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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Highlights des internationalen Tanzes“: Urban dance trifft auf modern dance

Zwischen Hip Hop, zeitgenössischem Tanz, street dance, Zirkus und Videokunst

Im Rahmen der Reihe „Highlights des internationalen Tanzes“„Pixel“ von Mourad Merzouki und der Compagnie Käfig am Theater Bonn und „Get – together“ an der Kölner Oper

von Simone Hamm

Compagnie Käfig – CCN (Frankreich) Theater Bonn; Foto: Laurent Philippe

Wände wachsen, Wellen rollen, Netze schweben, der Boden bricht auf. Die Tänzer scheinen die Schwerkraft zu überwinden. Schneeflocken fallen auf die Bühne. Räume weiten sich ins Unendliche – und werden klein wie Käfige. Ein Läufer stemmt sich gegen einen Sturm aus Pixeln.

Elf Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich in einer Welt aus Punkten, Wellen, Pixeln. In einer Welt aus Licht, aus virtuellen Bildern.

Die Compagnie Käfig ist derzeit auf Tournee und zeigt neben neuen Choreografien auch das abendfüllende Stück “Pixel”. „Pixel“ ist ein Meilenstein der Tanzkunst.

Leiter der Compagnie Käfig ist Mourad Merzouki. Seit den frühen 1990er Jahren ist er eine Leitfigur der Hip-Hop-Szene in Frankreich. Heute ist er Leiter des nationalen choreografischen Zentrums von Créteil und Val-de-Marne, Kurator zweier Hip-Hop Festivals.

Merzouki will neue Räume auftun, sucht die Begegnung mit anderen Kunst – Disziplinen. Seine Choreografie “Pixel” – das ist HipHop, digitale Kunst, virtuelle Welt, moderner Tanz, Artistik.

Im Zirkus, im Hip Hop liegen Mourad Merzoukis Wurzeln.

Seine Eltern kommen aus Algerien. Merzouki ist ein Arbeiterkind, eines von sieben Geschwistern. Er ist in der Banlieue von Lyon aufgewachsen, einem sozialen Brennpunkt. Ein Sozialarbeiter brachte ihn in die Zirkusschule. Das war, so sagt er, seine Rettung aus der Banlieue. Dort hatte er stets das Gefühl gehabt, nicht wirklich dazuzugehören zu dem Land, in dem er geboren war, in dem er lebte.

Der Zirkus hat ihm etwas Neues eröffnet. Das war ein Ort der Kreativität, etwas sehr Wertvolles. Dass Kinder aus Problembezirken zu Artisten werden, wird über die Grenzen Lyons hinaus bekannt. Der Zirkus wird zu einer Fernsehshow eingeladen. Aber die kleinen Künstler, die im Fernsehen zu sehen sind, haben alle miteinander blaue Augen, sie heißen Pierre und Emmanuel. Und nicht Mahmoud oder Achmed. Das alte Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören, ist wieder da.

Mourad Merzouki ist entsetzt und schmeisst beim Zirkus hin. Er beginnt zu boxen, macht break dance, gründet mit Freunden die Hip-Hop-Kompanie „Accrorap“. Während des Bosnienkrieges tanzen sie für Kinder in einem Flüchtlingscamp. Merzouki erkennt, was Tanz vermag. 1996 gründet er die Compagnie Käfig.

Für „Pixel“ hat Merzouki mit den Digital-Künstlern Adrien M und Claire B zusammengearbeitet. Armand Amar hat die Musik dazu komponiert. Virtuos vereint Merzouki Tanz, Musik und Videokunst. Letztere sind keine Beigaben, sondern stehen gleichberechtigt daneben. Musik spielt nicht im Hintergrund. Videokunst ist keine Dekoration. Projektoren werfen Lichtpunkte auf den Boden und den Gazevorhang. Das ergibt einen 3 D-Effekt.  Die Tänzer lenken mit ihren Bewegungen die projizierten Lichtobjekte und werden gleichzeitig Teil derselben.

In manchen Passagen sitzt ein Techniker mit seinem digitalen Stift auf dem Tablet in der Regie, verfolgt die Bewegungen der Tänzer. In anderen Szenen ist das Video vorher aufgezeichnet worden, festgeschrieben wie eine Choreografie, und die Tänzer passen sich an. Die Zuschauer wissen nie,  wann das Video den Rhythmus bestimmt und wann es die Tänzer tun.

Pixel ist eine der spektakulärsten Hip-Hop-Coss-Over Kreationen der letzten Jahre. Mourad Merzoukis Gastspiel an der Bonner Oper zeigt: in „Pixel“ steckt die ganze Vielfalt urbaner Kultur.

Get-Together, Oper Köln, Foto: Frieda Frost 

Crossover beim Tanz gab es auch an der Oper Köln zu sehen. „Get-together“. Die Oper Köln und das Kulturamt der Stadt haben einen Choreografie Wettbewerb ausgeschrieben. Sie laden freie Tanzgruppen auf die Bühnen der Oper ein, sie wollen einen ganz anderen Blick auf den zeitgenössischen Tanz bieten. Den Wettbewerb haben das MichaelDouglas Kollektiv und nutrospektiv gewonnen. Eine modern dance-Gruppe tanzt gemeinsam mit urban dancern. Georg Schwalmbach hat die Musik dazu komponiert und tritt live als DJ auf.

Für das MichaelDouglas Kollektivs ist es eine Rückkehr. Sie haben als Tänzer von Pretty Ugly Tanz Köln unter Amanda Miller am Schauspielhaus Köln begonnen. An diesem Abend feiern sie auch ihr zehnjährige Bühnenjubiläum.

Schon im Foyer werden die Besucher von den phantasievoll gekleideten street dancern empfangen und in den Saal geleitet. Douglas Bateman trägt einen glitzernden Anzug und fragt die Zuschauer wie ein Conférencier, ob sie aus Bonn oder Köln kommen, ob sie lieber Aperol Spritz oder Weinschorle trinken und weist ihnen dann einen Platz zu – rechts oder links vom Gang.

Bateman beginnt zu improvisieren, stellt auf Zuruf Farben, Gefühle, Zahlen dar. Er erzählt, dass es noch etwas zu feiern gäbe, dass er nämlich seinen Einbürgerungstest bestanden habe – mit voller Punktzahl. Dann stellt er die einzelnen Tänzer nach und nach vor. MichaelDouglas und nutrospectif tanzen zusammen, als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. Die MichaelDouglas-Tänzer schwenken ihre Glieder wie Puppen. Nutrospectif bringt street dance als Kunstform. Die fünf Tänzer non nutrospectif zeigen Krumping und Wacking, also street dance-Bewegungen, einfach in einem anderen Umfeld. Und als ob dieses cross over nicht schon aufregend genug wäre, tritt der koreanische Bassist  Sung Jun Cho auf und tanzt wahlweise im Gangnam style oder singt ein zartes Lied. Demnächst ist er wieder in La Bohème zu sehen.

Es ist ein Abend der Freude und der guten Laune.

Indem man in Bonn und in Köln neue Formen findet, den urban dance auf die Bühne holt, erreicht man auch ein neues, junges Publikum. Das ist ganz wunderbar, denn es ist ein Blick in die Zukunft.

Das ist ganz wunderbar, tröstet aber nicht darüber hinweg, dass diese beiden großen Städte am Rhein kein eigenes Tanzensemble haben. Zwar gibt es mit „Richard Siegal /Ballett of difference am Kölner Schauspiel“ eine Hauskompanie. Die zeigt aber in dieser Spielzeit nur zwei Stücke. Man setzt in Köln wie in Bonn auf hochkarätige Gastspiele. Zehn Kompanien sind nach Bonn, elf nach Köln eingeladen worden, dorthin zuletzt la Veronal aus Barcelona mit Pasionara, einem experimentellen Werk über Roboter, die Menschen spielen oder sind es Menschen, die zu Robotern werden?

Die Tänzer zucken und stoppen und fangen wieder an, sich rückhaft zu bewegen. Immer und immer wieder bringen Paketboten  neue Pakete. Tänzer tragen Babypuppen. Stecken sie in Kisten. Holen sie wieder hervor. Das Rechteck der Bühne  ist fast immer dunkel, Taschenlampen häufig die einzige Lichtquelle. Slapstick, Break dance Bewegungen und Erinnerungen an das Licht aus Hitchcock Filmen kommen zusammen. Und alles klemmt und hakt und wiederholt sich. Das sind Menschen, die gar nichts mehr empfinden.  Pasionara also ohne Passion, ohne Leidenschaft.

Den Tänzern gelingt es  auf wundersame Weise, diese Botschaft so zu transportieren, dass es immer spannend bleibt. 

Weitere Infos:

www.theater-bonn.de

und

www.oper.koeln.de

 

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