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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Bhutan – ein noch ziemlich unbekanntes Land (Folge 3)

Feuersegen und Maskentänze

Text und Fotografien: © Ingrid Malhotra

Von Trashigang ging es zurück nach Bumthang (siehe Folge 2).

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Ins gleiche Hotel, dachten wir. Aber in meinem Hotel war überraschend eine VIP angekommen, und die leeren Zimmer an nicht mehr ganz taufrische Touristinnen zu vergeben, schien gewagt – wer weiss, ob in Europa Terroristen nicht gerade so aussehen …

Also gab man mir ein anderes Zimmer, in einem anderen Hotel, in einem anderen Teil dieses speziellen Siedlungskerns – aber, leider, das Hotel war noch im Bau. Der Hotelier zeigte mir voller Stolz, warum die Dinge so aussahen, wie sie aussahen, und inzwischen ist es sicher ein super Laden mit gaaanz viel Lokalkolorit – aber als ich kam, war es eine Baustelle. Aber was soll’s, das Bett war OK, das Bad etwas betonlastig, aber benutzbar. Was tut man nicht alles.

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Was ist das für ein Radau? Ach ja, hatten wir fast vergessen, draussen ist Markt, und nach dem Markt wird kräftig gefeiert.

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Ich will hier `raus …

Und tatsächlich, die oder der VIP stimmte zu, eine Normalsterbliche durfte da schlafen, wo VIPs schlafen. Zumindest versuchte sie es. Dass es ein eher kleines Zimmer war, und dass die Tür nicht verschliessbar war – kein Problem, es war trotzdem gemütlich, und in Bhutan klaut keiner, aber zum Schlafen kam ich trotzdem erst sehr viel später, denn plötzlich klopfte Karma, mein Führer, an die Tür und schleifte mich davon, zu einer „Fire Blessing“, einem Feuersegen, was immer das sein sollte.

Gott, hatte ich ein Glück! Wie viele Touristen haben wohl in Bhutan schon einmal eine Fire Blessing gesehen? Es ist einfach grossartig!

Zuerst fährt man auf engen schmalen Wegen durch grosse Menschenmassen bis zu einem abgelegenen Feld, und dann fädelt sich das Auto durch eine erstaunliche Menschenmenge, und man wird immer neugieriger. Der Chauffeur war während der Fahrt zutiefst beunruhigt, denn er wollte ja teilhaben am Geschehen, aber vorher musste er das Auto loswerden.

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Dann stolpert man in finsterster Nacht über einen Acker und über die Füsse vieler anderer Menschen. Wenn sich dann die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sieht man, dass mitten auf dem Feld eine Art Triumphbogen aus Ästen, Zweigen und Stroh aufgebaut ist. Rundherum schart sich eine riesige Menschenmenge. Männer in wilden Masken und mit brennenden Reisigbündeln bewaffnet, springen zwischen den Zuschauern herum und versuchen, sie mit den Reisigbündeln zu treffen. Ich erfahre, dass bald der heilige Lama kommen und einen Segen sprechen wird, und dann wird der Bogen angezündet, und alle werden versuchen, unter dem brennenden Bogen hindurch zu laufen. Das soll Glück bringen für das ganze kommende Jahr und eine reiche Ernte.

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Der Lama kommt mit Pauken und Trompeten, wobei die Pauken etwas anders aussehen und die Trompeten eher Alphörnern ähneln, spricht seinen Segen, und die Clowns setzen mit ihren Reisigbündeln den Bogen in Brand.

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Alle Einheimischen stehen jetzt auf einer Seite, und sowie der Bogen richtig brennt, rennen, schieben, stürzen sie alle drunter hindurch. Zumindest versuchen sie es. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wieso es dabei weder Tote noch Verletzte gibt. Über den letzten Läufern bricht der Bogen dann qualmend und funkensprühend zusammen. Und alle gehen hochbefriedigt nach Hause.

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Mittlerweile habe ich meine beiden ständigen Begleiter ja recht gut kennen gelernt, und wir sprechen über viele Themen. Dabei kommt dann auch einmal von Karma, dem Führer, die Frage, ob es für ihn nicht ratsam sei, nach Deutschland auszuwandern. Natürlich rate ich ihm ab, erzähle ihm von Arbeitslosigkeit und der Schwierigkeit, die Sprache zu erlernen. Er hat gehört, wie hoch hier die Gehälter sind. Ich halte dagegen, wie hoch hier die Kosten sind. Und dann weise ich noch darauf hin, dass er als braver Buddhist wahrscheinlich etwas geschockt wäre von unseren Moralvorstellungen.

Zwei Tage später komme ich in dem einheimischen Roman, den ich in Thimphu gekauft hatte, zu eben diesem Thema. Und bin selbst geschockt. Gegen die Traditionen in Bhutan sind wir direkt altmodisch. Nicht, dass man wilder Unmoral frönt, aber es gibt keine Prüderie, und man geht von vornherein nicht davon aus, dass Partnerschaften ein Leben lang halten sollen; und die Trennung ist dann scheinbar tatsächlich weniger schmerzlich als sie für uns wäre. Seltsam! Und das so dicht bei Indien, dem prüdesten Land, das ich kenne …

Natürlich dachte ich zuerst, es handele sich vielleicht um dichterische Freiheiten, die sich der Autor, ein ehemaliger Minister des Landes, genommen hätte. Aber alle, mit denen ich darüber sprach, haben es bestätigt, und nicht nur das, sondern auch darauf hingewiesen, dass seit Hunderten von Jahren sexuelle Selbstbestimmung in Bhutan nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen völlig normal und üblich ist.

Das kam unterwartet!

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Die Fahrt ging weiter nach Wangdi Phodrang. Unterwegs hatte ich Gelegenheit, eine Fabrik anzuschauen, in welcher die typischen kleinen Öfchen hergestellt werden, mit denen man nicht nur heizt, sondern auf denen auch immer der Teekessel mit Wasser steht.

Und noch viele, viele Wasserfälle …

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Es gab eine Reihe interessante Zwischenstops, z. B. an einer heiligen Höhle,

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heilig deshalb, weil vor vielen hundert Jahren Guru Rinpoche dort meditiert haben soll. Man sieht natürlich noch seinen Fussabdruck im Stein …

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Interessant war auch das Kloster, in dem ich ungehemmt fotografieren durfte, sogar die Mönche. Dort mussten Wandgemälde restauriert werden, und eine kleine Spende für die Fotoerlaubnis war hochwillkommen, im Gegensatz zu den anderen Klöstern, wo man meine Fotografierwut absolut nicht schätzte.

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Bei einer Rast kaufte ich das schönste Tangka, das ich je gesehen habe: mit Gold auf schwarzem Grund äusserst fein und sorgfältig gemalt. Der Künstler lebt noch, und er und seine Tochter haben sich sehr über meinen Einkauf gefreut.

Gelegentlich hielten wir an, um eine Horde Affen zu beobachten oder interessante Blumen anzuschauen.

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Interessant waren auch immer wieder die Grenzkontrollen innerhalb Bhutans. Wann immer man von einem Dzongkar in den nächsten wechselt, muss man seine Existenz und seine Reiseberechtigung nachweisen …

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Nun, und dann gab es noch während des Abendessens auf einer Hotelterrasse die Unterhaltung einer deutschen Reisegruppe, deren Teilnehmer wohl nicht damit rechneten, dass jemand sie verstünde. Alle hatten im Wesentlichen drei Fragen, auf die niemand eine Antwort wusste:

Wo waren wir gestern?
Wo sind wir jetzt?
Wo fahren wir morgen hin?

Sehr, sehr eigenartig!

Ich muss gestehen, dass mich das schon überrascht hat – irgendwie hatte ich erwartet, dass jeder, der eine solche Reise unternimmt, sich gründlich darauf vorbereitet und nicht nur konsumiert …

Dann erreichten wir schliesslich Wangdi Phodrang und ich sah meine ersten Maskentänze.

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Hier ist alles noch sehr überschaubar. Der Dzong liegt hoch über einem hübschen Flusstal. Das Publikum besteht fast ausschliesslich aus Einheimischen. Auf dem Tanzplatz laufen Hühner herum und suchen nach Essbarem – aber die Tänze sind atemberaubend. Wunderschöne farbenprächtige Kostüme, Masken, die zum Teil Hunderte von Jahren alt sein sollen! Jeder Tanz erzählt eine Geschichte, mal ein Märchen, mal eine Legende, mal eine Begebenheit, die tatsächlich stattgefunden hat.

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Die Menschen sind von weit her gekommen, um diese Tänze zu sehen, und ich muss zugeben: der weiteste Weg lohnt sich. Aber doch ist das, was ich hier erlebe, absolut keine ausreichende Vorbereitung auf die Tänze in Thimphu!

Dort kommen wir am Tag vor dem Beginn des Festivals an, und auch heute gibt es ein besonderes Erlebnis. Aber zunächst musste ich in meinem Hotel einziehen, einem anderen als zu Beginn der Reise, denn irgendwer – entweder in der Agentur oder im Hotel, darüber gab es hitzige Auseinandersetzungen – hatte meine Reservierung storniert. Das war aber auch gut so, denn das neue Zimmer war gross und schön und ganz zentral gleich beim Hauptplatz von Thimphu. Danach habe ich erst einmal versucht, in der einzigen Buchhandlung ein Kochbuch zu erstehen. Gerüchteweise hörte ich, dass es eines geben soll, aber sie hatten es nicht, sie wussten nicht, ob das Gerücht stimmt, und sie konnten das auch nicht schnell genug herausfinden.

Nach dem Abendessen kam dann etwas sehr Überraschendes – eine Veranstaltung zum Thema Aids.

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Auf dem grossen Platz diente eine breite Freitreppe als Tribüne, davor standen noch bunte Plastikstühle für alle möglichen Ehrengäste, und gegenüber war eine grosse Bühne aufgebaut, mit Aids-Postern als Hintergrund. Aids macht den Bhutanesen grosse Sorgen, denn da man hier recht freizügig lebt, ist die Gefahr gross, dass Aids sich schnell ausbreitet. Was besondere Sorgen macht ist, dass die meisten der Strassenbauarbeiter aus Indien kommen, und von denen sollen viele krank sein.

Als es dann dunkel wurde, begann die Vorstellung in Form von kurzen Theaterstücken, Gesangsvorführungen, Rezitationen – alles mit Beispielen, was an schrecklichen Dingen passiert, wenn man sich infiziert, und zum Teil geradezu erschütternd realistisch. Nur als ein Schuljunge weinend auf der Bühne stand und seinem toten Vater Vorwürfe machte, dass er mit einer fremden Frau geschlafen hatte, ohne ein Kondom zu benutzen, hat die Jugend von Thimphu sich blendend amüsiert – sie kannten sowohl ihren Schulkameraden als auch seinen quicklebendigen Vater.

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An der Aufführung nahmen alle Stars der Film- und Schlagerszene von Bhutan teil, und das Publikum ging richtig mit, war begeistert und diskutierte in den Pausen tatsächlich, worauf sie künftig achten wollten.

Der Zeitpunkt war auch gut gewählt für eine solche Veranstaltung, denn einen Tag vor Beginn der grossen Maskentänze waren Menschen aus ganz Bhutan hier, die sich über die Abendunterhaltung freuten und alles, was sie lernten, nach Hause zu ihren Nachbarn und Verwandtem tragen würden.

Und dann kam der grosse Tag: Maskentänze in der Hauptstadt.

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In Wangdi Phodrang war ich ja schon zutiefst beeindruckt von den Tänzen und auch von den versammelten Menschenmengen. Heute verstand ich, dass das eine bescheidene Veranstaltung im engsten Kreis gewesen ist.

In Thimphu schienen sich alle gut 700.000 Einwohner von Bhutan zu drängen. Ordnungshüter hatten grosse Mühe, die Menschen dorthin zu lenken, wo noch ein Plätzchen war und sorgten pausenlos dafür, dass die in den vorderen 20 oder 30 Reihen sitzen blieben, damit die dahinter auch noch etwas sehen konnten. Alle waren in ihrem schönsten Sonntagsstaat, die Sonne strahlte mit aller Kraft – ein herrliches Bild.

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Die Suche nach einem guten Platz zum Fotografieren gestaltete sich schwierig. Am besten war es dort, wo die Honoratioren, Regierungsmitglieder und Diplomaten standen – aber immer wieder hat ein Ordnungshüter versucht, mich irgendwo anders hin zu dirigieren, wo er mich besser untergebracht glaubte. Aber schliesslich war es doch geschafft, und nach einer Weile und ein bisschen Reden und Lächeln kam ich sogar noch oben auf eine Treppe, von der man einen ganz besonders guten Blick hatte – das war schön, denn jetzt konnte ich Bilder machen, auf denen die Halbglatze meines Vordermannes nicht mehr so überaus prominent hervortrat!

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Mein Gott, war das schön!

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Tut mir leid, man kann es nicht beschreiben. Worte sind einfach zu eindimensional. Ich habe Tausende von Fotos gemacht und würde am liebsten alle hier einfügen – die Auswahl fällt unglaublich schwer! Ein Tanz folgte dem anderen; jeder in farbenprächtigen Kostümen und herrlichen phantasievollen Masken. Oft kam der Tod vor in den Geschichten, welche die Tänze erzählten. Aber obwohl er immer bedrohlich wirkte, war er doch oft nicht erfolgreich, sondern machte sich irgendwie lächerlich. Zwischen den Zuschauern sprangen maskierte Spaßmacher herum und versuchten, möglichst viele Menschen mit einem kleinen länglichen Gegenstand zu schlagen, der sich bei näherem Hinsehen als Penis entpuppte. Natürlich war es gut, davon getroffen zu werden, denn das sprach für reichen Kindersegen; und zur Belohnung musste man dann auch ein bisschen Geld übergeben.

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Die Zuschauer waren sehr diszipliniert. Sogar die Kinder. Alle Einheimischen kannten natürlich Sinn und Inhalt der Tänze und haben verstanden und gelacht, wenn etwas komisch war, oder die Luft angehalten, wenn es spannend wurde.

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Alle waren freundlich und entspannt. Man teilte Essen mit seinen Nachbarn, beruhigte Babies, lächelte den Fremden zu – es war ein grossartiges Massenerlebnis! Dabei habe ich doch sonst immer so einen gewaltigen Horror vor grösseren Menschenansammlungen. Aber hier war es einfach ein Gefühl von Gemeinsamkeit, das sich wohl allen Anwesenden mitteilte.

Die Zeit verging rasend schnell, und obwohl mir die Sonne auf den Kopf brannte, nach ein paar Stunden jeder Knochen einzeln wehtat, war ich richtig traurig, als es auf den Abend zu ging und ich gehen musste. Wie gut, dass noch ein Tag kommen würde, die Angst, etwas zu verpassen, wäre sonst einfach zu gross gewesen. Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann noch einmal Gelegenheit haben werde, an diesem grossartigen Schauspiel teilzuhaben, denn nach diesen drei unglaublich schönen und interessanten Tagen ging es zur Weiterreise nach Indien.

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Aber das ist ein neues Kapitel.

(Folge 4)

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