„Kyma“ – Dialog zwischen Norden und Süden
Michael Franke in der Frankfurter Westend Galerie
Von Erhard Metz
Nach der Werkschau mit dem figurativ arbeitenden Maler Hermann Albert überrascht die Frankfurter Westend Galerie, sonst bekannt als ein Eldorado der zeitgenössischen abstrakten italienischen Malerei, erneut mit einem nicht der Abstraktion verpflichteten „Deutschitaliener“: mit Michael Franke und seiner Ausstellung „Kyma“.
Kyma – „Welle“, ein Begriff, den wir zunächst mit der hellenisch-griechischen Architektur in Verbindung bringen: Welle, konvex oder konkav, als Profil- und Gestaltungselement insbesondere an Tempelbauten (bekannt sind vor allem das dorische, ionische und lesbische Kyma), später oft als mit Akanthus, Medaillons oder Palmetten verzierter Viertelstab.
Michael Franke hingegen versteht sein „Kyma“ als Welle des grossen Wassers, der Ur-Meere. Wasser, Meere – als Urgrund des Lebens, ein Urgrund, der in der griechischen Mythologie lebt, sie geradezu prägt. Wasser, das vom Anfang aller Zeiten her die hellenischen Gestade umfängt, den antiken Menschen Grenzen zieht, ihnen aber zugleich Lebensraum und Nahrungsspender ist.
tò Kyma XIV
Michael Franke interessierte sich von seiner Schulzeit an für diese Mythologie und ihre Geheimnisse. Bis heute spielt das Wasser dabei eine zentrale Rolle. In seinen Werken spiegelt es sich im Blauen wider, auch im Weissen der Gischt, getrieben von Zephyros, dem Gott der Winde, gepeitscht von Poseidon, dem Gott des Wassers und der Meere, Sohn des Weltenherrschers Kronos, Enkel von Uranos und Gaia, des Himmels und der Erde also, die ihrerseits dem Chaos entsprangen. Blaue Wogen dominieren auch in der jetztigen Frankfurter Ausstellung. Gegenpart zum Blau und Weiss in Frankes Werk ist das Römisch-Plutonische, das Feurige und das Erdgebundene, dem er die Rot- und Orangetöne seiner Palette zuordnet bis hin zum Schwarz, ebenfalls in einigen Werken der aktuellen Schau vertreten.
Anemos V
Zunächst ein Blick zurück auf die Vita: Geboren Mitte November 1957 in Bonn, verspürte Franke schon als Achtjähriger den Wunsch, Kunstmaler zu werden. Nach der Übersiedelung der Familie nach Brüssel lernte er dort Maler wie V. Wolwens und J.-J. Gaillard kennen. Mit dreizehn Jahren hatte er seine erste Ausstellung. In der Folge geriet die Malerei wieder etwas aus seinem Blick zugunsten der Absicht, sich in Afrika Entwicklungsprojekten zu widmen. Einem Aufenthalt 1975 in Westafrika und dem Abitur 1976 an der Europaschule in Brüssel folgte das Studium der Nationalökonomie und Kunstgeschichte in Bonn. Nach dessen erfolgreichem Abschluss kehrte er vollends zur Malerei zurück. Von 1983 bis 1988 lebte und arbeitete er überwiegend in Venedig, Mailand und Rom, anschliessend bis 1994 in Palermo. Nach einem Gaststudium in Paris kehrte er 1996 nach Bonn zurück. Franke unterhält weiter ein Atelier an der zeeländischen Nordseeküste.
Hesperia IV
Befasste er sich in seiner Jugend unter anderem mit den Schriften Hesiods, setzte er sich als heranwachsender Maler intensiv mit der Farbenlehre Johann Wolfgang Goethes auseinander, die ihn sehr beeinflusste. Malerische Vorbilder fand er in Rubens, van Eyck und Bosch ebenso wie in James Ensor. Heute schätzt er besonders die Werke beispielsweise von Anselm Kiefer, Per Kirkeby, A. R. Penck oder Gerhard Richter.
Franke geht in seinen Arbeiten auf die Ursprünge der europäischen Kultur zurück. In einem Dialog zwischen Antike und Moderne präsentiert er einen Kosmos, der seit Jahrhunderten das Italienbild der Deutschen prägt. Gleichzeitig zeigt er, dass die Diskussion um Europa nicht nur eine soziale und ökonomische Komponente hat, sondern auch eine Frage der Kunst und der Kultur ist. Franke lässt sich sowohl von Goethes Italienreise als auch von der Gegensätzlichkeit deutscher und italienischer Geisteswelten inspirieren. Es entstehen Gemäldesequenzen mit großer Gestaltsymbolik, in denen Meereswogen, Wolken oder auch griechische und altrömische Bauwerke erscheinen. Seine Seh-Erfahrung übersetzt Franke als Bildsprache in metaphysische Räume und mythologische Visionen.
Arcuatura XI
Franke schlägt einen weiten Bogen über die Meere, von der Ägäis hinauf zur flämischen Küste, die ihm eine neuerliche Heimat geworden ist. Er geht gleichsam den Weg Goethes nach Italien mit und wendet sich wieder zurück an die Nordsee. In manchen seiner Bilder spüren und erkennen wir unmittelbar die grosse flämische Malertradition. Nahezu mystisch ist sein Umgang mit expressiver Lumizität und der Finsternis, mit Licht und Schatten. Gewaltig schlagen dem Betrachter die Wellen entgegen wie im 200 mal 450 Zentimeter messenden Triptychon Aphrogeneia – unwillkürlich weicht man einige Schritte vor der Wucht des Wassers zurück. Extatisch die Erhebung Aphrodites, der Schaumgeborenen, aus dem Urgrund des Meeres.
Aphrogeneia, Triptychon
Franke beherrscht neben dem grossen auch das kleine Format. Seine Gemälde vermitteln eine Sinnlichkeit, die Historizität ebenso beinhaltet wie die momentane Kraft einer schöpferischen Inspiration. Seine Arbeiten sind sorgfältig formuliert und entstehen mit den verschiedensten Materialien – mit bestimmten Pigmenten, eigenen Lasuren und einer Leinwand, auf der Tempera mit Öl vermalt wird. Bei aller Expressivität bringen die Bilder die Verbundenheit von Reflexion und Handwerk ohne Pathos unmittelbar zum Ausdruck.
Michael Franke ist weit herumgekommen: Er hatte Einzelausstellungen unter anderem – und oft mehrfach – in Ferrara, Mailand, Rom und Palermo, in Sankt Petersburg sowie in Brüssel, Knokke, Paris, Turnhout und unlängst in Athen im Zappeion Megaro. Das deutsche Publikum lernte ihn in Köln und Saarlouis – und jetzt in Frankfurt am Main – näher kennen.
Zephyros, Notos, Boreas, Triptychon (200 mal 300 Zentimeter)
Die Ausstellung in der Frankfurter Westend Galerie huldigte dem bevorstehenden 50. Geburtstag des Künstlers. Sie lief vom 15. September bis zum 17. November 2007.
(Bildnachweis: Frankfurter Westend Galerie / Michael Franke)