Arbeit und Ethik – zum Beispiel Mindestlohn
Die Debatte um den Mindestlohn – sie geht an einem wesentlichen Aspekt vorbei, auch bei den beiden politischen Parteien, die sonst gerne das „C“ in ihrem Namen herausstellen.
Die Bedeutung der menschlichen Arbeit lediglich auf einen der Produktionsfaktoren in der Wirtschaftsordnung zu reduzieren, wäre zweifellos verwerflich. Arbeit ist auch wesentlich mehr als eine Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nun muss man heute Arbeit nicht unbedingt als eine sittliche Pflicht und Existenzbedingung des Menschen verstehen. Aber in der Arbeit sollte der Mensch einen Teil seiner Möglichkeiten zu einer angemessenen Selbstverwirklichung erfahren. Arbeit ist – auch – ein Begriff der Ethik.
Menschliche Arbeit ist – viele Politiker scheinen dies vergessen zu haben – Gegenstand der Deklaration der Menschenrechte vom Dezember 1948 und damit nach allgemeinem Verständnis zugleich des sogenannten humanitären Völkerrechts:
In der damaligen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heisst es dazu unter anderem:
- „Jeder hat das Recht auf Arbeit, . . . auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen . . .“
- „Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert . . .“
Menschen für einen Lohn arbeiten zu lassen, der diesen Wertevorstellungen widerspricht, verstösst gegen Moral und Ethik. Unternehmen, die mit Entlassungen oder Konkurs drohen, wenn sie wenigstens Mindest- statt ihrer Dumpinglöhne zahlen sollen, haben in einer Marktwirtschaft, die sich „soziale“ nennt, nichts zu suchen. Dumpinglöhne politisch gegen alternative potentielle Arbeitslosigkeit auszuspielen, ist in durchschaubarer Weise interessenverflochten und haltlos.
Und dass Hungerlöhne von heute die menschenerniedrigende Renten- und Altersarmut von morgen sind, versteht sich von selbst. Jedenfalls für jemanden, der eins und eins zusammenzählen kann.
17. Januar 2008 20:58
Das haben sie schön geschrieben. Doch wird es die von uns gewählten Volksvertreter und die unterbezahlten Manager der großen Firmen nicht davon abhalten, noch mehr die Gegenrichtung zu beschreiten. Ich wünschte, einige der Obengenannten läsen Ihren Blog und erwachten dabei.
17. Januar 2008 22:12
Ich arbeite im „Forderungsmanagement“ eines Energieversorgers. Unser Kassierer befand sich den ganzen Tag in einem panzerverglasten Kasten. Jederzeit sichtbar, jedoch ohne kollegialen Kontakte. Als seine Pensionierung näherrückte und sich die Frage stellte, wer denn nun seinen Platz einnehme, vertrat ich die Meinung, dass nicht jeder Mensch eine solche Isolation und gleichzeitig ständige Sichtbarkeit ertragen könne… ach Gott, Selbstverwirklichung… Ethik? Die Arbeitnehmer selber sehen Arbeit nur als Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes!
Ich kannte den Kassierer ein wenig. Ich weiß, er fühlt sich verletzt, nicht wertgeschätzt, weil seine Arbeit nun in Kürze von einem Automaten übernommen wird! (Die unmenschliche Glaskastengeschichte hat sich damit erledigt, und für den Anfang soll ein Azubi den ratlosen Einzahlern bei der Bedienung des Automaten mit Rat und Tat zur Seite stehen.)
18. Januar 2008 03:23
Danke, das wusste ich noch nicht. Tun wir alles, um das Wissen darum zu verbreiten.
18. Januar 2008 19:03
Auch von mir: danke Claudia Johann für den Beitrag! Sie haben die Arbeitsplatz-Situation dieses Mitmenschen deutlich gemacht. Ein später Groschen ist mir gefallen: Ich habe plötzlich begriffen, warum ein etwa 40-jähriger Mann, „Langzeitarbeitsloser“, dem ich vor einigen Jahren flüchtig begegnet bin, sich so einen Arbeitsplatz (zwar nicht als Kassierer, sondern als Pförtner, aber unter ähnlichen Umständen) geradezu ersehnte!: Er hätte unter Leuten sein können und wäre gleichzeitig vor ihnen g e s c h ü t z t gewesen. – Stimmt schon: nicht jeder kann so eine Situation aushalten, aber für den einen oder anderen bietet es Lebensmöglichkeit oder ist sogar „Traumjob“!