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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Xi’an – Chinas alte Hauptstadt (Teil 1)


Xi’an – Chinas alte Hauptstadt (Teil 1)

Text und Fotografien: © Ingrid Malhotra


Wer kennt Xi’an?

Ach, Sie haben schon davon gehört? Richtig, dort gibt es die Terrakotta-Armee. Und sonst?

Hmm, genau so ging es mir auch. Xi’an schien mir eine kleine, unbedeutende Stadt irgendwo in der chinesischen Provinz zu sein, und bei meinem ersten Besuch in China vor vielen, vielen Jahren verstand ich gar nicht, warum dort so viel Zeit eingeplant war. Natürlich wollte ich die Terrakotta-Armee sehen – die ist ja schliesslich weltberühmt! Aber die anderen Sehenswürdigkeiten – Grosse Wildganspagode,

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Kleine Wildganspagode, Stadtmauer,

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Trommelturm – das klang alles nicht so prickelnd. War es damals auch nicht. Es goss in Strömen, die Stadtmauer war mit Stacheldraht umwickelt. Die Pflichtbesichtigungen waren, na ja, langweilig.

Seither hat sich nicht nur Xi’an verändert. Auch meine Einstellung zu dieser Stadt ist eine völlig andere geworden.

Zum Teil liegt dies sicher daran, dass ich dort gute Freunde gewonnen habe. Aber ich glaube, weitaus wichtiger war, dass ich mich mit der Stadt beschäftigt habe, gelernt habe, welche unglaubliche Geschichte sie hat.

Wann immer wir an China denken, denken wir auch an seine Hauptstadt, Beijing – oder Peking, wie wir es in Gedanken immer noch nennen.

Aber ein Blick auf die Landkarte wirft Fragen auf. In diesem Riesenland liegt die Hauptstadt ziemlich am Rande. Wäre nicht eine zentraler gelegene Stadt besser geeignet? In der Tat, über Jahrtausende war immer wieder eine andere Stadt die Hauptstadt Chinas – Xi’an, damals meist unter dem Namen Chang’an. Wie der Ort zur Zeit des Lantian-Menschen vor rund 500.000 Jahren hiess, wissen wir ebenso wenig wie den Namen des neusteinzeitlichen Dorfes, dessen Reste 6500 Jahre alt sind. Richtig angefangen hat das alles unter der Zhou-Dynastie, so ungefähr um 1046 v. Chr.; damals hiess die Stadt wahrscheinlich Fenghao. Unter der Qin-Dynastie wurde China zum ersten Mal zu einem Grossreich vereint und zwar unter dem ersten der beiden Herrscher dieser Dynastie, Qin Shihuangdi, der auch die Terrakotta-Armee in Auftrag gab. Schon sein Sohn verlor die Macht (und sein Leben) bei Aufständen. Damals hiess die Stadt Xianyang. Unter der Han-Dynastie kam dann zum ersten Mal der Name Chang’an auf, die Sui änderten das so rund 580 Jahre n. Chr. zu Daxing, und 618 n. Chr. kam die Tang-Dynastie an die Macht, und die grosse Zeit von Chang’an begann – sie währte eben so lange wie die Tang-Dynastie, bis 904 n. Chr. In diesem Jahre wurde Chang’an weitgehend zerstört. Die Hauptstadt zog nach Luoyang um.

Aber unter der Tang-Dynastie war Xi’an schon eine Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern …

Die Ming-Dynastie verlegte dann die Hauptstadt nach Nanjing, später nach Beijing; und während dieser ganzen langen Zeit lag Xi’an in einem tiefen Schlaf versunken.

Erst in den letzten Jahrzehnten hat Xi’an wieder immens an Bedeutung gewonnen; und eine grosse Rolle hat dabei sicher die Entdeckung des Grabes von Qin Shihuangdi mit der Terrakotta-Armee gespielt.

Mittlerweile ist Xi’an nicht nur eine Grossstadt mit mehr als 7 Millionen Einwohnern, sondern auch eine bedeutende Wirtschafts- und Industriemetropole. Und die Chinesen haben sogar noch bemerkt, dass Tourismus ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist, so dass man vielleicht ein paar alte Sachen stehen lassen und nicht alles zugunsten breiter Boulevards und Paradestrassen abreissen sollte, was von der Geschichte Xi’ans übrig geblieben ist.

Also können wir heute nicht nur die Grosse und die Kleine Wildganspagode und diverse andere Pagoden

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anschauen, auch die Stadtmauer ist vom Stacheldraht befreit, und wir können auf ihr wandern oder eine Fahrradtour unternehmen, können uns eine überaus chinesische Moschee samt dem dazugehörigen Stadtviertel

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mit überirdischen Bao-se (Teigtaschen mit Fleischfüllung) und einem faszinierenden Touristenmarkt anschauen, nein, auch eine ganze Tang-Palaststadt ist nachempfunden worden, mit prachtvollen Gebäuden und allabendlichem Programm: Wasserorgel, Feuerwerk, Theater, erstklassigen Restaurants und – bei Windstille – einer Theaterprojektion auf Wasserwände, wie man sie sonst nirgendwo sieht.

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Umgeben ist das alles von weitläufigen Parkanlagen, in denen man viele traditionelle Skulpturen, aber auch moderne Kunstwerke sieht, bei denen die Künstler mitunter ihre Landsleute unerwartet ironisch auf die Schippe nehmen.

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Wobei, ich muss es gestehen, mir in Xi’an eines ganz besonders wichtig ist: Die Stadt ist die Wiege der Xiao-se, der gefüllten Teigtaschen, der Urform aller Dim Sum. Und wenn man in Xi’an gepflegt Xiao-se essen geht, dann reserviert man eine Chambre Separée, versammelt sich dort mit einer Gruppe von Freunden und der Familie, und dann wird aufgetischt.

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Das Bedienungspersonal ist immer reichhaltiger vorhanden als die Gäste, und dann kommt ein so unglaublicher Variantenrreichtum an Teigtaschen (Maultaschen, wie die deutsch sprechenden Chinesen sie naiv nennen), also wirklich, das ist unglaublich. Mir fehlen die Worte zur Beschreibung; denn nicht nur die Füllungen sind völlig unterschiedlich, auch die Formen sind äusserst phantasievoll: kleine Vögelchen, passend zur Hühnerfleischfüllung, kleine Fische, passend zur Füllung aus Fisch oder Meeresfrüchten, Obst, Blumen, Nüsse – alles aus Teig.

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Und die allerkleinsten, kaum erbsengross, kommen in die Suppe, den Feuertopf, der traditionsgemäss zum Schluss auf den Tisch kommt.

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Diese Tradition gründet sich wohl auf die Sorge, dass irgendwo im Magen nach einem üppigen Mahl noch eine leere Stelle verblieben sein könnte, die sich vernachlässigt fühlt. Es ist Aufgabe der Suppe, solche Stellen zu finden und auszufüllen …

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Unglaublich sind auch die Aufführungen von Theater, Tanz, Musik und Gesang aus der Tang-Zeit. Meine chinesischen Freunde runzeln ironisch die Stirn, weil sie das alles sehr kitschig finden, aber wenn auch zugegebenermassen das Essen bei diesen Veranstaltungen sehr zu wünschen übrig lässt – ich finde es schön. Und zu manchen Jahreszeiten gibt es

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hervorragenden Reiswein. Wunderschöne Mädchen (die Tang-Kaiser haben alle schönsten Mädchen aus dem ganzen Reich zu sich befohlen, die Gene sind erhalten geblieben, und die Leute in Xi’an sind zu Recht stolz darauf, dass die Frauen in ihrer Stadt die schönsten in ganz China sind), grossartige Akrobatik, unvergleichliche Stimmen (unsere zahllosen Tenöre sind irgendwie recht schwach im Vergleich, aber in China gibt es nun einmal mehr Auswahl), und dazu die Tatsache, dass von allen chinesischen Musikrichtungen die Musik aus der Tang-Zeit unserer klassischen Musik am nächsten kommt. Also, mir macht’s Spass!

Und ich muss gestehen, dass ich – ob Kitsch oder nicht – jetzt schon darüber nachdenke, wie ich meine Freunde beim nächsten Besuch wieder dort hin lotsen kann. Zum Glück sind Chinesen enorm höflich …

Aber zurück zu dem Touristenmarkt bei der Moschee: Auch hier rümpfen meine lieben Freunde die Nase. Aber die Souvenirs dort sind schon deutlich interessanter als das, was wir so als „Made in China“ kennen: Natürlich sind das keine echten Antiquitäten, und die Jade ist oft Serpentin, und die von innen bemalten Snuff Bottles sind nicht völlig fehlerfrei, aber viele, viele Dinge sind Handarbeit und erstaunlich gute Kopien antiker Gegenstände – auch das macht mir zum Entsetzen meiner chinesischen Freunde einen Heidenspass.

Was man unter keinen Umständen vergessen darf, sind die Museen, in denen viele Grabfunde sowie Kunst- und Gebrauchsgegenstände von der Lantian-Zeit bis zur Neuzeit ausgestellt sind. Nicht nur sind sie interessant, schön und fremdartig, sondern zum Teil auch richtig spannend präsentiert.

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Um das alte Stadtzentrum herum erstrecken sich riesige Neubaugebiete: Büro- und Geschäftshäuser mit teils durchaus interessanter Architektur, aber auch mit etwas überraschenden Versuchen, moderne und traditionell chinesische Stilelemente zu kombinieren. Gelegentlich sieht man auch sehr bekannte Logos, die an zuhause erinnern; und riesige Wohnblöcke! Sie sind von beängstigender Grösse, und wenn man sie von aussen sieht, fragt man sich schon, wie da drinnen eine Familie glücklich leben kann.

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Aber in diesen Riesenbauten gibt es – auch – erstaunlich schöne und anspruchsvolle Wohnungen mit allem Komfort, den man sich nur wünschen könnte. Und ihre glücklichen Bewohner sagen sich: wenn ich meine Wohnungstür zugezogen habe, merke ich ja nicht mehr, was darum herum ist. Zwischen den Wohnblöcken, auf freien Plätzen und in Grünanlagen übt man Tai’Chi oder tanzt Walzer.

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Erschlossen werden diese Neubaugebiete durch gewaltige Stadtautobahnen, die schon für eine voll motorisierte Zukunft dimensioniert sind. Heute kommt man noch angenehm staufrei weiter – solange man sich nicht der Innenstadt nähert … Aber dann!

Es ist gut, dass die meisten grossen Ampelkreuzungen eine Sekundenanzeige haben, wie lange es noch dauert, bis man wieder ein paar Meter weiter fahren darf – man wird doch weniger ungeduldig, während man aufpasst, wie viele es noch sind.Chinesische Autofahrer unterscheiden sich da nicht allzu sehr von uns – sie wollen auch immer die ersten sein, und wenn vor ihnen jemand döst, wird wild gehupt.

Nur was gelegentlich auf den grossen Autobahnen unterwegs ist, unterscheidet sich dann doch ein wenig von dem, was man erwartet.

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Innerhalb der Stadtmauer gibt es dann auch noch ein paar breite, baumbestandene Boulevards mit mehreren Fahrbahnen in jede Richtung, breiten Radwegen und noch breiteren Bürgersteigen auf jeder Seite – herrlich zum Bummeln, aber diesen Boulevards sind leider viele der ursprünglichen Altstadtviertel zum Opfer gefallen.

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Von der Altstadt sind eigentlich wirklich nur noch die Sehenswürdigkeiten übrig geblieben, integriert in moderne Neubauviertel – sieht manchmal sogar gut aus –

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und einige wenige enge Strassen,

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in denen man dann doch merkt, dass Chinesen einen etwas eigenwilligen Fahrstil pflegen. Auf den Stadtautobahnen wagen sie das nicht, denn dort gibt es alle paar Meter eine Radarfalle mit Kamera.

Wenn wir dann hinaus fahren, um alles zu sehen, was um Xi’an herum sehenswert ist, müssen wir unsere Ungeduld zügeln und langsam fahren, sonst kann eine Reise nach Xi’an schnell sehr teuer werden.

Aber in die Umgebung von Xi’an muss man unbedingt fahren – es gibt da so viel zu sehen. Das beschreibe ich dann beim nächsten Mal.

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→  Teil 2



Ein Kommentar zu “Xi’an – Chinas alte Hauptstadt (Teil 1)”

  1. Erhard Metz
    20. März 2009 12:50
    1

    Ein Kommentar aus China, über den wir uns freuen:

    Hallo liebe Ingrid,

    Deinen Artikel haben wir durchgelesen und gefällt mir und Uschi sehr. Vom Artikel erkennt man, daß die Schriftstellerin ein Chinafans ist, die China, bzw.die Stadt Xi’an liebt.Man hat die richtige Ansichten über die Entwickelung und die Änderung Xi’an geäußert.Die deutsche Leser und Leserinnen, die noch nicht in China und Xi’an sind, möchten danach gern das Land , die Stadt Xi’an und die Landleute kennenlernen.

    Fan Feng