Cocktail Party im Regenponcho – Paola Pivi im Frankfurter Portikus
Von Erhard Metz
Wer kennt sie nicht – die Museumsinsel in Berlin! Sie steht im Mittelpunkt der Reiseführer, jeden Tag klicken und surren dort tausende von Fotoapparaten und Digitalkameras, und jeder Kommentar erübrigt sich.
Es gibt auch eine winzig kleine, romantisch-versteckte Museumsinsel – übrigens ebenso einmalig in Deutschland wie die grosse, ungleiche Berliner Schwester: in Frankfurt am Main! Sie beherbergt den Portikus, die kleine, feine Kunsthalle. Diese Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst ist der renommierten Staatlichen Hochschule für Bildende Künste – der Städelschule – unter der Leitung von Professor Daniel Birnbaum angegliedert.
Der Portikus: Zumeist – auf unserem Bild gerade mal nicht – umgeben von hunderten von Enten, Gänsen, Schwänen, Tauben, Möwen, Sperlingen, Booten, Ausflugsschiffen, im Hochsommer Mücken . . . mit einem der markantesten Ausblicke auf das nördliche Frankfurter Mainufer, auf die atemberaubende Kulisse aus Jahrhunderten und dem, was man neudeutsch „Mainhatten“ nennt.
Man hat uns in den Portikus geladen, zu Paola Pivis Cocktail Party. Und nun nähern wir uns über die Mainbrücke dem Gebäude, betreten den Steg, der auf die Insel führt, und vernehmen das Wummern robuster Motoren. In der Zentralhalle überrascht uns ein Maschinenpark. Neun Elektromotoren, jeder vier Kilowatt stark, treiben je ein lautstarkes Pumpenwerk an. Die Halle dröhnt, ihr Betonboden vibriert, der Lärm lässt kaum mehr eine Unterhaltung zu. Eine hilfreiche Hand reicht uns einen kleinen Beutel, sein Inhalt: ein Regenponcho mit Kapuze. Wir kannten ein solches Bekleidungsstück bislang von verregneten Freiluftaufführungen. Der freundliche Helfer bedeutet uns, dass es angeraten sei, den Poncho auch jetzt anzulegen, und sorgt dafür, dass unsere Köpfe beim Ankleiden den richtigen Ausgang dort finden, wo die Kapuze sitzt. Und jetzt geht es hinein in das Gebraus der Maschinenhalle, und schnell wird uns klar, wie zweckmässig unsere neue Garderobe ist.
Es riecht beträchtlich nach Rotwein, aber so hatten wir uns die Cocktail Party eigentlich nicht vorgestellt. Der Wein wird in einem monumentalen, fünf Meter aufsteigenden polierten stählernen Rohr emporgepumpt, um einem Wasserfall gleich wieder in die Tiefe, in einen ebenfalls polierten Stahlbehälter, hinabzustürzen. Dies geschieht ganz vorne, zur Linken, in der Halle. Rotweinspritzer nässen alsbald unseren Poncho, und wir sind froh, dem Rat des freundlichen Helfers am Eingang gefolgt zu sein. Auch den weiteren Flüssigkeiten ergeht es nicht anders: kraftvoll-dröhnend hochgepumpt zu werden, um alsbald herabzustürzen, lärmend und spritzend. Es sind insgesamt neun an der Zahl: Wasser, Rotwein, Olivenöl, Gesichtstonic, Milch, Espresso, schwarze Tinte, Glycerin und schliesslich Waldmeistersirup. Hellrosa neben cremigem Weiss, Espressobraun neben frischem Waldmeistergrün. Wir assoziieren Malerfarben. Von jeder Flüssigkeit befinden sich rund 320 Liter im Umlauf.
Paola Pivi vor ihrer Installation
Umlauf: Wenig nur geht verloren, durch Spritzer beim Aufprall in die Stahlbecken, durch Verdunstung. Ein Kreislauf also, vergleichbar dem unsrigen in unserem Körper. Um es auf die Spitze zu treiben: Blut hätte sie nehmen können, die Paola Pivi, doch das ginge ihr wahrscheinlich zu weit. Die Flüssigkeiten: Auch sie stellen die Voraussetzungen und Bedürfnisse unserer Zivilisation dar. Da ist zunächst das Wasser, Urgrund allen und auch unseres Lebens. Bei Milch denken wir an die existentielle Bedeutung der Muttermilch. Wein und Olivenöl, die uralten Nahrungs-, Kultur- und Kultstoffe. Dann kommen wir mit Espresso und Tinte in die neuere Zeit, mit Glycerin, Waldmeister und Gesichtstonic erreichen wir die Gegenwart – und damit das eher Verzichtbare.
Nun mögen die der Installation zu Grunde liegenden Ideen nicht unbedingt neu sein – denken wir zum Beispiel an die weltweit bekannte Honigpumpe von Joseph Beuys während der Kasseler documenta 6 im Jahr 1977: Sie transportierte 150 Kilogramm Honig durch ein 170 Meter langes zweistöckiges Schlauchsytem, angetrieben von einem Elektromotor, der seine Energie wiederum aus zwei Schiffsdieselmaschinen erhielt.
Gleichwohl macht uns Paola Pivis gewaltige wie symbolträchtige Installation betroffen. Eine Palette von Assoziationen stellt sich ein: Von „Brot für die Welt“ über Fragen der Energiewirtschaft bis hin zur Überfluss- und Verschwendungsgesellschaft unserer Gegenwart, von der freilich grosse Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen sind, deren Sorgen um das Überleben des nächsten Tages kreisen.
Paola Pivi, 1971 in Mailand geboren, überzeugt wieder einmal mit einer ihrer spektakulären Inszenierungen, Installationen und Performances. Grossen Publika bekannt wurde sie beispielsweise mit dem umgestürzten „schlummernden“ LKW, dem kopfüber abgestürzten Hubschrauber oder ihren surrealistischen Fotografien. Sie studierte zunächst Kerntechnik, bevor sie auf die berühmte Accademia di Belle Arti di Brera wechselte. Der grossen Städte überdrüssig, lebte Pivi zwei Jahre lang auf der winzigen, nahe Sizilien gelegenen Insel Alicudi. Derzeit hält sie sich überwiegend nahe Anchorage in Alaska auf. 1999 und 2003 stellte sie auf der Biennale in Venedig aus, weitere Stationen waren unter anderem Basel, Chicago, Mailand, New York, Rom und Salzburg.
„It’s a Cocktail Party“ – eine Referenzleistung des Portikus und aller Beteiligten: Paola Pivi, Melanie Ohnemus als Kuratorin und Professor Daniel Birnbaum.
PORTIKUS, Alte Brücke 2, Maininsel, www.portikus.de;
Die Ausstellung endete am 9. März 2008.
(Bildnachweis: Portikus bzw. Städelschule Frankfurt am Main © Paola Pivi)