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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Tamerlano“ von Georg Friedrich Händel im Bockenheimer Depot

Ein verrückter Tyrann – spät einsichtig

von Renate Feyerbacher

Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt

Das „Dramma per Musica“ in drei Akten von Georg Friedrich Händel (1685-1759), das 1724 in London uraufgeführt wurde, hat historische Bezüge. Der osmanische Sultan Bayezid griff das Reich des mongolischen Herrschers Timur Lenk – Tamerlan genannt – an. Der bis dahin erfolgreiche Osmane verlor jedoch 1402 die Schlacht bei Ankara und geriet in Gefangenschaft, wo er starb, ob durch Suizid ist fraglich. Timur soll Bayezid in einen Käfig geperrt und ihn während der Mahlzeiten wie ein Hund unter der Tafel gehalten haben.


v.l.n.r. Brennan Hall (Andronico), Elizabeth Reiter (Asteria) und Liviu Holender (Leone) sowie Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Dieses geschichtliche Ereignis beschäftigte viele Künstler. Im 16. Jahrhundert war es bereits Christopher Marlowe, der eine Tragödie schrieb. Der Franzose Jacques Pradon widmete sich im 17. Jahrhundert „Tamerlan où La mort de Bajazet“. Selbst der klassische Autor Jean Racine interessierte sich für die Figur.

Der Operntext stammt von Händels Librettisten Nicola Francesco Haym. Der wiederum stützte sich auf die Libretti von Agostino Piovene (1711) und Ippolito Zanelli (1719), die sich ihrerseits auf Pradons Tragödie bezogen.

Im  Bockenheimer Depot wurden der Zuschauerraum und die Bühnenfläche mit weißen Wänden begrenzt. Labyrinthischer Bunker, nennt es der Regisseur. Alle sind gefangen. In einem Käfig sitzt das Orchester, dessen Dirigent und Musiker alle beobachten können. (Bühnenbild Paul Steinberg, Kostüme Doey Lüthi und Licht Marcel Heyde)

Lawrence Zazzo (Tamerlano; in der Bildmitte mit Hut) und Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Mit Cowboyhut unter dem dichte, schwarze Haare hervorquellen, erscheint der Titelheld, gelegentlich eine Peitsche schwingend,  zunächst auf der Bunker-Bühne. Dann läuft er die Stufen neben den Zuschauerreihen hoch, platziert sich auch zwischen die Zuschauer. Auch alle anderen Protagonisten begeben sich immer wieder in den Zuschauerraum. Wer den Inhalt vorher kennt, ist irritiert. Ein Lustspiel, eine Show, ein Spiel? Ja, ein Spiel des Mächtigen mit seinen Gefangenen.

Nach und nach spitzt sich das Drama zu. Nicht der Titelheld steht im Mittelpunkt von Händels Oper, sondern Bajazet und Asteria, seine Tochter. Beide sind Gefangene von Tamerlano, der mit der Adeligen Irene verlobt ist. Diese jedoch hat er bislang nie gesehen. Nun will er aber Asteria heiraten und Andronico, Asterias Geliebter, von Tamerlano enteignet und gefangen gehalten, soll bei Bajazet um deren Hand anhalten. Der Machthaber verspricht ihm die Freiheit. Wenn ihm dies gelingt, bekommt er Irenes Hand. Andronico will tricksen ebenso Asteria, die in die Heirat mit Tamerlano einwilligt. Die Liebenden driften auseinander. Vater Bajazet ist entsetzt und droht seiner Tochter, sich das Leben zu nehmen. Asteria wirft die Waffe weg, mit der sie Tamerlano töten wollte. Das nimmt sie sich für die Hochzeitnacht vor.

Tamerlano, der zwischenzeitlich den Mummenschanz mit Perücke und Schnurrbart beendet hat, rast, schwört Rache. Er will Bajazets Tod und demütigt Asteria, die beim Festmahl bedienen muss. Irene sieht, wie sie Gift in Tamerlanos Getränk mischt und warnt den Herrscher, nachdem sie ihre wahre Identität offenbarte. Er zwingt Vater und Tochter, zuerst einen Schluck zu nehmen. Als Asteria ansetzt, verhindert Andronico, der sich von Tamerlano lossagte und seine Liebe zu Asteria bekennt, ihren Suizid.

Bajazet, der immer Gift bei sich trägt, nimmt sich selbst das Leben. Die zuvor stattgefundene Demütigungsszene durch den Tyrannen, bei der er den am Boden Liegenden mit einer schwarzen Flüssigkeit übergießt, und die Suizidszene Bajazets sind ein dramatischer, realistischer Höhepunkt der Inszenierung. Auch bei den Zuschauern ist Spannung zu spüren.

Sekunden lange Ruhe nach Ende der Aufführung, dann frenetischer Beifall.

Foto 12: v.l.n.r. Lawrence Zazzo (Tamerlano), Yves Saelens (Bajazet), Elizabeth Reiter (Asteria), Cecelia Hall (Irene), Brennan Hall (Andronico) und Liviu Holender (Leone)

Zum ersten Mal inszeniert R.B. Schlather in Europa an der Oper Frankfurt. Dem jungen amerikanischen mehrfach ausgezeichneten Regisseur, in den USA als einer der kreativsten und visionärsten Opernregisseure gefeiert, gelingt es, vorzuführen, was mit Menschen geschieht, die in Stress- und Angstsituationen die Kontrolle über sich verlieren und handlungsunfähig werden.

In der Figur der naiven, passiven Asteria, die zur starken, leidenschaftlichen Frau wird, kann Schlather aber auch zeigen, wie der Mensch sich aus der Lage befreien und andere mitziehen kann.

Ihr unnachgiebiger Vater Bajazet, der seine Tochter nicht wirklich liebt, sondern besitzen will, ist fixiert auf die Ehre und will die Tochter zum Suizid drängen.

Zwischen dem Vater-Tochter-Gespann steht Tamerlano, der Asteria nicht wirklich liebt, sondern sie besitzen will, „ein unangenehmer, amerikanischer Pionier, der seine Macht auf perfide Weise ausspielt und Gefallen daran findet, andere zu demütigen.“ Hat Schlather an einen lebenden Politiker gedacht?

Karsten Januschke, der 2008 an der Oper Frankfurt als Solorepetitor begann und gerne als Dirigent zurückkehrt, sieht in Asteria eine Heldin und nennt sie die „Barock-Pamina“.

„Tamerlano“ ist Händels 18. Oper. Der bereits hoch angesehene, erfolgreiche Komponist überrascht mit Neuerungen: erstmals sang ein Tenor eine Hauptrolle – gleichberechtigt neben den großen Sängerinnen und Kastraten. Es ist die Rolle des Bajazet. Es sind Instrumente zu hören, zum Beispiel Klarinetten, die neue Klangfarben hervorbringen. Bajazets Sterbeszene, in der er einerseits wehmütig Abschied von der Tochter nimmt, abwechselnd seinen Hass auf Tamerlano schleudert, erlebt eine furiose, musikalische Steigerung und bricht bei seiner Verfluchung, der Anrufung aller Höllengeister und Furien, abrupt ab. Bajazet ist physisch am Ende.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, erweitert mit Solo-Violoncello, mit Laute- und Barockgitarre sowie Cembalo und Orgel, musiziert auf historischen Intrumenten. „[..] aber wir haben nicht den Anspruch, so zu klingen wie vor 300 Jahren.“(Januschke). Ein frischer Händel, sehr differenziert in seiner Musik.

Elizabeth Reiter (Asteria) und Yves Saelens (Bajazet)

Wie der belgische Tenor Yves Saelens die Rolle des Bajazet, vor allem die Sterbeszene, gestaltet, das ist schon beeindruckend. Wie er sich in seinem orangefarbenen Sträflingsanzug, der an Guantanamo erinnert, auf dem Boden krümmt, später Spuren seiner blutigen Hand an der weißen Bunkerwand hinterlässt, da meint man in der Wirklichkeit zu sein. Bis zum Schluss trägt Saelens Stimme – auch in dieser körperlich anstrengenden Szene.

Countertenor Lawrence Zazzo, gebürtiger Amerikaner, ist immer wieder in Frankfurt. Er ist einer der ganz Großen seines Fachs. Er brilliert als Tamerlano sowohl im Spiel als auch im Gesang.

Seit einigen Jahren gehört die gebürtige Chicagoerin Elizabeth Reiter zum Ensemble. Ihre grandiose Valencienne in „Die lustige Witwe“ aus 2018 ist noch präsent. Sie ist eine wandlungsfähige Künstlerin und insofern in verschiedenen Rollen einsetzbar.

Ihre Asteria wird auch lange im Gedächtnis bleiben. Die Rolle, die zwischen Liebe, Verzweiflung, Hass und Wut pendelt, verlangt von der Sopranistin große Nuancierung der Stimme. Jedem Gefühl gibt sie die richtige Stimmung.

Elizabeth Reiter am 16.9. 2017 nach der Premiere von „Rinaldo“; Foto: Renate Feyerbacher

Ihr Geliebter Andronico, gesungen von Brennan Hall, der auch sein Europa-Debüt gibt, ist ein schwacher Typ – abhängig, nicht mutig, zu loyal, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Der amerikanische Countertenor gefällt.

Ensemblemitglied Cecilia Hall agiert als Irene keck, abwartend, berechnend. Ein wohlklingender Mezzosopran.

Das neue Ensemblemitglied, der österreichische Bariton Liviu Holender, hat nur eine kleine Rolle, die aber seine starke Ausdrucksfähigkeit erkennen lässt. Demnächst gibt er sein Debüt an der Mailänder Scala.

Weitere Vorstellungen der dreieinhalbstündigen Oper in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln sind am 16., 20. und 24. November. Allerdings gibt es einen Wermutstropfen: die Karten für alle Aufführungen sind bereits ausverkauft. Aber die Erfahrung lehrt, eine Chance, doch noch eine zu ergattern, besteht.

 

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