Bad Homburg kauft Kenny Hunters „Red Boy“
– und trifft eine richtige und eine falsche Entscheidung
Erst die gute Nachricht: Die Stadt Bad Homburg kauft eine der profiliertesten und bei Bad Homburger Bürgern wie Besuchern beliebtesten Skulpturen der diesjährigen Ausstellung „Blickachsen“ – den „Red Boy“ des schottischen Bildhauers Kenny Hunter.
Und jetzt die schlechte: Das Werk soll in einer künftigen „Skulpturenallee“ zwischen Bahnhof und Rathaus aufgestellt werden, obwohl es doch nur einen einzigen richtigen, ja einzig möglichen Platz dafür gibt – nämlich den derzeitigen, vom Künstler bewusst gewählten, direkt vis-à-vis dem kolossalen Kaiserdenkmal vor dem Kaiser-Wilhelms-Bad im unteren Kurpark!
Mit ihrer mehrheitlich getroffenen Ankaufentscheidung brauchte sich die Bad Homburger Stadtverordnetenversammlung nicht allzu mutig zu zeigen – hatte sich der „Red Boy“ nach Sophie Ryders Grossplastik „Crawling Lady Hare“ doch bereits als ein Publikumsliebling erwiesen. Noch weniger Mut legte sie allerdings bei ihrer Standortentscheidung an den Tag. Die Verbannung des „Red Boy“ in eine künftige „Skulpturenallee“ zwischen Bahnhof und Rathaus zeugt von Ängstlichkeit, von mangelndem Sachverstand oder von Unvermögen gegenüber dem Kunstwerk und der künstlerischen Intention seines Schöpfers. Warum?
Kenny Hunter, 1962 in Edinburgh geboren, schuf mit seinem „Red Boy“ – übrigens mit Wissen und Wollen der Ausstellungsleitung der „Blickachsen“ – eine absolut ortsspezifische Arbeit. Die rotbraun patinierte Bronzestatue greift die Farbgebung des gegenüberliegenden Kurbadgebäudes auf. In direkter Blickkonfrontation mit der der Jahrhundertwende verhafteten, auf einem gewaltigen Sockel errichteten, grünspanüberzogenen Kolossalstatue Kaiser Wilhelms I., Metapher einer historischen Legende und Verklärung, steht ein kleiner Junge auf einem Sockel, letzterer gebildet aus schrottreif anmutenden Gegenständen unseres medienweltlichen Alltags wie Fernsehgerät oder Computerteilen. Der Knabe steht dem weit überlebensgrossen, mit prunkvoll-majestätischem Umhang bekleideten, menschlichen Dimensionen entrückten Herrscher mit erhobenem Kopf und sympathisch-herausforderndem Gestus gegenüber. Sein Haarschopf erinnert an denjenigen des „Kleinen Prinzen“, gezeichnet von dessen Schöpfer Antoine de Saint-Exupéry. Ein kleiner Junge unserer Tage, unauffällig gekleidet, staunend, nicht ohne Respekt angesichts des mächtigen Kaisers, aber keinesfalls ehrfürchtig, vielmehr fragend, in wunderbarer Weise unbeschwert-wehrlos. Seine Hände hält er, dem Standbild zugewandt, leicht geöffnet. Es ergibt sich eine Zwiesprache, eine einzigartige Beziehung zwischen dem Jungen und dem Kaiser, voller Spannung, voller bildhafter Gestik. Hier die einst ruhmreiche, aber zugleich verhängnisvolle Entwicklungen in sich bergende Vergangenheit, dort die neugierige, vorurteilslose, zukunftserfragende Jugend. Kenny Hunter gestaltet diese Beziehung virtuos, bewusst in ihrer Wechselwirkung mit dem in dieser Begegnung die eigene Geschichtlichkeit offenbarenden, ja entlarvenden Denkmal. Er schuf damit in dem vorhandenen öffentlichen Raum einen neuen Gesamtzusammenhang, eine neue Art von Grossplastik.
In der entsprechenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung sprach sich die Bürgerliste Bad Homburg für den Verbleib der Skulptur an ihrem derzeitigen Standort aus. Die Vertreter der etablierten politischen Parteien lehnten dies mit unterschiedlichen Begründungen ab. Man verwies auf das Ziel der alle zwei Jahre veranstalteten „Blickachsen“, den Kurpark durch Konfrontation mit Gegenwartskunst dem Publikum gleichsam mit anderen Augen sichtbar zu machen. Dazu müsse er in den Jahren zwischen zwei Ausstellungen in seinen Ausgangszustand zurückversetzt werden. Eine wenig überzeugende Argumentation. Andere wandten ein, bei einem Verbleib des „Red Boy“ am derzeitigen Standort wäre bei künftigen „Blickachsen“ kein anderes Kunstwerk an diesem exponierten Platz mehr präsentierbar.
Letzteres eben ist richtig und entspricht der künstlerischen Intention. Genau deshalb aber ist die Platzierungsentscheidung falsch. Gerade darum geht es ja: diesen Raum mit Hunters Skulptur in einen neuen, umfassenderen geschichtlichen wie aktuellen Kontext zu stellen. Eine überzeugendere Umsetzung des Konzepts der „Blickachsen“ vor Kaiser-Wilhelm-Denkmal und Kurbad, als sie derzeit mit „Red Boy“ realisiert ist, wird man sich kaum vorstellen können.
Allein, es scheint dem Stadtparlament an Mut zu fehlen, den „Red Boy“ und die Widmung „dem grossen Kaiser in Liebe und Dankbarkeit“ in einen äusseren und damit zugleich inneren Zusammenhang zu bringen. Bleibt zu hoffen, dass sich die Bad Homburger Stadtverordneten doch noch rechtzeitig eines anderen – eines besseren nämlich – besinnen!
(Bildnachweis: Galerie Scheffel, Bad Homburg)