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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Götter trugen Missoni

Von Erhard Metz

Chic angetan waren sie, die alten Götter und Helden – hat da etwa der bekannte Modemacher Ottavio Missoni später bei ihnen „abgekupfert“?

Denkbar wäre es, 1963 stellte er in Mailand seine erste grössere eigene Kollektion vor, seine lebhaft farbigen Zick-Zack-Muster machten ihn seitdem weltbekannt. Dass die Götter einst „bunt“ waren, wurde immerhin bereits im Jahr 1814 wenn nicht bekannt, so doch vermutet: Ein gewisser Herr mit dem bemerkenswerten Namen Antoine Chrysostôme Quatremère de Quincy war sich aufgrund seines Studiums archäologischer Funde und antiker literarischer Quellen sicher, dass die weissen Skulpturen dereinst bemalt waren, gefasst, wie der Fachausdruck lautet. Keine Geringeren als Euripides, Platon, Plinius der Ältere oder Plutarch legen in ihren uns überlieferten Schriften ein Zeugnis davon ab. Bei seinen Zeitgenossen und auch später fand Quatremères Überzeugung trotz dieser Belege wenig Gegenliebe – konnte man sich doch von dem Ideal weissen Marmors für Götter und Helden nicht lösen.

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Der Bogenschütze und trojanische Prinz „Paris“ aus dem Westgiebel des Aphaia-Tempels auf Ägina, Farbrekonstruktion des griechischen Marmororiginals, entstanden ca. 520 v. Chr.
Fotos: Dieter Rehm (2006 Vinzenz Brinkmann, Ulrike Koch-Brinkmann und Hermann Pflug)

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Ausstellungsansicht (Foto: Alexander Heimann)

Professor Vinzenz Brinkmann, dem Leiter der Antikensammlung des Frankfurter Liebieghauses und Kurator der dortigen laufenden Ausstellung, ist es zu verdanken, dass wir uns heute vom weissen Marmor verabschieden müssen. Im Verbund mit Forscherkollegen und seinen Mitarbeiterteams rekonstruiert er bereits seit Jahren anhand einiger Beispiele die Polychromie der antiken Skulpturenwelt. An diesen Arbeitsergebnissen, betont er, könne es keinen Zweifel mehr geben. Für alle, die es noch nicht wissen sollten: Untersuchungsinstrumentarien wie Streiflicht- und UV-Fluoreszenzfotografie, Mikroskopie, UV-Reflektrografie sowie die Raman- und die UV-Vis-Absorptions- Spektroskopie lassen heute die damals verwendeten Farbpigmente und Mustergestaltungen auf den Oberflächen genau erkennen.

Werfen wir einen Blick in den „Malkasten“ der antiken Meister: Virtuos handhabten sie den Farbauftrag der Naturpigmente Zinnober und Azurit, Ocker, Realgar oder Malachit. Mit ihrem hochentwickelten mathematischen Wissen berechneten sie exakt die Krümmung der Ornamente der sich um das knieende und das im rechten Winkel gebeugte Bein des Paris schmiegenden Bekleidung.

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Zinnober und Azurit

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Realgar und Malachit

(Fotos: Eric Hunt-Azurit-, wikimedia commons CC; Piotr Menducki-Realgar-, wikimedia commons GFDL; Dlloyd-Malachit-, wikimedia commons GFDL)

Die Bildhauer der Antike bearbeiteten ihr Material, wie wir heute wissen, bereits im Blick auf die später aufzubringende farbige Fassung. Die Künstler der malenden Zunft standen dabei in einem mindestens ebenso hohen Ansehen wie ihre Bildhauerkollegen.

Götter und Helden entstehen vor unseren Augen fast in Fleisch und Blut. Die jetzt im Liebieghaus ausgestellten Rekonstruktionen legen, so der Pressetext des Museums, „in überwältigender Weise Zeugnis von der vibrierenden Sinnlichkeit der farbigen Antike ab. Hunderte fein unterschiedene und ungewöhnlich detailreiche Ornamente schmücken die antiken Gewänder … gemalte Augen, Hautfarbe und gestaltetes Haar geben den Figuren Ausdruck und Seele zurück“.

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Peploskore der Athener Akropolis, Farbrekonstruktion des antiken Originals, Stiftung Archäologie, München
Foto: Stiftung Archäologie

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Theseus-Antiope Gruppe aus dem Westgiebel des Apollon-Daphnephoros Tempels in Eretria, Partielle Farbrekonstruktion des antiken Originals
Stiftung Archäologie, München, Foto: Stiftung Archäeologie
(2006, Vinzenz Brinkmann, Gipsabguss: Hermann Scharpf)

Ottavio Missoni wird seine Freude an einem derartigen Anblick haben. War er, Visionär wie viele seiner Modeschöpfer-Kolleginnen und -Kollegen, den kunsthistorischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Zeit über die antike Polychromie voraus? Hat er oder hat er nicht von den bunten Göttern „abgekupfert“?

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(Missoni-Krawatten des Autors)

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