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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Urlaubsbrief aus der Türkei / 1

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Erzählung

© von Robert Straßheim

Erstes Kapitel


Am Marmara-Meer, Anfang August

Lieber Markus,

welch ein Zauber geschieht! Vom beschatteten Balkon aus schaue ich in die Olivenhaine, noch weiter in die Berge; das Bügelbrett federt ein wenig unter meinen Ellenbogen, ich setze nur deinen Namen auf das leere Blatt und schon sind wir auf diese mysteriöse Weise verbunden. Sanft und lau streicht der Sommerwind vorüber, fern und lieb, der du mir bist, denke ich an dich.

Zerschlagen von über vier Stunden Busfahrt sind wir hier angekommen, in einer kleinen Stadt in der Nähe von Tekirdag, wo der Schwager arbeitet. Hier nun kann ich schreiben und lesen, soviel ich will, und meine Lust darauf ist unersättlich.

Wie froh bin ich, dieser verrückten Millionen-Armuts-Stadt Istanbul entkommen zu sein. Zara wollte es nicht glauben, als ich nach zwei Tagen wünschte, vorzeitig abzureisen. Sie bestand darauf, dass wir noch so viel zu erleben hätten – dabei dachte ich gar nicht ans Sterben, sondern nur an ein besseres Leben. Aber Zara versteht unter gutem Leben Anderes, Schlechteres als ich, vor allem das Herumlungern auf Bazaren, wo sie unermüdlich herumguckte und fast nichts kaufte – ein sinnloses Treiben -, während ich auf Bordsteinen saß, vergraben in einen Roman.

Wann immer sie mich nötigte, meinen Kopf aus dem Buch zu ziehen, verblassten mir die Farben im Staub dieser Stadt. Jeden Abend wiederholte ich mein Lamento, drohte, wenn ich länger bleiben müsste, dann nur noch in der Wohnung, lesend versteht sich, denn unsere Wohnung lag in einem höher gelegenen Stadtteil, wo die Luft nicht ganz so verseucht war. Der Kompromiss: Wir verkürzten nur um einen Tag, aber dafür musste ich immer mitziehen, durch verpestete Luft, Gedränge, Verkehrs-Chaos – das alles liegt nun endlich, nach sechs Tagen, hinter uns.

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Hier können wir wieder frei atmen, abseits aller Touristenströme das milde Meeresklima genießen, baden, an der Küste spazieren gehen, uns selbst genügen und uns genießen. Und ebenso goutiere ich die Früchte des Landes mit täglich neuem Erstaunen: honigsüße Pflaumen, mit Aroma durchfärbte Pfirsiche, die Aprikosen, die die Schwägerin aus Malatya mitgebracht hat, schmeicheln samten dem Gaumen. Berühmt ist die hiesige Gegend für Oliven, deren Öl ich sogar dem mitgebrachten Weizenkeimöl bevorzuge. Selbst Patates entfalten ein Aroma, das mich deutsche Kartoffeln vergessen lässt.

Du siehst also: Bei soviel Genuss und Milde und Liebe, mit der mich meine Karicigim umhegt, fehlt mir nur eins: die Kunst. Leider sind die wenigen Museen hier wohl eher auf Nationales ausgerichtet: Teppiche, Militär, Kunst des Islam, Paläste und so weiter – nichts, was mich anzieht, im Gegensatz zu London oder Rom, wo die Luft ähnlich schlecht ist, aber dort will man endlos in Museen weilen, während die Umwelt sich verliert im Wohlgefallen.

In Istanbul dagegen war alles schnell erledigt: Hagia Sofia, die betagte Kathedrale, die Kaiser Konstantin hatte erbauen lassen, und die benachbarte Blaue Moschee hatten wir schon am ersten Tag besichtigt, züchtig mit dunkelblauen Schürzen bedeckt. Trotzdem bekam ich von argwöhnischen Wärtern, die genau zusahen, mörderische Blicke und Geschimpfe ab: Sieh da, im Schneidersitz, lüpfte sich meine Schürze, ließ Beine blinken! Was ist denn dabei? – Doch ich fügte mich der fundamentalen Macht. Anschließend liefen wir durch eine der Straßen mit den rauchgeschwärzten Mauern weiter bis zum Bosporus mit der Brücke, die unerwartet über allem auftauchte, als wir über die Häuser hinweg in den Himmel schauten. Ende. – Wir aber, drunten auf Erden, wateten im Dieselqualm. Da ist man schon ungläubig und trotzdem in der Hölle. Du verstehst, dass ich nur zu flüchten trachtete?

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Nur auf eins war ich noch neugierig: auf Zaras Tante, die mit ihrer Familie in Istanbul lebt. Wir brauchten zwei Stunden, um zu ihr zu gelangen – eine durchschnittliche Entfernung innerhalb Istanbuls; viele haben so einen Weg zur Arbeit. Stell dir vor, 15 Millionen Menschen in einer Stadt, und keine U-Bahn! Wie zufällig gibt es mal eine Straßenbahn, die mittendrin anfängt und mittendrin aufhört, einfach so, ohne Anschlusslinien. Man kann nur in einen Bus umsteigen, Busse fahren überall, nur nicht nach Plan. Dank Zaras ständigem Befragen fremder Leute gelangten wir endlich an, aus dem Staub der Straße traten wir ein in eine Oase der Ordnung und Sauberkeit; sofort hieß uns die Tante, nicht nur die Schuhe aus-, sondern sofort Hausschuhe anzuziehen, sodann schickte sie uns ins Bad, zum Füßewaschen. Danach durften wir barfuß durch die Wohnung laufen – und sicherlich wird die Tante nach unserem Besuch die beschmutzen Hausschuhe gewaschen haben. Zara gesellte sich zu ihr in die Küche, wo die erbetenen Patates für mich brodelten und viele gefüllte Formen und Schalen in Öfen und Backröhren zu schieben waren; ich blickte nur flüchtig hinein – es ziemte sich für mich, der Küche fernzubleiben.

Eine Stunde lang saß ich, lesend, im Wohnzimmer, bis die erwachsene Tochter der Tante kam. Erfreut wollte ich ihr junges Gesicht betrachten, doch höflich wandte ich den Blick ab; was mir blieb, war, wie so oft, der Eindruck: hübsch, aber dick. Sie heißt Gözleme oder ähnlich, und verschwand in der Küche. Kurz darauf erschien Gözlemes sechsjährige Tochter, mit noch dickerem Gesicht, auch ab in die Küche.

Ein Kapitel später fuhren sie ein stattliches Menü auf, zu dem plötzlich der Onkel auftauchte: sein Gesicht nicht nur dick, auch hässlich – schnell brachte ich meinen Blick in Sicherheit: Gözlemes Mann, kein dickes Gesicht, auch das Gesicht der Tante ist nicht dick, aber ausgezehrt. Bei der Tischkonversation fiel mir auf, dass niemand schrie. Ich machte Zara darauf aufmerksam, dass, im Gegensatz zu ihrer Familie, hier Zimmerlautstärke eingehalten wurde. Zara übersetzte mein Lob und übersetzte mir die Antwort der Tante zurück: Die Lautstärke mache den Unterschied zwischen Stadtmenschen und Landmenschen.

Ein zweiter Unterschied, der mir gefiel: Wenn ich sagte: nein, danke, yeter, teschekür, dann respektierten sie meine Abweisung und fragten nicht dreimal nach, traktierten mich nicht.

Am Ende des Mahls verschwand der Onkel wieder. Zara verriet mir später, dass er nicht arbeite und ins Bordell gehe – nein, es sei ihr nicht bekannt, welche dieser beiden Sünden für die Tante die tödlichere ist.

Geld scheinen sie genug zu haben, sie wohnen sehr großzügig, aber sie luden uns nicht zum Übernachten ein – was wir erwartet hatten, aber nicht wünschten.

In den nächsten Stunden musste Zara weiter reden – für sie ein Vergnügen -, ich wäre gern mal abgetaucht ins Meer, das nur hundert Meter entfernt zum Baden einlud, aber das sei dreckig, beschied die Tante, und Gözleme stimmte ein. Einen Tag vorher hatte ich es ausprobiert, in einem Strandbad, nicht weit von der Wohnung der Tante entfernt – bedenkenlos schwamm ich in der dunklen Lauge, kein Geruch oder Geklebe. Und diese Familie wohnt direkt am Strand und badet niemals – auch das Kind nicht! Nun, ich passte mich an und blieb sitzen – hatte ja meinen Roman, der mich entschädigte. Gözlemes Mann aber, ein Photograph und Künstler, reichte mir einen Bildband mit alten Photos von Istanbul – eigentlich mache ich mir lieber eigene Bilder – aber es war eine freundliche Geste, mir etwas zu geben als Ersatz für die unverstandenen Worte, und so ließ ich mich, gerührt, von ihm unterhalten, nahm auch noch den zweiten und dritten Band hin, bis ihm endlich der Nachschub ausging und ich weiter lesen konnte; doch brach die Dunkelheit ein ins Wohnzimmer, so ging es nicht mehr gut: zu funzelig war die Deckenbeleuchtung, und noch quälender wurde es auf der Rückfahrt im Bus, wo eine europäische Straßenbeleuchtung die tranige Innenbeleuchtung übertraf und mich gerettet hätte; aber allzu unstet wanderten die Straßenlampen über mein Buch hin, und so gab ich es auf. Dafür erzählte mir Zara über diese Tanten-Familie, weit ausführlicher als ich es hier berichte, denn was geht mich solcher Klatsch an?

Nächster Morgen

Ach, Markus,

wie glücklich war ich in Istanbul, wo ich noch nicht gewärtigte, wie rasch mir mein Büchervorrat dahin schmilzt! Von den sechs Büchern, die ich mitgebracht habe, habe ich schon zwei ausgelesen, und noch nicht mal eine Woche ist vorüber – zu Hause, beim Packen, wollte Zara sogar zwei stolze Wälzer wieder aus dem Koffer nehmen, weil der zu schwer war. Wir stritten uns, ob sechs Bücher oder sechs Kilo Schokolade wichtiger seien – mit dem Ergebnis, dass keines nachgab (drei Kilo Übergewicht, aber diesbezüglich zeigten sich die Turkish Airlines tolerant – wer sollte auch sonst mit ihnen fliegen?). So war ich froh um sechs erkämpfte Bücher. Dennoch: Eine Fehleinschätzung! 1500 Seiten für dreieinhalb Wochen, in denen man nur lesen kann, sind doch recht kläglich – wenn ich nur mal vernünftig gerechnet hätte! Aber wie gesagt, selbst in Istanbul, wo doch so wenig zu sehen war, hatte ich mir noch keine Sorgen um meinen Lektürevorrat gemacht und las nach Herzenslust.

Ebenso nach meinem Herzen verlief der Tag nach dem Tantenbesuch: Gözlemes Mann hatte Zara informiert, dass es ein Museum für Moderne Kunst gibt! Ich glaubte ihm nicht, weil es im Reiseführer nicht vermerkt war, aber wir fanden es dann tatsächlich: Der Schriftzug „Istanbul Modern“ prangt groß auf einem 50 Meter hohen roten Poller vor dem Meer, daneben eine weiße Halle, hier öffnete sich die Welt – warum stand es nicht im Reiseführer? Ich fragte an der Kasse (hier versteht man Englisch und spricht es auch gut): Das „Istanbul Modern“-Museum wurde erst vor zwei Jahren eröffnet. Unseren Reiseführer aber hatte ich spottbillig im Antiquariat gekauft – gedruckt 1997. Wer würde auch denken, dass sich in Istanbul etwas ändert? Noch dazu zum Guten!

Ohne diesen gebildeten und geistesgegenwärtigen Verwandten, der viel lieber in New York leben würde, hätten wir uns also fast ins Unglück gespart. Nun aber bekamen wir doch noch einen Brocken Kultur zu fassen. Das Museum weckte schon äußerlich die glücklichste Erinnerung: Seine Architekten waren augenscheinlich inspiriert worden von der zur documenta-11-Halle umgebauten Binding-Brauerei. Obwohl die Istanbuler Halle nicht so groß ist wie die d11-Brauerei in Kassel (und die ausgestellte Malerei höchstens zweitklassig), bin ich sehr zufrieden gewesen, allein wegen der Reminiszenz: mutig aufragende Betonflächen, vornehm grau gestrichen, genau wie in Kassel. An diesem Tag liebte ich Zara noch mehr und las weniger.

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(Fotos: © Robert Straßheim)

(Zweites Kapitel)

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