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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Eine Kreuzfahrt, die ist lustig …

Eine Kreuzfahrt, die ist lustig

Text: Ingrid Malhotra
Buchautorin und Fotografin

Fotografien: Ingrid Malhotra und Marion Toelle (2)

Wirklich?

Auch auf einer schwimmenden Kleinstadt?

Wir machen gerne Kreuzfahrten – wir, das sind vier Freunde, die viel unterwegs sind, mal alleine, mal zu zweit, mal zu viert.

Aber eine Kreuzfahrt auf einem dieser Riesendampfer können wir uns nur sehr schwer vorstellen. Deshalb sind wir ja auch so neugierig. Und deshalb haben wir auch nur die kleinstmögliche Kreuzfahrt gebucht: Southampton – Cork – Southampton.

Länger haben wir uns nicht getraut, denn uns steckt noch die Kreuzfahrt mit einem der Schiffe mit dem Kussmund in Erinnerung. Dort war der Altersdurchschnitt so niedrig, dass wir direkt alt aussahen. Irgendwie ziehen wir amerikanische Schiffe vor; dort ist der Altersdurchschnitt meist so hoch, dass wir uns fast wie die Kinder an Bord fühlen …

Die „Independence of the Seas“ ist ein amerikanisches Schiff.

Aber so gross! Fast 160.000 BRT, über 338 m lang, 1400 Mann Besatzung, Kapazität für 3328 Passagiere, 14 Etagen, hm, nein, Decks …Kann man sich auf einem so grossen Schiff noch wohl fühlen?

Na, mal sehen …

Die Anreise macht auf jeden Fall schon viel Spass: mit dem ICE nach Brüssel, nach (eher weniger spassigem) Check-in wie bei einer Flugreise weiter mit dem Eurostar unter dem Kanal hindurch nach London. Eine hatte Angst, klaustrophobisch zu werden beim Gedanken, dass so viel Wasser über ihrem Haupte fliesst, aber sie hat es einfach verschlafen.

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In London ist der alte Bahnhof St. Pancras gleich bei King’s Cross für den Eurostar wieder in Betrieb genommen worden, und bei dieser phantastischen Mischung aus viktorianischer Prachtarchitektur und modernster Technik stand ich schon mit offenem Munde da und staunte nur noch. Aber der wäre eine eigene Reportage wert – hier geht es um die Kreuzfahrt!

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Southampton, wir stehen am Kai und schauen auf das Schiff; und selbst bei uns vieren kommt das ganze Spektrum an Kommentaren – von „hab ich mir grösser vorgestellt“ bis „Mann, was für ein Kasten“.

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An Bord sind wir schnell, nachdem wir ja schon in – sehr – mühevoller Kleinarbeit online eingecheckt hatten (das könnte man sicher besser und praktischer programmieren!), auch unsere Kabinen finden wir überraschend schnell, und dort erwartet uns eine sehr angenehme Überraschung: kaum 12 qm, aber geräumig und grosszügig wirkend, mit richtigen Betten, vielen Spiegeln, einer gemütlichen Sitzecke und einem raffinierten kleinen Duschbad.

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Vom Steward with love …

Gut, später, als wir andere Passagiere sehen, fragen wir uns schon, wie die eine oder andere in die Dusche hineinkommt, aber für uns reicht es. Alles genial durchdacht. Da hatten wir schon auf sehr viel teureren Schiffen sehr viel engere und liebloser eingerichtete Kabinen.

Jetzt noch fix häuslich einrichten und zur ersten Erkundungstour starten.

Kurze Verzögerung durch die obligatorische Seenotrettungsübung, aber dann!

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Seenotrettungsübung

Zunächst geht es zur „Royal Promenade“, einer Einkaufsstrasse, auf die so manche Kleinstadt stolz wäre: Läden, Bars, Restaurants, Friseur, sogar ein richtiger Barbier.

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Royal Promenade

Am anderen Ende gibt es Restaurants der unterschiedlichsten Art und Grösse auf allen Etagen. Wir trinken erst einmal einen Kaffee in einem der Selbstbedienungsrestaurants ganz oben und schauen auf Southampton hinab. Als das langweilig wird, gehen wir nach draussen, um den Pool anzuschauen.

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Für Schwimmer

Pool? Das ist kein Pool! Das sind gewaltige Wasser- und Badelandschaften – so viele Whirlpools habe ich noch nie auf einem Fleck gesehen! Und oben darüber gibt es als Krönung etwas, das nennt sich „Flow Rider“, wo man sich mit einem Board in eine Gegenstromanlage stellt und versucht, nicht ins Wasser zu fallen.

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Wasserlandschaft

Ergänzt wird das Ganze durch mehrere Bars und Imbissstände – nur nicht verhungern! -, durch einen einschüchternd gut ausgestatteten Fitnessraum – mit Aussicht, nicht, wie meistens, irgendwo unten im Bauch des Schiffs versteckt, ein Beauty Parlour, Sauna, und, und, und …

Zwei von uns sind vom Hingucken schon völlig erschöpft und wir lassen uns an der „Royal Promenade“ in einen Barsessel sinken, wo wir prompt das Auslaufen des Schiffs verpassen.

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Eine der vielen Bars

Man merkt es nicht, wenn dieses Riesenteil sich in Bewegung setzt. Überhaupt bemerkt man Bewegung nur, wenn etwas Seegang oder eine lange Dünung herrschen. Hier seekrank zu werden, stelle ich mir schon etwas schwieriger vor.

Auf dem Weg zum Abendessen haben wir Gelegenheit, die Fotos anzusehen, die bei der Ankunft von uns gemacht wurden – grauenhaft, breiten wir den Mantel des Vergessens darüber und widmen uns dem Zusammenfinden; das ist gar nicht so einfach, denn man hat uns, obwohl wir gemeinsam reisen, verschiedenen Restaurants zugeteilt, und vor dem Maître d’ wartet ungeduldig eine lange Schlange – wohl mit ähnlichen Problemen. Der Kellner regelt es dann unbürokratisch und setzt uns einfach zusammen, was kein Problem ist, weil man dem jungen Ehepaar, das mit am Tisch sitzt, zwei nicht vorhandene Kinder angedichtet hat – wir kriegen also deren Plätze und sind wieder vereint.

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Ein Häppchen für zwischendurch …

Nach einem opulenten Mahl wollen wir eigentlich noch schauen, was in einem der Theater am anderen Ende des Schiffs aufgeführt wird, merken aber schnell, dass wir ganz allmählich einschlafen, während auf der Bühne jemand singt, und ziehen uns lieber in unsere Kabinen zurück.

Das Programm für den kommenden Tag bietet, ausser der Ankunft in Cobh, dem Hafen der irischen Stadt Cork, überwiegend Verkaufsveranstaltungen – eine gute Gelegenheit zu weiteren Erkundungsgängen. Ich nehme mal meinen Schrittzähler mit und stelle nachmittags doch leicht erstaunt fest, dass ich gut zehn Kilometer gelaufen bin! Wieso nimmt man eigentlich bei Kreuzfahrten immer so viel zu?

Muss wohl am Essen liegen …

Nun, was haben wir noch gefunden? Ein grosses Casino, einen kleinen Golfplatz, eine grosse Kletterwand, einen Sportplatz – man könnte hier wirklich sehr viel trainieren. Könnte …

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Casino

Aber da ist ja noch die Royal Promenade. Heute, auf hoher See, sind die Läden geöffnet. Da muss man doch mal schauen, oder? Aber, na ja, so richtig umwerfend ist das Angebot nicht, finde ich.

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Royal Promenade
Aber richtig umwerfend finde ich die Eisbahn am anderen Ende des Schiffs! Gut, wenn ich Schlittschuhe anschnallen würde, wäre ich wohl tatsächlich schnell umgeworfen, aber schon allein die Tatsache, dass es so etwas an Bord eines Schiffes gibt … Auch wenn sie dort Bingo spielen, als ich hineinschaue …

Auf der Royal Promenade verteilt jemand Karten für eine Eisrevue! Schnell hin, und Glück gehabt: Ich habe noch vier ergattert, allerdings erst für den letzten Tag.

Aber jetzt nähern wir uns der Hafeneinfahrt von Cobh. Viele vorgelagerte Inseln, Raffinerien, alte Befestigungsanlagen und dann ein Hügel voller farbenfroher Häuser, überragt von einer gewaltigen Kirche.

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Cobh (Irland)

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Wir gehen an Land und mieten einen Wagen, fahren nach Cork und schauen uns die Stadt an.

Nett. Interessante Strassenbeleuchtung.

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Strassenbeleuchtung in Cork (Marion Toelle)

Abends gehen wir in Cobh in ein Pub und stellen fest, dass die Klischees über die Iren doch sehr zu stimmen scheinen. So sehr, dass eine aus unserer Gruppe nach einem entsetzten Blick auf die Männer an der Bar das Weite sucht. Am nächsten Tag fahren wir dann zum Rock of Cashel, einer Burganlage, deren Anfänge auf das 4. Jahrhundert zurückgehen. Hier herrschten über Hunderte von Jahren die Könige von Munster, und viele Legenden spinnen sich um die Anlage. Erklärt wurde sie uns von einem Iren, der als einer der Könige auftrat – enorm eindrucksvoll.

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Rock of Cashel (Marion Toelle)
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Rock of Cashel
Ich habe fotografiert wie verrückt – und dann ist der Chip kaputt gegangen! Zum Glück haben die anderen auch fotografiert und helfen gerne aus. Aber ansonsten hilft da alles nichts: ich muss noch einmal hin. Das wird nicht besonders schwerfallen, denn schon aus dem bisschen Irland, das wir gesehen haben, wird klar, dass es ein wunderschönes Land ist, in das man gerne zurückkehrt.An Bord zurück müssen wir uns beeilen, denn heute findet das festliche Abendessen statt, zu dem wir uns doch alle möglichst schön machen wollen – na ja, so schön es halt geht in der Hast und Eile.

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Ein Treppenhaus
Aber wirklich – heute zeigen alle, was sie können, und in Einzelfällen ist das schon beachtlich!

Eigentlich sollte der bedauernswerte Kapitän eine Rede halten und danach für Fotos mit den Passagieren herumstehen. Aber es gab eine Hubschrauberrettungsübung, was ihn – sicher zu seiner grossen Freude – längere Zeit verhindert hat.

Eigenartigerweise erwies es sich am nächsten Tag als gut, dass die Übung stattgefunden hatte, denn es kam zum Ernstfall. Was mich dabei am seltsamsten berührte, war eine Durchsage kurz nach dem Hubschraubereinsatz, dass die Hellsehersitzung und die Séance „aufgrund unvorhergesehener Umstände“ ausfallen würden ….

Zufall?

Ansonsten war dies ein ganzer Tag auf See, mit vielen Gelegenheiten, sich gründlicher umzuschauen, sich sportlich zu betätigen oder, ja was wohl, einzukaufen.

Also schauen wir uns um, essen ein wenig, auf Sport habe ich keine Lust, die Geräte im Fitnessraum wirken doch gar zu einschüchternd, zum Schwimmen ist es zu kalt, da esse ich doch lieber noch etwas …

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„Ameryptischer“ Salon

Und ich erhalte eine Nachricht vom Zahlmeister über meine Ausgaben – verbunden mit der Aufforderung, schleunigst zu bezahlen, da ich bei dieser Ausgabenhöhe sonst nicht mehr kreditwürdig sei. Das überrascht mich schon ein wenig, denn ich hatte gar nicht so viel ausgegeben. So schlecht kann mein Gedächtnis doch gar nicht sein, dass ich soo viel vergessen habe. Ich wandere also – ziemlich aufgeregt – zum Zahlmeister beziehungsweise seinen Mitarbeiterinnen, wo schon eine lange Schlange steht. Meine Kabinengenossin kommt zum Glück mit. Wirklich ein Glück, denn man hat, während wir ahnungslos in Irland herumfuhren, kurzerhand alle ihre Ausgaben bei ihr storniert und meinem Konto angelastet. Bis das geklärt war und die Mitarbeiterin akzeptiert hatte, dass da ein Fehler vorlag, das dauerte etwas. Es ging weiter damit, dass sie versuchte, von meiner Freundin den Betrag zu kassieren, den sie mir schuldete. Sehr, sehr wirr. Da das Abrechnungssystem ausgefallen war, konnte keine endgültige Abrechnung erstellt werden, und wir warten jetzt in atemloser Spannung darauf, was uns wohl ins Haus flattern wird.

Danach waren meinem Einkaufsdrang enge Grenzen auferlegt, denn noch einmal der Warteschlange und den Rechenkünsten der Besatzung wollte ich mich nicht aussetzen, und man konnte nur mit Schiffskarte einkaufen – jedenfalls an den meisten Stellen.

Mittags kam dann die Eisrevue. Umwerfend! Ganz ohne Übertreibung: umwerfend. Erstklassige Leute, hervorragende Choreographie. Wunderschön!

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Eisrevue

Dieser Höhepunkt nahm mir ein wenig den Wind aus den Segeln. Zu toppen war das nicht, das Schiff dümpelte irgendwo vor der englischen Küste herum, weil ja noch ein ganzer Nachmittag und eine Nacht „totzuschlagen“ waren vor der planmässigen Ankunft in Southampton. Gesehen hatte ich eigentlich alles, die anderen waren nicht aufzufinden. Wie, um alles in der Welt, sollte ich die Zeit verbringen – es war immer noch zu kalt, um ins Wasser zu gehen.

Ach ja, war da nicht eine Werbung für Stoffwechselmessungen und Beratung, wie man einen – in meinem Fall eindeutig viel zu lahmen – Stoffwechsel ankurbeln kann? Also, zurück ins Fitnessstudio. Ein sehr junges, schlankes und gut trainiertes Mädchen erklärte mir, dass der Test nur Sinn macht, wenn ich dann gleich für viele hundert Euro Nahrungsmittelergänzungen von ihr erwerbe. Da ich das dringende Gefühl hatte, dass man mich hier für dumm verkaufen wollte, guckte ich skeptisch, was sie zu der Frage veranlasste, ob ich wohl durch ihre fachmännischen Erklärungen „puzzled“ sei. Da war ich denn doch etwas gekränkt und entschwand.

Lief noch ein wenig herum, lachte über die Fotos, die von uns gemacht worden waren, guckte anderen Leuten zu, die auch herumliefen, bestaunte nochmals ausgiebig die unglaubliche Architektur des Schiffes, fuhr ein paar Mal mit den Panorama-Aufzügen auf und ab, traf schliesslich die anderen in einer Bar. Und da blieben wir, bis es Zeit war, sich für das Abendessen umzuziehen.

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Ein weiteres Treppenhaus
Ein letztes opulentes Mahl, ein letzter Versuch, dem Showprogramm etwas abzugewinnen, ein letzter Gang durch das Casino, und dann noch eine letzte Nacht beim sanften, kaum merklichen Wiegen des Schiffes –

und dann ein Höllenlärm!

Erster Gedanke: Titanic

Aber der verschreckte Blick aus dem Fenster zeigt, dass wir nur in Southampton angekommen sind, und es der Besatzung enorm wichtig zu sein scheint, uns schnellstens wach und von Bord zu kriegen.

Ein letztes Frühstück, bei dem wir alle heftig ins Grübeln kommen, warum plötzlich der Service so schlecht ist: waren die Trinkgelder zu gering? Oder haben die Leute ihren Speichervorrat an Freundlichkeit und Aufmerksamkeit in den vier Tagen aufgebraucht und müssen jetzt sparen, damit für die neuen Passagiere noch etwas übrig ist?

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Gulliver im Legoland

Seltsam. Nun, wir werden das Rätsel wohl nie lösen, denn so interessant das Schiff auch ist und so überwältigend das Gebotene – es ist uns einfach viel zu gross …

2 Kommentare zu “Eine Kreuzfahrt, die ist lustig …”

  1. Jürgen Oppitz
    22. September 2008 13:19
    1

    Schöne Geschichte , wollte so eine Reise eigendlich auch mal machen ,aber ob ich es noch möchte nach der Story – abwarten

  2. Karin Kornek
    26. September 2008 12:51
    2

    Habe Tränen gelacht! So eine lustige Kreuzfahrt möchte ich auch gerne mal erleben.
    Vielen Dank für den amüsanten Reisebericht.