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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Thema „Städel“

„Städel“ – so hiess das Thema der diesjährigen Sommerausstellung des Frankfurter Künstlerclubs. Heute möchte ich Ihnen eine der eingereichten Arbeiten vorstellen, die ich für bemerkenswert halte.

„Städel“ – ein sehr offenes Thema. Gemeint ist natürlich der Städel-Komplex in Frankfurt am Main – also das Städel Museum mit seinen auch im internationalen Vergleich hervorragenden Sammlungen alter Meister wie auch von Werken des 19. und 20. Jahrhunderts; die Städelschule, also die Staatliche Hochschule für Bildende Künste; nicht zu vergessen die einen eigenen Kreis von Künstlern und Kunstinteressierten ansprechende Städel-Abendschule.

„Städel“ weckt komplexe Assoziationen. Namentlich für die Künstlerinnen und Künstler des Clubs, die um entsprechende Arbeiten gebeten wurden. Wie gehen sie damit um, mit dieser Galerie, den dort präsentierten Exponaten, dem Publikum, das diese Werke betrachtet? Kaum einer, vielleicht gar keiner der ihren ist mit seiner eigenen Kunst im Städel vertreten, wie mag man sich zu dieser Tatsache verhalten? Blickt man auf zu den Meistern, neidet man ihren Erfolg, resigniert man ob des Zweifels am eigenen Werk? Oder hält man sich insgeheim für durchaus ebenbürtig, hegt gar eine, wenn auch nur vage, Hoffnung, noch zu Lebzeiten oder wenigstens posthum mit einer Arbeit in diese Walhalla der Malerei aufgenommen zu werden, und sei es nur in eines ihrer Magazine?

Annelie Morelli – so der Name der Malerin – hat sich mit dem gestellten Thema, also der Situation des Museums, der in ihm ausgestellten Kunst – hier der Malerei – , des betrachtenden Publikums, aber auch der eigenen Situation der malenden Künstlerin intensiv und selbst-reflexiv auseinandergesetzt:

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© Annelie Morelli, Mirror, Öl auf Leinwand, 60 x 40 cm, 2008

Wir, die Betrachter, werden, wenn wir vor dem Bild stehen, sogleich verunsichert, denn auch die reale Malerin stand ja – und steht gewissermassen stets gemeinsam mit uns – vor ihrem Werk, wir blicken ihr dabei von hinten über die Schulter geradeso wie der Frau links im Gemälde. Das Bild: Eine Frau befindet sich wiederum vor einem Bild, betrachtet es, es mag im Museum hängen, wir sehen nur ihren Hinterkopf. Eine – trotz Öffentlichkeit suggerierende – intime Situation. Und das Bild im Bild? Es stellt erneut eine Frau dar, wir sehen ebenso wieder nur ihren Hinterkopf, dazu eine Partie des unbekleideten Rückens, möglicherweise ist es ein Akt, vielleicht auch eine Szene in Abendgarderobe, auch hier eine Anmutung von Intimität.

Wie aber verhalten sich die Betrachter, also zunächst wir selbst, aber ebenso die schwarzhaarige Dame im Bild, zu der – beziehungsweise zu allen beiden – Betrachteten?

Der Hintergrund des „Bildes im Bild“ unterscheidet sich farblich von dem des eigentlichen Bildes – aber könnte dieses „Bild“ nicht auch ein Spiegel sein, suggeriert dies nicht der bei Spiegeln öfters anzutreffende venezianisch-muranohaft anmutende Rahmen? Zumal, wenn Annelie Morelli ihrem Gemälde den Titel „Mirror“ – Spiegel – gibt?

Aber wenn es, jenseits des Hintergrunds, ein Spiegel wäre, müssten wir dann nicht das Gesicht der schwarzhaarigen Betrachterin, müsste auch jene nicht selbst ihr eigenes in ihm erkennen?

Wo befinden wir uns, wohin werden wir geführt: in das Bild oder in das Bild im Bild? Werden wir vexiert, träumen, schweben, fantasieren wir? Blickt eine Mutter auf ihre Tochter oder umgekehrt, eine Frau auf ihre Nebenbuhlerin, auf die Geliebte ihres Geliebten? Was sucht sie in dem vermeintlichen Spiegel, das sie dort doch nicht finden kann? Sucht sie sich selbst?

Es ist eine alte Weisheit, dass sich ein Bild erst im Auge des Betrachters verwirklicht, ein Kunstwerk sich erst in dessen Kopf vollendet.

Annelie Morelli spiegelt, reflektiert in ihrer Arbeit recht gekonnt über mehrere Brechungsebenen hinweg und nicht ohne Humor die Situation eines Bildes, die Situation seiner Maler-Schöpferin in einer Gemäldegalerie; es reflektiert die Wechselwirkung und Wechselbezüglichkeit also zwischen der Künstlerin, ihrem Werk, dem Museum und dem Publikum.

Warum besuchen wir eine Gemäldegalerie wie beispielsweise das „Städel“, was erwarten wir uns von ihr? Wie sehen wir die dort ausgestellten Bilder, wie stellen wir uns deren Schöpferinnen und Schöpfer als Künstlerinnen und Künstler vor? Die Fragen sind gewiss nicht neu.

Wir müssen uns im Angesicht des Gemäldes von Annelie Morelli unseres eigenen Standpunktes und unserer zunächst durchaus abhanden gekommenen Orientierung neu vergewissern. Auch eine Aufgabe, die Kunst uns stellt – immer wieder.

Und: Wir erinnern uns der Preisträgerarbeit der Absolventenausstellung 2007 der Städelschule “Sinnbild der umgekehrten Vorstellung von Dir in meiner Seele (Porträt des Mr. Glendinning aus ‘Pierre’ von Herman Melville)“ von Martin Hoener, die uns in einer in manchem vergleichbaren Weise vexiert wie fasziniert.

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