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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hans Josephsohn im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main

Von Erhard Metz

In seinem letzten Jahr als Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK) vollzieht Udo Kittelmann mit seinem Ausstellungsprogramm einen bemerkenswerten Schwenk: Er wendet sich mit der jetzt eröffneten und den beiden darauffolgenden Ausstellungen der „klassischen Moderne“ zu. Auf jetzt Hans Josephsohn werden Anfang März Miroslav Tichý und Mitte April Bernard Buffet folgen. Die Werke Josephsohns werden bis Anfang April zu sehen sein, die beiden nachfolgenden Ausstellungen parallel bis August 2008 laufen.

Wir werden nachdenklich: Hans Josephsohn ist 87 Jahre alt, Miroslav Tichý 81 Jahre; der 1928 geborene Bernard Buffet verstarb 1999. Was bewog Kittelmann zu seinem für viele überraschenden, ja scheinbar so gar nicht in den derzeitigen Ausstellungsbetrieb passen wollenden Schritt?

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Werke aus den Jahren 1975 bis 2006

Kittelmann sieht seit längerem die Gefahren, die von einem zeitgeistigen „Jugendwahn“, einer weltweit grassierenden Inflation allein jüngerer künstlerischer Positionen auf die Rezeption zeitgenössischer Kunst ausgehen, aber auch auf deren kunstgeschichtliche Dokumentation, wie sie eine Aufgabe, vielleicht die herausragende, eines Museums vom Format des MMK ist. Angesichts der Praxis einer Vielzahl geschäftsorientierter Galerien und Auktionshäuser, die solche „jungen“ Positionen einem Durchlauferhitzer gleich auf einen in seiner Urteilskraft immer unsicherer erscheinenden „Markt“ bringen, wird die Notwendigkeit grösser, innezuhalten, sich auf die fundamentalen Entwicklungen zeitgenössischer Kunst zurückzubesinnen und jene in einer Gesamtschau über die letzten Jahrzehnte hinweg zu bewerten, zu erschliessen und dokumentarisch aufzubereiten.

Das monumentale, in seiner Bedeutung noch kaum erschlossene Werk eines Hans Josephsohn, aber auch dessen mit dem Oeuvre kongruenter künstlerischer Lebensweg erscheinen reif, wenn nicht überfällig, einer derartigen Prüfung und Würdigung unterzogen zu werden. Josephsohn, 1920 im damaligen Königsberg geboren, nahm nach dem Schulbesuch ein Studium an einer Kunstschule in Florenz auf. Nur wenige Zeit später musste er jedoch aufgrund seiner jüdischen Abstammung das faschistische Italien verlassen. Da ihm auch der Rückweg nach Deutschland versperrt war, floh er 1938 in die Schweiz, wo er in Zürich Schüler des Bildhauers Otto Müller wurde. Auch im Schweizer Exil wurde ihm mancher Stein in den Weg gelegt: Zunächst interniert, wurde er anschliessend mit einem mehrjährigen Arbeitsverbot belegt. Erst Anfang der fünfziger Jahren konnte er seine künstlerischen Vorstellungen in eine bildhauerische Arbeit umsetzen. Über sechs Jahrzehnte hinweg, bis zur Jahresmitte 2007, als ihn ein Schlaganfall ereilte, arbeitete er unter bescheidenen materiellen Lebensverhältnissen regelmässig von den Morgenstunden bis in den Abend hinein in seinem Atelier in Zürich und schuf so ein Oeuvre von gewaltigen Dimensionen.

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Hans Josephsohn im Kesselhaus Josephsohn, St. Gallen

Die Frage, warum Josephsohns Arbeiten erst in den letzten Jahren eine grössere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wie auch im Ausstellungsbetrieb fanden, beantwortet sich zum einen mit deren geradezu monolithischer Stellung in der Kunstentwicklung seiner Zeit, zum anderen mit seinem ausgeprägten Einzelgängertum. Voreilige Kritiker könnten behaupten, die Zeit sei an ihm vorbei-, ja über ihn hinweggegangen. Doch das stimmte keineswegs. Vielmehr hat Josephsohn an dem zeitgängigen, sich oft in seinen modischen Ausrichtungen überstürzenden Kunstbetrieb nie teilgenommen. Weder das Geschehen in den Galerien noch die Entwicklung des sogenannten Kunstmarktes interessierten ihn sonderlich. Seine zurückhaltende Lebensführung ermöglichte es ihm jedoch, sich seinem Schaffen in nahezu einzigartiger Beharrlichkeit, aber auch Gelassenheit hinzugeben. Josephsohn nahm sich die Zeit – und er konnte sie sich nehmen -, die er für eine konsequente Formulierung und Ausprägung seines künstlerischen Anspruchs bis in sein hohes Alter hinein benötigte. „Entschleunigung“ – dieser vielfach strapazierte Begriff trifft auf Josephsohns Arbeits- und Lebensweg zu wie kaum auf einen anderen. Sein Werk, durch nichts als seinen eigenen künstlerischen Prozess bestimmt, bedurfte nie und bedarf auch heute keiner theoretischen Überhöhung. Es nimmt damit eine der nicht zahlreichen herausragenden Positionen in der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ein.

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Werke aus den Jahren 1949 bis 2006

Die Rezeptionsgeschichte des Josephsohnschen Werkes begann 1964 mit ersten Ausstellungen. 2002 dann die erste grosse Einzelausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam, 2005 im Kölner Diözesanmuseum Kolumba und 2007 im Pariser Palais de Tokyo. Auf die derzeitige Präsentation im MMK wird noch in diesem Jahr eine Ausstellung in London folgen. Seit den letzten Jahren sind jetzt auch vermehrt Künstler der jungen Generation auf Josephsohn aufmerksam geworden.

Bereits 1992 errichtete der Architekt Peter Märkli im Tessiner Örtchen Giornico ein eigenes Museum, La Congiunta genannt; seitdem sind dort dreissig Werke Josephsohns der Öffentlichkeit zugänglich. 2003 eröffnete schliesslich das Kesselhaus Josephsohn in St. Gallen eine ständige Ausstellung mit wechselnden Werken des Künstlers.

Im Zentrum dreht sich das Schaffen Josephsohns um die menschliche Figur, stehend, liegend, als Halbfigur, in Reliefs. Der Künstler versteht seine Arbeit als eine Aufgabe, Volumina in Beziehung zum umgebenden Raum zu gestalten. Dennoch weisen seine Arbeiten durchaus biografische Züge auf: den meisten von ihnen liegen die Porträts dreier Frauen zugrunde, die in seinem Leben Bedeutung gewonnen haben, unter ihnen seine heutige Ehefrau. Manche seiner Plastiken tragen deren Namen.

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Ohne Titel, 2000

Josephsohn geht den Weg von der Figuration zur Abstraktion – und auch wieder zurück. An seinen Werken lässt sich deshalb keine Chronologie in diesem Prozess festmachen. Im Gegensatz zu Alberto Giacometti, der die Abstraktion durch Reduktion seiner Figuren erreichte, gelangt Josephsohn zur Abstraktion durch ein ständiges Vermehren der Volumina. Deutlich wird die Eigenständigkeit Josephsohns, obwohl auch bei jenen der abstraktionsunterworfene weibliche Akt im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung stand, im Vergleich etwa zu dem Oeuvre der um eine beziehungsweise zwei Generationen älteren Aristide Maillol oder Wilhelm Lehmbruck.

Josephsohn ist kein Bildhauer im engen Sinne dieses Begriffes, weil er seine Figuren mit einfachem Baugips modelliert und anschliessend in Messing giessen lässt. Gleichwohl ist seine Arbeit an dem rasch erhärtenden Gips von bildhauerischer Natur: Er modelliert, schlägt dann oft mit Beil und Meissel Teile ab, um die Plastik darauf wieder mit dem weiteren Ansetzen von Gips zu verändern. Dies ist ein permanenter Prozess, der sich an ein und demselben Objekt über Monate, ja sogar Jahre hinweg erstrecken kann. Josephsohn stellt dabei an sich selbst allerstrengste Ansprüche. Obwohl der Künstler derartige Zusammenhänge stets ablehnte, mutet seinen Plastiken immer auch etwas Archaisches, mitunter Etruskisches an, ein Fingerzeig auf die Zeitlosigkeit seines Schaffens.

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Werke aus den Jahren 1994 bis 2003

In Josephsohns zahlreichen Reliefarbeiten kommen, zum Teil extrem-expressiv abstrahiert, stets drei Figuren vor: eine Dreierkonstellation, die wiederum biografische Züge trägt. Ihnen haftet, wie auch vielen der liegenden und stehenden Figuren, oft etwas Sakrales, sich von der Profanität der Welt Abwendendes an. Vergleichbares gilt für die meisterhafte Positionierung der Objekte in der jetzigen Ausstellung im MMK.

Nur ein kleinerer Teil seiner Arbeiten konnte – seit langen Jahren in einer kongenial-symbiotischen Zusammenarbeit mit dem Kunstgiesser Felix Lehner – bisher in Messing beziehungsweise Bronze gegossen werden. Josephsohn bevorzugt ein natürliches Patinieren des Materials, besonders wenn es im Freien lagert. Selten nur erfahren die gegossenen Arbeiten eine künstliche Oberflächenbehandlung, zumal Josephsohn dabei jedweden Bezug zu malerischen Aspekten ablehnt.

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Werke aus den Jahren 1974, 2000 und 2005

Die gegenwärtige Ausstellung, betont Udo Kittelmann, soll einen Beitrag dazu leisten, das Werk von Hans Josephsohn erst noch zu entdecken. Die Ausstellung im MMK und der ausgezeichnete Katalog entstanden in Zusammenarbeit mit dem Kesselhaus Josephsohn im Sitterwerk bei St. Gallen, in dem in stetigem Wechsel Gipsmodelle und Metallgüsse des Künstlers zu sehen sind. Alle derzeit im MMK präsentierten Werke befinden sich im Besitz des Kesselhaus Josephsohn, St. Gallen. Die Ausstellung läuft bis zum 6. April 2008.

Museum für Moderne Kunst, Domstraße 10, 60311 Frankfurt am Main; www.mmk-frankfurt.de;
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr

(Bildnachweis: MMK Frankfurt am Main; Fotografien im MMK: © Axel Schneider; Fotografie im Kesselhaus Josephsohn: © Katalin Deér)

2 Kommentare zu “Hans Josephsohn im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main”

  1. Ursula Günther
    10. Februar 2008 07:42
    1

    Schöner, erhellender Text, danke!

  2. Burgy Zapp
    10. Mai 2008 19:40
    2

    Die Werke sind interessant, aber nur sehr schwer zugänglich. Es ist für den Rezipienten nötig sich darauf einzulassen. Nachdem man einige Skulpturen betrachtet hat, gewöhnt sich die Wahrnehmung und ich erkenne Gesichter und Charakterzüge in den Werken. Das viel mir insbesondere auf, nachdem ich gerade einen Blogeintrag über Kunst, Kunsthandwerk und Kommunikation in meinem Blog geschrieben habe.

    Es erfreut mich, jetzt über ein Beispiel zu stolpern. Die schriftliche Aufbereitung der Kuration in diesem Blog hat mir sehr gut gefallen.
    BZ