nicht verstehen, dass ich meistens etwas anderes sah, nämlich: die Projektionen eines verqueren deutschen Geistes, eines spießigen Kasselaners, wenn du so willst!“

Straßheim verfügt über sprachlich präzise, einfühlsame, poesiereiche erzählerische Mittel. Der Frage, wieviel an autobiografischen Zügen seiner Geschichte eignen mag, wollen wir nicht nachgehen; Straßheim erzählt zweifellos authentisch und erlebnisnah.

Robert Straßheim, Jahrgang 1965, mit einer „türkeistämmigen kurdischen Deutschen“ verheiratet, lebt und arbeitet als Studienrat in Hessen.


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