Der grosse Dreiklang – „Angel Dust“ im MMK-Zollamt
Ein grosser Dreiklang erwartet den Besucher im MMK-Zollamt: die – erste – gemeinschaftliche Ausstellung des Museums für Moderne Kunst und des Hauses am Dom „Angel Dust“.
Dreiklang?
Die Ausstellung – es handelt sich eher um eine Gesamtinstallation – besteht aus drei Komponenten: einem Gemälde, einer Skulpturengruppe und einem Video.
Das Gemälde stellt wiederum drei Figuren beziehungsweise Erscheinungen dar: den Erzengel Gabriel, die Jungfrau Maria und den Heiligen Geist in Gestalt einer weissen Taube. Auch die Skulpturengruppe besteht aus drei Elementen, es sind drei weitestgehend abstrahierte Gestalten. Und schliesslich das Video: auf eine grossformatige Leinwand wird das Bild eines Auf- und Abgangs zu einer U-Bahnstation mit – es verwundert nicht – drei Rolltreppen projiziert.
Drei völlig unterschiedliche Formen der bildenden Kunst treten miteinander in Beziehung.
Da ist zunächst die Verkündigungsszene, die Arbeit eines unbekannten niederrheinischen Meisters, datiert auf das Ende des 15. Jahrhunderts. Eine uns aus der abendländischen Malerei in ihrer Aussage vertraute Darstellung. Übermächtig gross und doch behutsam tritt der Verkündigungsengel Gabriel Maria gegenüber, demutsvoll vernimmt diese die aus dem Evangelium des Lukas bekannte Botschaft.
Unbekannter Meister, Verkündigungsszene, Niederrheinisch, Ende 15. Jahrhundert, Öl auf Holz (Foto: Axel Schneider)
Unmittelbar gegenüber dem Bild ein Raum, aussen grau, innen schwarz, wir betreten ihn durch eine vertikale Öffnung ohne Tür und gewahren das Video. Es ist eine Szene aus der Londoner U-Bahnstation namens Angel, jener Auf- und Abgang mit drei Rolltreppen. Die mittlere und die rechte laufen aufwärts, die linke abwärts. Aber die Menschen zur Rechten und Linken fahren und laufen auf den Treppen verkehrt herum, mit dem Rücken streben sie nach vorne.
Auf der mittleren Treppe predigt eine mächtige Gestalt, es ist der Künstler Mark Wallinger, verkörpert als „Blinder Glaube“, mit weissem Hemd – weiss wie das Gewand des Verkündigungsengels -, dunkelverglaster Brille und einem weissen Blindenstock den Weg ertastend, den er auf der aufwärts fahrenden Rolltreppe nach unten nimmt: derart bewegt er sich auf der Stelle. Bei näherem Hinhören erkennen wir die ersten Verse des Johannes-Evangeliums „Im Anfang war das Wort …“ in englischer Sprache, aber warum so schwer verständlich gestammelt? Am Ende seiner Rede fährt der Künstler, zu Klängen aus Georg Friedrich Händels „Zadok the Priest“, auf der Rolltreppe nach oben, immer kleiner werdend, bis er verschwindet.
Das Geheimnis dieses Videos: es läuft rückwärts. Und auch der Künstler spielte seinen Text zunächst rückwärts gelesen ein(!), so dass er sich, wenn auch mühsam-holperig, bei der „verkehrten“ Wiedergabe als von vorn gelesen anhört.
Eine hernieder- und wieder emporfahrende Engelsgestalt? Was verkündigt sie uns in einer Welt, in der Menschen ihren Weg verkehrt herum nehmen? Was aber würde aus dem Text, wenn das Video „richtig herum“ abgespielt würde?
Mark Wallinger, Angel, 1997, Videoinstallation, Dauer: 7 min 30 sek; Copyright of the artist; Courtsey Anthony Reynolds Gallery (Foto: Axel Schneider)
Gleichsam mit den beiden einander gegenüberliegenden Präsentationen ein gleichschenkeliges Dreieck bildend befindet sich die dreiteilige Skulptur von Bogumir Ecker „Hänger und Strippen (1-2-4)“ in der säulengetragenen Halle des alten Zollamts, aus Eisenblech, in einem leuchtenden warmen Rot lackiert. Wir begreifen sie durchaus als drei abstrahierte figürliche Wesen, die Aufhängung verbindet sie mit der Decke, gleichsam dem Himmel, die aus ihnen herauswachsenden Schnüre mit dem Boden, der Erde. Runde Löcher, wie Augen, Ohren, Münder anmutend, als Ein- und Ausgänge in die Körperlichkeit und wieder aus ihr heraus. Auch sie Engel, Chiffren für Engelhaftes zwischen Himmel und Erde?
„Angel Dust“ ist die Gesamtinstallation betitelt: Engelsstaub? „Angel Dust“ – ein Album der US- amerikanischen Rock-Band „Faith No More“, der Name einer bekannten deutschen Metal-Band, aber auch der Name des als Partydroge berüchtigten Dissoziativums Phencyclidin. Dust, im Englischen auch Müll, Kehricht?
Wir stehen vor der Stille des spätmittelalterlichen Bildes, in der Halle dröhnt in stundenlanger Wiederholungsschleife, alle siebeneinhalb Minuten von neuem, Mark Wallingers „In the beginning was the word, and the word was with God, and the word was God …“ Zerrbild, Abbild unserer medialen, vom allgegenwärtigen Dröhnen allgegenwärtiger Lautsprecher verstörten Welt? Dann – im Beziehungsdreieck – die Skulpturengruppe von Ecker: Stumm, mit ihren Augen-, Mund- und Ohröffnungen.
Wir bewegen uns im Kreis, vom Gemälde zum Video, von dort zur Gruppe und wieder zum Gemälde zurück, und noch einmal im Kreis und noch weitere Male. Und sind überzeugt: diese Ausstellung zu besuchen, ein gewisses Zeitbudget vorausgesetzt, sollte man sich nicht entgehen lassen und ebenso wenig den Erwerb des bemerkenswerten Katalogs.
Eine vielversprechende Zusammenarbeit von MMK und Haus am Dom – zu sehen noch bis zum 13. April 2009 im MMK-Zollamt.