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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Muss: Die Ausstellung „Herbstfeuer“ von Johannes Heisig in „DIE GALERIE“ in Frankfurt

Expressive Kraft und hohe Intensität

Von Uwe Kammann

Gehört diese Ausstellung auch zu den Wendepunkten, zu einer Normalisierung, zur neuen Offenheit, zur Abwendung vom Schubladendenken, wenn die Buchstabenkombination DDR mit im Spiel ist? Nun, sicher nicht hier, denn die renommierte Galerie am Frankfurter Grüneburgweg, die in raffinierter Vereinfachung auch noch „DIE GALERIE“ heißt, stellt nicht zum ersten Mal einen Künstler aus, der in der DDR gelebt hat. Diesmal, bei Johannes Heisig, ist es eine Wiederholung. Denn schon vor sechs Jahren, als Heisig gerade mit 60 einen runden Geburtstag feierte, wurde ihm eine reich bestückte Ausstellung gewidmet, die durch viele Institutionen weiterwanderte.

Johannes Heisig bei der Vernissage in „DIE GALERIE“, Foto: Petra Kammann

Jetzt setzte die Galerie mit der vierten Einzelausstellung Heisig den Schlusspunkt in ihrem eigenen Jubiläumsjahr, denn sie besteht seit nunmehr 40 Jahren. Und auch sonst ist Galerieinhaber Peter Femfert ein Kenner und Liebhaber jener Maler, die lange Zeit in der westlichen Kunstszene von oben herab behandelt und an den Rand geschoben wurden, mit der so ignoranten wie penetranten Abwehrformel „Sozialistischer Realismus“. Dass diese Pauschalzuweisung an der Kunst-Wirklichkeit in der DDR weit vorbeiging, war in diesem Jahr bei einigen großen Ausstellungen eindrucksvoll zu sehen, so im Düsseldorfer Kunstpalast und im Museum der bildenden Künste in Leipzig.

In Düsseldorf war auch Bernhard Heisig – der Vater des jetzt in Frankfurt ausgestellten Künstlers – mit einer repräsentativen Werkschau vertreten. Wer nun die zwei Etagen in „DIE GALERIE“ durchschreitet und die Bilder des Sohnes, Johannes Heisig, mit aller Aufmerksamkeit betrachtet, der urteilt mit Sicherheit: Ja, das ist eine hohe Eigenständigkeit, das Familiäre zeigt sich allein an einer Klammer: der hohen künstlerischen Qualität.

Johannes Heisig, Mitternacht im Atelier 2014 – 2017

Diese Qualität arbeitete der Bremer Kunsthistoriker Bernd Küster – in seiner beruflichen Laufbahn auch lange Jahre Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel – in seinem einführenden Vortrag so genau wie feinfühlig heraus. Natürlich ging auch er auf die früheren Beurteilungsroutinen gegenüber Künstlern aus der DDR ein, erinnerte dabei an eine Ausstellung Heisigs vor fünfundzwanig Jahren im Kunstverein Wilhelmshaven, bei der er den Eindruck gehabt habe, dass hier nun endlich die üblichen Vorbehalte und Ressentiments und der damit verbundene Rechtfertigungsdruck keine Rolle mehr gespielt hätten.

Was aber als äußeres Negativmuster ohnehin nicht zählen könne, weil der Eindruck der Heisig-Bilder auch für ihn – ganz und gar unmittelbar – so stark gewesen sei. Dann reiht Küster, ausgewiesener Kenner des Werks auch in seinen verschiedenen Phasen und Schüben, die Eigenschaften der Bilder Heisigs auf, die für ihn im Mittelpunkt stehen, die er findet, wiederfindet. Die aber auch immer wieder in anderen Konstellationen auftauchen, sich abschwächen, sich neu bestärken.

So ergibt sich, wie in einem Kadeiloskop der Eigenschaften, ein jeweils neu zusammengesetztes Tableau, in „großer malerischer Tradtion“, wie Küster hervorhebt. In „neuem expressionistischem Furor“, mit „großer Wucht“. Es fallen Adjektive wie bedrohlich, apokalyptisch, unorthodox, ausdrucksstark, bedächtig und gewissenhaft. Von mystischen und verstörerischen Szenen ist die Rede, von Kraftakten; aber ach vom allmählichen Herauswachsen eines Themas, dies Schicht für Schicht; auch von fotlaufender Verwandnlung, vom immer wieder zu konstatierenden Prozess von Annäherung und Verwerfung.

Blick in einen Ausstellungsraum der Galerie mit Prignitz-Landschaften, Foto: Petra Kammann

Jeder Besucher der Galerie wird alle diese Verweise im Handwerklichen und in der inhaltlichen Anverwandlung sowie in der formalen Ausführung sofort verstehen. Sei es bei den Stilleben, sei es bei den Natureindrücken, sei es bei großangelegten, scheinbar paradoxen Inszenierungen wie „Vertreibung ins Paradies“, sei es bei skizzenhaften Aquarellen mit Alltagssichten, sei es bei einer Berliner Dachlandschaft oder einer Reminenszenz ganz eigener Art, wenn Heisig ein Ferienhaus am Fuß der Montagne Sainte Victoire malt. Das war schließlich der ‚Hausberg’ des großen französischen Erneuerers Paul Cézanne.

Der Kunsthistoriker Küster sieht da eine innere und äußere Nähe, er nennt in dieser Linie auch Vincent van Gogh. Das, ja, seien die Namen, die zu Heisig gehörten, nicht unbedingt die Expressionisten der Dresdner „Brücke“ wie Kirchner. Gleichwohl, Dresden und Leipzig spielen natürlich eine große Rolle in der Künstlervita, Denn an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden hat Heisig studiert in den späten 70er Jahren; vorher (von 1973 bis 1977), an der berühmten Hochschule für Grafik und Buchkunst in Lepzig – auch sein Vater Bernhard Heisig gehörte dort zu seinen Lehrern, wie auch Arno Rink und Dietrich Burger.

Der Hochschule für Bildende Künste blieb er verbunden, als Lehrer und in den letzten Jahren (1988 bis 1991) als Rektor, 2003 bis 2004 folgte dann noch eine Professur an der TU Dortmund. Ein bewegte Biographie, in der Tat, zu der auch, ungewöhnlicherweise, ein Stipendiaten-Aufenthalt an der Hochschule für experimentelle Gestaltung in Zürich.

Allein diese Stationen zeigen schon, dass es wohl eine Richtung, aber keine Routine-Schablonen im Werk Heisigs gibt. Wer seine Landschaftsbilder sieht, wird nicht unbedingt vermuten, dass er sich auch gut eineinhalb Jahrzehnte nach den Wendejahren 89/90 auf ganz eigene Weise in einem intensiven Such- und Erinnerungsprozess mit der deutschen Teilung beschäftigt hat. Ob aus solchen Motiven auch seine Porträts von Egon Bahr und Willy Brandt entstanden sind? Auf jeden Fall gehört auch dies zu den Facetten des Schaffens, das nicht einmal ein Konzerterlebnis mit der Kraftband „Rammstein“auslässt, wo doch auf der anderen Seite auch ein geschichtlicher Schlüsselort wie Waterloo seine Interpretation herausfordert.

Begrüßung zum Abschluss des Jubiläumsjahrs: Der Galerist Dr. Peter Femfert (re), Foto: Petra Kammann

Das alles ist in den Räumen von „DIE GALERIE“ in einer so großen wie klugen Auswahl zu sehen. Wobei immer die intensive Kraft dieses Malers zu spüren ist, auch in jenen Werken, die eine heitere Gelassenheit verraten wie manche Landschaften. In denen sich auch spiegelt, dass der Umzug von Sachsen nach Berlin kein absoluter Schritt war, weil parallel auch das brandenburgische Kyritz zu seiner Lebens- und Malheimat geworden ist. Im jetzigen Spektrum der gut 50 gezeigten Bilder verlagern große Leinwände die Perspektive, ungewohnte Bildausschnitte verändern das Sehen. Neben den nachdenklichen Stillleben erweitern diesmal auch zahlreiche Landschaftsansichten Südfrankreichs und Brandenburgs das Spektrum der Schau, ebenso wie feinsinnige Selbstporträts, aber auch Momentaufnahmen des Zeitgeschehens.

Eine große Verbindung beschwor Küster ganz zum Schluss seiner mit viel Beifall bedachten Einführung: die zu Rembrandt. Und in der Tat, wer die Selbstporträts betrachtet – alleine sie lohnten schon den Besuch der Ausstellung –, der kann nicht umhin, jene Züge zu sehen, die der Kunsthistoriker beschrieb. Solche von hoher Einsamkeit, von schmerzvoller Wahrnehmung der Welt. Ein „kollegialer Händedruck über Jahrhunderte“ zeige sich dort, so Küster. Und steigerte dies noch: zu „Rembrandts Bruderkuss“.

Unter den Gästen war auch einer, der mit besonderer Aufmerksamkeit zuhörte. Es war Eduard Beaucamp, von 1966 bis 2002 Kunstkritiker und Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In genau dieser Funktion war er lange Zeit bei einem Thema fast ein Einzelkämpfer. Weil er nämlich – im Gegensatz zur absoluten Mehrheit der westlichen Kunstszene mit all ihren Kuratoren, Galeristen, Sammler, Museumsleitern, Kritikern, natürlich auch den Künstlern selbst – sich vehement gegen das geradezu eherne Verdikt wandte, in der DDR arbeitende Künstler seien nichts als Staatskünstler, abhängig von ideologischen Vorgaben. Seine Gegenthese: Sie seien malerisch in der Regel überlegen.

Er, der sich früh für Beuys, auch für die amerikanische Pop-Art einsetzte, konstatierte mit scharfem und nüchternem Blick, dass die westlichen Imperative – wie jenes zum „Reinheitsgebot“ einer gegenstandslosen Kunst – zu einer „Droge für ein avanciertes Publikum“ geworden seien, sich die selbsternannte Moderne immer schneller im Kreis drehe, im nichtssagenden Ritual ihre Kraft verloren habe. Nach Besuchen und Gesprächen in Leipziger Ateliers, so beschrieb er es kürzlich in einem langen Gespräch in der Reihe „Café Deutschland“ des Städel Museums, habe er begonnen, „grundsätzlich am allein seligmachenden Westkunst-Weg zu zweifeln“. Denn dort, in der DDR, „eröffneten sich andere, zum Teil fundamentalere Wege“. Mit einer Kunst, besonders der Leipziger Malerei, „die man im Westen bis heute zu ignorieren, zu bekämpfen und auszuschalten versucht.“

Vielleicht ist dieser Befund aus dem Jahr 2016 heute leicht abzumildern, wie eben aktuelle Ausstellungen und deren Rezeption nahelegen, ebenso wie Erfolge jener Maler, die mit einem erzählerischen, oft auch magischen oder mit dem Surrealen spielenden Realismus ein immer größeres, auch internationales Publikum anziehen. Dass Künstler wie Neo Rauch nicht 1:1 einer direkten Traditionslinie unter dem ohnehin etwas prekären Etikett Leipziger Schule zu subsummieren sind, ist nicht von Belang. Denn gleichwohl verbinden sich ganz bestimmte Vorstellungen von Mal- und Bilderwelten mit diesem Begriff.


v.l.n.r.: der Bremer Kunsthistoriker Prof. Dr. Bernd Küster, der Künstler Johannes Heisig und der Doyen der Kunstkritik Dr. Eduard Beaucamp, Foto: Petra Kammann

Richtig ist auf jeden Fall, dass diese Bilder Gegenpositionen darstellen zum immer noch vorherrschenden Mainstream unter dem Siegel einer „Avantgardeästhetik“ (Beaucamp). Künstler aus der DDR seien oft Charaktere, „die durch die vielen heftigen Auseinandersetzungen geprägt und gewachsen sind“, wie überhaupt gute Künstler „Exzentriker und extreme Individualisten“ seien. Es sei nachgerade „lächerlich“, so der exzellente Kunstkenner in scharfer Anklage, „dass man im Jahr 2016 noch immer die Westkeule schwingt und den längst ausgetretenen Weg der Westkunst für den einzigen richtigen und erlaubten hält.“

An anderer Stelle ist es dann geradezu ein Katalog von Eigenschaften, den Beaucamp mit Blick auf die Leipziger Schule beschreibt. Er sei schon beim ersten näheren Kennenlernen „perplex“ gewesen „angesichts der explosiven Vitalität dieser Schule, der leidenschaftlichen Expressivität, dem Mut zur Selbstdarstellung und Selbstpoetisierung bei den damals jungen Künstlern der zweiten Generation, angesichts der wilden Malgestik, der Freizügigkeit und Verhöhnung sozialistischer Ideale und Rituale“.

All dies, keine Frage, hätte der nun schon ältere Herr, ein wahrer Doyen der Kunstkritik, ganz aktuell in einer anderen Einführungsrede auf Johannes Heisig sagen können. Kein Wort wäre falsch gewesen, jedes hätte die Kraft bezeugt, die von den Werken des nun 66-jährigen Heisig ausgeht. Insofern: Hier war er, wie die vielen anderen Besucher auch, am richtigen Platz. Für „DIE GALERIE“ ist es natürlich eine bestmögliche Bestätigung dieser kontinuierlichen Zuwendung, die übrigens auch dem Maler Volker Stelzmann gilt. Doch jetzt, bei der Eröffnung der Ausstellung unter dem Titel „Herbstfeuer“, stand einer im Mittelpunkt, der extra, zusammen mit seiner Frau, mit dem Zug aus dem Brandenburgischen nach Frankfurt gereist war: Johannes Heisig.

DIE GALERIE. Gesellschaft für Kunsthandel mbH, Grüneburgweg 123 in 60323 Frankfurt am Main, Mail: info@die-galerie.com,  zeigt ca. 50 aktuelle Gemälde und Papierarbeiten des Künstlers. 

www.die-galerie.com

Das Gespräch mit Eduard Beaucamp im Rahmen der Städel-Reihe „Café Deutschland“ ist unter folgendem Link zu finden:

https://cafedeutschland.staedelmuseum.de/gespraeche/eduard-beaucamp

 

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