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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Friedenspreis für den Fotografen Sebastião Salgado

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Ein Novum. Sebastião Salgado wurde als erster Fotograf mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, einer, der die Augen vor dem Elend der Welt nicht verschließt, der aber auch die Schönheit der Schöpfung preist. Die Laudatio hielt der Filmemacher Wim Wenders. Die Verleihung des diesjährigen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche kann als ein Höhepunkt der Frankfurter Buchmesse gelten. Soviel Emotion war nie…

von Petra Kammann

Der brasilianische Fotograf und Friedenspreisträger Sebastião Salgado, Fotos: Petra Kammann

Bislang wurde während der Friedenspreisfeier lediglich der Musik ein Platz eingeräumt, zählt sie doch zu den universalen Sprache und steht dem Wort näher. Man denke nur an Yehudi Menuhins Spiel der Bach-Partita im Jahre 1979während der unerschrockene chinesische Schriftsteller Liao Yiwu 2012 mit seinen Klangschalen und einem gesungenen Gedicht über die Mütter vom Platz des Himmlischen Friedens das Publikum tief bewegte und 2014 der kalifornische InformatikerJaron Lanier bei der Preisverleihung eine Kostprobe seiner laotischen Khaen-Flöte gab, einem siebentausend Jahre alten Instrument, die er als Vorstufe des Computers und somit der digitalen Kultur sah.

Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller überreicht die Urkunde

Und nun – nach dem Künstler Anselm Kiefer – ein Fotograf, von dem zwei riesengroße Fotografien in der Paulskirche rechts und links des Rednerpults hingen, ein Bild aus der „Genesis“ zur linken und ein Bild aus „Arbeiter“ zur rechten? Entspricht dieses Medium den Reden in der nüchternen Paulskirche, in der üblicherweise die Macht der Worte und nicht die der Bilder beschworen wird? In fast 70 Jahren Friedenspreis also eine Novität. „Humanität ist nichts Abstraktes. Sie wird gerade sinnfällig und konkret, wenn sie entschwindet“, sagt in seinem ,Manifest ohne Grenzen‘ der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei in der gerade erschienenen kursbuch edition. Wie aber wird man des Konkreten gewahr, ohne Bilder, die es uns ermöglichen, auch das Grauen der Wirklichkeit wahrzunehmen?

Ein Thema, das immer schon die bildende Kunst, die etwas Konkretes von der wahren Wirklichkeit vermitteln will, umtreibt. Allein ein Maler wie Hieronymus Bosch zeigt uns in seinen Bildern auf eindrucksvolle Weise, wie der Menschen des Menschen Wolf ist, wie die „Verdammten“ aufgespießt, zerschnitten, gesotten und gebraten werden. Und doch spielt er auch mit seinen Motiven grandios verschiedene Bildtiefen aus, komponiert seine Grausamkeiten mit Engelsflügeln, überhöht sie auf diese Weise. Nur so werden seine Bilder wahrnehmbar, erträglich und sind bei allem von großer Schönheit. Kann man ihm vorwerfen, dass er die Ambivalenz der Welt darstellt? Hätte Dante das Paradies, das Fegefeuer oder die Hölle aus seiner „Göttlichen Komödie“ ausklammern sollen?

Die Fotografie bildet die Wirklichkeit natürlich noch ein Stück konkreter ab als die Malerei. Darf ein Fotograf daher auf den Auslöser drücken, wenn ein Mensch in den Armen eines anderen stirbt? Oder ist das unmoralisch?„Meine Sprache ist das Licht“, sagt Salgado, „denn es ist auch und vor allem die Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen, die meine Arbeit als Sozialfotograf bestimmt.“ Dieses Licht warf er in seinem über fünfzigjährigen Schaffen an den verschiedenen Ecken der Welt auf die entrechteten Menschen, und ihm schießen heute noch die Tränen in die Augen, wenn er von ihnen spricht:

„Diese Männer, Frauen und Kinder gehören zu den Ärmsten der Menschheit. Sie bilden eine riesige Armee von Migranten und Verbannten, von ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeitern, von Opfern von Krieg und Genozid. Es sind die Betroffenen von Hungersnöten, Dürrezeiten, Klimawandel und Abholzung; es sind die, die durch die Gier mächtiger, habsüchtiger Männer von ihrem Land vertrieben wurden, die der Mechanisierung der Landwirtschaft weichen mussten, die durch die Konzentration von Grundbesitz, durch ungeplantes Städtewachstum und brutale Wirtschaftssysteme, die von den reichsten Ländern der Welt kontrolliert werden, ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden. Mit ihnen möchte ich diesen Preis heute teilen. Ich nehme ihn nicht für mich an; ich nehme ihn für sie an; ich nehme ihn mit ihnen an.“

Kein Lippenbekenntnis. Hat Salgado, der auf einer Rinderfarm in Brasilien aufwuchs, sich doch schon als junger Mann gegen die Militärdiktatur in Brasilien engagiert und emigrierte 1969 nach Paris, um Schlimmerem zu entkommen. Dann reiste der studierte Wirtschaftswissenschaftler für seine eindrücklichen Fotoprojekte in mehr als 120 Länder und lebte oft Wochen und Monate bei Stämmen, in Krisengebieten oder Goldminen, um eine Verbindung zu den Menschen und ihren Geschichten aufzubauen, gleich ob es sich um vertriebene Völker in Mexiko handelte, um Opfer während des Krieges in Jugoslawien oder in Hungerkatastrophengebieten. Was ihn aber nicht mehr losließ, waren die Gräuel in Ruanda, bei denen Europa mehrheitlich weggeschaut hat. Dabei habe er so viel Schreckliches, so viel Brutalität und Gewalt gesehen, dass sein Geist und seine Seele davon krank wurden.

Laudator Wim Wenders vor einem Foto aus dem Buch „Genesis“ von Sebastião Salgado

„Er blickt so tief in das Herz der Dunkelheit (…) Fast wäre er daran zerbrochen“, sagt der Filmemacher Wim Wenders in seiner Laudatio, der Salgado in dem oscarnominierten Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ ein Denkmal gesetzt hat. „Aber er lässt sich heilen, mit Hilfe derselben Kamera, die das äußerste Leid und den schlimmsten Horror gesehen hat.“ „Er findet das Paradies, oder zeigt uns, dass es das noch gibt.“ Damit bezieht sich  Wenders auf Salgados groß angelegtes  Fotoprojekt „Genesis“, für das er acht Jahre lang in etliche Länder der Erde gereist war, um die Schönheit der Schöpfung zu dokumentieren.

Nach einem monatelangen Burnout war der verschollen Geglaubte nämlich wieder zurück zu seiner Familie gekehrt und wollte nur noch die „Reinheit“ der bedrohten und noch urwüchsigen Natur fotografieren, die Umwelt mit der Flora und Fauna, die Bäume und Tiere. Anfang der 90er Jahre sind Sebastião Salgado und seine Frau Lélia auch wieder nach Brasilien zurückgekehrt, wo sie ein Mammutprojekt ins Leben riefen. Sie gründeten das „Instituto Terra“ und starteten auf zerstörtem Boden eine Wiederaufforstung des Regenwalds.

Bislang wurden dort um die 3 Millionen Bäume gepflanzt und die Tiere sind wieder zurückgekehrt. „Wir haben jetzt 170 Vogelarten, Krokodile, Jaguare, Affen. Das hat mein Leben so viel glücklicher – und so viel wichtiger – gemacht“, sagt Salgado den Journalisten voller Stolz. Auch davon künden seine Fotografien, deren Schönheit in Büchern festgehalten sind. Das ist keine Ästhetik um ihrer selbst willen. Die Komposition seiner Fotos ist immer von Bildstrukturen wie vom Inhalt geprägt.

 Begeistertes Publikum in der Paulskirche bei der Friedenspreisverleihung

Wim Wenders würdigte in seiner Laudatio Sebastião Salgado als Fotografen, der die Menschen habe „teilnehmend spüren lassen, was der große Feind des Friedens in unserer Zeit ist: der brutale Niedergang des Mitgefühls, der Mitverantwortung, des Gemeinsinns, des grundsätzlichen Willens zur Gleichheit des Menschengeschlechts.“

Mit Bezug auf Salgados drei großangelegte Werke „Arbeiter“, „Exodus“ und „Genesis“ sagte er: „Mit diesen drei monumentalen monolithischen Arbeiten allein hat uns dieser Mann die Bedingungen von Frieden vor Augen geführt: Es kann keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit, ohne Arbeit geben, es kann keinen Frieden ohne Anerkennung der Menschenwürde geben, und ohne die Beendigung der unnötigen Zustände von Armut und Hunger, und es kann keinen Frieden geben, ohne dass wir die Schönheit und Heiligkeit unserer Erde achten.“

„Irgendwie müssen wir neue Mittel und Wege des Zusammenlebens finden“, lautete Salgados Appell, da die Zukunft der Menschheit  in unseren Händen liege. Wenn wir eine andere Zukunft erschaffen wollen,  müssten wir die Gegenwart zur Kenntnis nehmen und auch verstehen. „Meine Fotos zeigen diese Gegenwart. Und so schmerzhaft der Anblick ist – wir dürfen den Blick nicht abwenden.“

Himmel und Hölle liegen halt oft beieinander. Nur wer sie kennt, kann auch ermessen, was für Salgado Frieden bedeutet und was er mit Menschen teilen möchte. Zurecht nahm Wim Wenders in seiner Laudatio Bezug auf den DU-Philosophen und Friedenspreisträger Martin Buber aus dem Jahr 1953, der wiederum in seiner Friedenspreisrede auf das berühmte Seneser Stadthausgemälde „Buon governo“ anspielte, als er sagte: „Was man in der Geschichte Frieden nennt, ist ja nie etwas anderes gewesen als eine – angstvolle oder illusionsselige – Pause zwischen den Kriegen. Der weibliche Genius aber, den der Maler in seinem Traum sah, ist eine Herrin nicht der Unterbrechungen, sondern der neuen, der größeren Taten“.

Salgados Frau und DU-Partnerin Lélia, die  fünfzig Jahre lang sein Leben und seine Arbeit begleitet hat, ist übrigens auch die Layouterin und Gestalterin seiner Bücher. Zurecht bittet Salgado sie daher nach vorn vor das tief bewegte Paulskirchenpublikum und verkündet laut:“Lélia, dieser Preis gehört Dir genauso wie mir“ und nimmt sie in die Arme.

Sebastião dankt seiner Frau Lélia Salgado

Der Fotograf:

Sebastião Salgado begann 1973 seine berufliche Karriere als Fotograf in Paris und arbeitete in der Folge für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos. Im Jahr 1994 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado die Agentur Amazonas images, die sein Werk exklusiv vertritt. Salgados fotografische Projekte wurden in zahlreichen Ausstellungen und Büchern gezeigt, darunter Sahel, L’Homme en détresse (1986), Other Americas (1986), Arbeiter (1993), Terra (1997), Migranten (2000), Kinder der Migration (2000), Africa (2007), Genesis (2013) und Kuwait, Eine Wüste in Flammen (2016).

http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de

Rede-Dokumente 

→ friedenspreis – Riethmüller

→friedenspreis – Salgado Dank

→friedenspreis – Wenders

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