Marco Evaristti: Trilogy „Pink State“ in der Frankfurter Galerie Heike Strelow
„Pink State“ nennt Marco Evaristti sein fantastisches Territorium, und er lädt Sie gerne ein, dessen Staatsbürgerschaft anzunehmen (klicken Sie auf den Elefanten, so gelangen Sie zur Verfassung und zum Antragsformular für den Pink State-Pass). Allerdings müssten Sie bei den entsprechenden „Landnahmen“ über eine grössere Portion Mut und Abenteuerlust verfügen und Auseinandersetzungen mit fremder, aber realer Staatsgewalt nicht scheuen. Sie können sich das ja erst noch in Ruhe überlegen.
Zuvor aber sollten Sie die Ausstellung „Trilogy“ von Marco Evaristti in der Galerie Heike Strelow in Frankfurt am Main aufsuchen und sich dort die Territorien ansehen, die der Künstler für sein Hoheitsgebiet in Anspruch genommen hat. Es handelt sich um keine geringeren als einen Eisberg bei Grönland, den Gipfel des Mont Blanc und eine Sanddüne in der Sahara.
Bereits im Jahr 2004 überspritzte Evaristti einen von ihm auserkorenen Eisberg mit roter – selbstverständlich biologisch abbaubarer – Farbe und erklärte ihn zu seinem Staatsgebiet. Er benötigte dazu zwei Eisbrecher, drei Feuerwehrspritzen, 3000 Liter Farbe und eine rund 20köpfige Mannschaft. Die Temperatur bei dieser Aktion soll minus 23 Grad Celsius betragen haben. Die dänischen Behörden fanden an dem Unternehmen wenig Gefallen und warfen dem Künstler zunächst Umweltverschmutzung vor, was dieser jedoch entkräften konnte. Staatsrechtliche Fragen klärten sich wohl zwischenzeitlich durch das unvermeidliche Abschmelzen des besetzten Objekts.
Dem Mont Blanc-Gipfel setzte Evaristti im Jahr 2007 – als zweiter Teil der „Triology“ – eine rote Plane auf, nachdem zuvor seine mit einem Bergführer, 15 Helfern und 1200 Litern rot gefärbtem Wasser gestartete Expedition gescheitert war: Die französische Polizei hatte ihn festgenommen. Evaristti wollte den Gipfel des künftigen „Mont Rouge“ rot einfärben. Das Verwehrte realisierte er in abgewandelter Form mit der Plane.
2008 schliesslich folgte als drittes Projekt „Arido rosso“: Evaristti erreichte mit seinen Expeditionsteilnehmern nach allerlei behördlichen Erlaubnissen über Marseille zunächst Djerba. Von dort brach er mit drei Geländefahrzeugen und beladen mit roter Farbe in die Sahara auf und färbte eine sorgfältig ausgewählte Sanddüne rot ein.
Marco Evaristti fotografierte die eingefärbten beziehungsweise mit der roten Plane versehenen geografischen Situationen. Die Fotografien präsentierte er Anfang März 2008 als Weltpremiere in der Kunsthalle Krems. In Deutschland folgte nun die Galerie Heike Strelow mit einer entsprechenden Ausstellung.
Einen Grenzgänger hat man Marco Evaristti wiederholt genannt, der immer erneut die Möglichkeiten künstlerischen Handelns in der realen Welt bis zum Äussersten auslotet. Rot ist seine Farbe – sie suggeriert Leben und natürlich Blut. Blut in den Meeren – Massaker an den Walen und Delfinen. Blut in der Wüste – Stammeskämpfe und Völkermorde in Afrika. Rote Gipfel im Hochgebirge – Umweltverschmutzungen grossen Ausmasses. Evaristti ist ein politischer Künstler und stösst deshalb natürlich auf vielfachen politischen Widerstand. Methoden und Ansprüche der Politik hinterfragt er, und das mögen viele Politiker gar nicht gern. Er thematisiert territoriale Gewalt, Umweltverschmutzung und -zerstörung, Besitzdenken oder das Richten über Leben und Tod. Freilich bedient er sich bei seinen zumeist spektakulären Aktionen der Medien, mit deren Hilfe er politische Kontroversen ebenso wie staatliches Eingreifen provoziert.
Alledings legte sich Evaristti bei seinen Grenzgängen auch mit ihm zugeneigten Kreisen an, vor allem bei der Performance „Helena“ im Jahr 2000 und deren Rekonstruktion 2006: Die Besucher hatten Gelegenheit (und nahmen sie auch wahr), Küchenmixer einzuschalten, in denen jeweils ein Goldfisch schwamm, und somit über deren Leben und Tod zu entscheiden. Der Fall beschäftigte die Justiz nebst Gutachtern, die am Ende bescheinigten, die Zerstückelung im Sekundenbruchteil stelle die schmerzloseste Weise dar, auf welche ein Fisch zu Tode kommen könne. Wir denken an das unsägliche Sport- und Wettangeln, an manch quälende Prozesse bei Fang und Tötung nicht nur von Speisefischen!
Evaristti macht mit seiner Aktionskunst Vorgänge und Abläufe bewusst, die wir gerne verdrängen oder von vorn herein von unserer Wahrnehmung ausschliessen. In ihrer agressiven Weise evoziert sie in der Öffentlichkeit Reaktionen, die sich gegen den Künstler richten statt gegen entsprechende, jedoch gesellschaftlich gewohnte und tolerierte Verhaltensweisen. Ebenso verhält es sich mit der Besetzung von Eisbergen, Berggipfeln und Sanddünen: Sie erregt die Empörung der staatlich-politischen Institutionen, während umgekehrt militärisch-kriegerische Besetzungen in den zahlreichen Krisengebieten dieser Welt zum meist akzeptierten Alltagsgeschehen gehören.
Marco Evaristti wurde 1963 in Santiago de Chile geboren. Einige Stationen seines künstlerischen Werdegangs: 1994 Architekt der Königlichen Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen; 1995 Gastprofessur an der Silipakon University, Bangkok; 2003 Gastprofessur an der Königlichen Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Evaristti lebt und arbeitet in Kopenhagen und in Bangkok.
Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen sowie Performances in Arhus, Bangkok, Barcelona, Buenos Aires, Dornbirn, Fortaleza/Brasilien, Fredericia, Havanna, Johannesburg, Kopenhagen, New York, Oslo, Santiago, Sao Paulo, Stockholm, Tønder und Wien machten ihn zusammen mit seiner medialen Präsenz in aller Welt bekannt.
Die Fotoausstellung endete am 9. August 2008.
Galerie Heike Strelow, Hanauer Landstraße 52, 60314 Frankfurt am Main.