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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Gespräch mit Matthias Wagner K über das „House of Norway“

Im Frankfurter Museum Angewandte Kunst kann man in diesen Tagen Natur, Kunst und Kultur aus Norwegen kennenlernen Petra Kammann sprach mit dem Museumsleiter und Kurator Prof. Matthias Wagner

Museumsleiter und Kurator Prof. Matthias Wagner K im „House of Norway“, Foto: Petra Kammann

Was hat Sie fasziniert, sich so intensiv mit einem Land zu beschäftigen, das mit extremen Helligkeiten und Dunkelheiten, mit extremer Kälte und Wärme, zu tun hat, dass Sie dafür bereit waren, das Museumsgebäude auszuräumen und passend zum norwegischen Schwerpunktthema der Buchmesse ein „House of Norway“ zu bauen?

Ich bin so ein“Kind des Nordens“. Beginnen wir bei der Kälte. Die  macht mir gar nichts aus. Ich war schon immer viel im Norden. 20 oder 25 Grad minus kenne ich aus Schweden, wo ich mal ein Haus hatte und häufig die Winter verbracht habe. Als ich dann in Norwegen auf dem Rentierschlitten gefahren bin, war das für mich eine Szene wie im Märchen: mit den Rentieren zur „Schneekönigin“ fahren. Nur, dass ich nicht Kai heiße. Und insofern musste ich auch nicht das Wort Ewigkeit zusammenlegen…. Dann war ich hoch oben im Norden mit den Sami bei minus 20 Grad eisfischen. Ich steh auf sowas. Aber eigentlich ist es auch gar nicht so extrem, weil es ja eine trockene Kälte dort ist, die ich als nicht so ungewöhnlich empfunden habe. Viel ungewöhnlicher und faszinierender hingegen waren für mich die Landschaften. Und was das Licht angeht, selbst im Januar, wo es wegen des hellen Schnees nur so ein bisschen Licht gibt, ist es nie so ganz dunkel.

Wagner K im Gespräch, Foto: Petra Kammann

Haben Sie sich von der norwegischen Literatur imprägnieren lassen?

Die „Schneekönigin“ kennt ja eh fast jeder. Ansonsten kenne ich mich aber ganz gut aus. Ich wollte durch meine mehrfachen vorbereitenden Reisen einfach ein Gespür dafür bekommen, woraus die Menschen dort ihre Ideen schöpfen. Die Natur beeinflusst ja ganz stark deren Arbeiten und hat auch einen großen Einfluss auf das alltägliche Leben dort. Davon wollte ich was mitbekommen.

Und wie sieht das im Sommer aus?

Die Sommer sind richtig warm, so um die 25 Grad, und dieses Jahr war es ungewöhnlich trocken. Da konnte man sogar noch Pilze sammeln. Dann kam aber der erste Schnee schon am 1. September. Als ich noch mit dem Direktor des Samischen National Theater fischen gehen wollte, war schon Schnee gefallen und es ging nicht mehr. Dann schwimmen die Fische nämlich sofort tiefer.

A propos fischen: ist Norwegen noch nicht überfischt? Oder gibt es dort dieses ökologische Problem nicht?

In den Seen sicher nicht. Natürlich kann man nicht einfach so fischen, sondern man braucht dafür eine Lizenz. Ich mache das übrigens deshalb besonders gern, weil man auf diese Weise einfach konzentrierter die Landschaft erleben kann. Zunächst einmal muss man dorthin laufen und steht dann stundenlang an einer Stelle. Mir liegt nicht daran, ein Maximum an Fischen zu fangen.

Das Museum Angewandte Kunst hat sich in ein House of Norway verwandelt, Foto: Petra Kammann

Was hatten Sie sich denn für das „House of Norway“ vorgestellt? Wollten Sie sich vor allem die Kultur der Sami in den Mittelpunkt stellen?

Das hat mich schon interessiert. Denn eine Ausstellung über Kunst und Gestaltung, Architektur aus Norwegen, wo samische Positionen einen großen Anteil haben, die gab es noch nicht, nicht einmal in Norwegen selbst.

Das verbindet die Sami mit Minderheiten in anderen Ländern. Denen widmet man nicht die große Aufmerksamkeit.  

Das ist in Norwegen sicher immer noch besser als in Schweden. Und in Finnland ist der Anteil der Samen, die da oben an der norwegischen Grenze leben, relativ gering. In Schweden werden sie deutlich schlechter behandelt. Ihnen sind die Landrechte zugeschrieben worden, auch wenn das noch nicht so lange her ist. Aber die Herden sind dezimiert worden.

Per Helmy, Anna Sara aus der Serie from Heat to Lightness 2015, ©Per Helmy

Wie sind Sie denn überhaupt auf die Sami gekommen?

Ich habe in meiner Kindheit und Jugend viel gelesen, vor allem auch Reiseberichte. Da hießen die Sami noch Lappen. Das sagen sie sogar über sich selbst. Aber das wurde als rassistischer Begriff benutzt. Immerhin sind die Samen das einzige indigene Volk Europas. Zwar war ich früher schon mal bis Bergen gekommen. Aber den Kulturraum der Sami kannte ich überhaupt nicht. Dann hatte ich Rolf Legelund, den künstlerischen Leiter des Sami National Theaters, der Schwede ist, kennengelernt und mit ihm interessante Gespräche geführt. Der hatte zum Beispiel das Globe Theatre in Eis aufbauen lassen und darin Shakespeare-Stücke in samischer Sprache inszeniert. Das machte mich neugierig. Also sind wir gemeinsam hoch gefahren und haben uns dort Inszenierungen angesehen.

Was haben Sie gesehen und konnten Sie denn überhaupt davon etwas verstehen?

Ich hatte wirklich Glück. Es war die Premiere eines Stückes, in dem es darum geht, dass der damalige norwegische König eine Sami geheiratet und mit ihr vier Kinder gezeugt hat und sie beim fünften gestorben ist. Es ist die Geschichte einer großen Liebe. Der Stoff war mir sofort vertraut, da ich 2011 die Island-Buchmesse mit dem jetzigen NORLA Verantwortlichen Halldor Gudmundsson vorbereitet habe und es sich um eine alte isländische Vorzeit-Saga handelte.

Wie haben Sie denn die Sprache erlebt? War der Klang der Sprache nicht doch sehr fremd?

So eine finno-ugrische Sprache ist uns schon relativ fremd. Da gibt es nichts, was man auch nur erahnen könnte. Aber ich finde das auch wirklich gut, dass man mal andere Sprache als immer nur Englisch hört. Es ist doch ein großer Schatz, dass wir so viele verschiedene Sprachen mit ganz unterschiedlichen Reizen haben. Die Sprache der Sami war ja in Norwegen verboten und wird nun seit 1972 wiederbelebt. Bis dahin waren auch die Kultgegenstände verboten wie die samische Trommel. Als Mette-Marit ihren Kronprinz Haakon geheiratet hat, da trat die samische Weltmusikerin Mari Boine auf mit ihrem traditionellen Joik-Gesang. Das gab es zum ersten Mal in einer christlichen Kirche. Das hat damals viel Aufsehen erregt. Die Sami wurden christlich umerzogen. Man ging zum Christentum über, durfte aber die alten Götter beibehalten.

Blick auf das Foto von Máret Ánne Sara / Matt Lambert, Loaded – Keep hitting our jaws 2018, Foto: Petra Kammann

In Ihrem „House of Norway“ geht es sicher nicht nur um die Sami, sondern ja um sehr viele verschiedene Aspekte, um verschiedene Klimazonen, um ethnische Verschiedenheiten, die an verschiedene Landschaften gebunden sind. Wie haben Sie sich dem Thema angenähert?

Wenn man einen Blick auf die Landkarte wirft, dann besticht das Land durch unterschiedlichste Landschaften, unterschiedlichste Klimazonen und unterschiedliche Bevölkerungsdichten. Vieles konzentriert sich auf die Hauptstadt Oslo, die eine starken Gegensatz zu den ländlichen Gegenden bildet. Ich habe aber alle Provinzen wie die Telemark und die Finnmark bereist, weil ich eben wissen wollte, aus welcher Umgebung und aus welchen Lebensbedingungen heraus die Künstler und Gestalter schöpfen. Das war mir wichtig.

Beschreiben Sie doch mal die unterschiedlichen Gegenden.

Eine Großstadt wie Oslo hat so ein relativ mildes Klima. Der Süden und der Westen sind von Wäldern bedeckt. Und daneben gibt es die Küste. Und wenn man dann nach Bergen kommt und das Gebirge so richtig anfängt, sieht es wieder ganz anders aus. Dazwischen liegt dann noch Lillehammer. Bei Bergen trifft man dann auf die Hardangervidda, die größte Hochebene Europas, die selbst im Sommer mit Schnee und Gletschern bedeckt ist. Da bin ich mal mit einem Freund in vier Tagen durchgewandert. Dort gibt es alle 20 km Hütten, die mit Proviant bestückt sind. Da bedient man sich und hinterlegt seinen Obulus. Selbst im Juli sieht man an den Schneehängen dann die wilden Rentierherden. Weiter nördlich geht es über Trondheim an der Küste entlang nach Tromsø, der bedeutendsten Stadt Nordnorwegens, weiter oben liegt dann die erste Stadt im Gebiet, wo das Samische anfängt.

Wie macht sich das denn bemerkbar, wenn man dorthin gelangt?

Man merkt es an den kulturellen Aktivitäten. Die haben zum Beispiel alljährlich ein großes Outdoor- und Indoor Film-Festival in der Stadt und ein hervorragendes Museum für zeitgenössische Kunst, das Norsk Museum, in dem der jetzige Direktor auch samische Künstlerinnen und Künstler zeigt wie zum Beispiel die Textilkünstlerin Britta Marakatt-Labba. Sie hat die Geschichte des samischen Volkes in einen 24 Meter langen Fries aus Leinen verwoben und mit filigranen Motiven millimetergroß bestickt – mit winterlichen Birkenwäldern, braunen, schwarzen und roten Tierkörpern, mit Menschen mit roten Mützen, Rentierschlitten, Zelten, Gewässern, Wiesen, Häusern, Ställen, Kirchen, einem Parlament und dem Sternenhimmel. 2017 wurde dieser Fries auf der documenta 14 in Kassel ausgestellt.

Wie konnten Sie dieses Kunstwerk denn in Ihr Museum hinüberretten?

Dieser Teppich, der die komplette Geschichte der Samen darstellt, wurde schlicht abgefilmt. Diesen Film zeigen wir bei uns in einem Raum auf einem großen Bildschirm.

Weiter im Norden gibt es dann auch das samische Theater?

Von Tromsø aus ist man schon weit im Norden hoch nach Alta am Kafjord, um von dort aus in die Finnmark zu gelangen, dann braucht es vier Stunden mit dem Auto, um in die Tundra-Ebene, in diese Schnee-Tundra zu fahren. Das ist so eine Art Traumlandschaft. Wenn dann jeder kleine Ast an den eher niedrigen Bäume im Winter mit Schneekristallen ummantelt ist, funkelt und glitzert es nur so. Das ist traumhaft schön.

Sámi National Theater Beaivváš, Foto: Johan Mathis Gaul, ©Sámi National Theater Beaivváš,

Von dort aus geht es dann nochmal zwei weitere Stunden mit dem Auto durch leicht ansteigende Berge nach Kautokeno. In der Nähe, in Guovdageaidnu, befindet sich dann der Sitz des Sámi National Theatre Beaivváš (SNTB). Ja, dahin kommen die Besucher aus allen Gegenden, um Theaterstücke auf Samisch mit englischen Untertiteln zu erleben. Der künstlerische Leiter, Rolf Degerlund, ist international unterwegs. Der hatte zum Beispiel das „Globe Theatre“ aus Eis bauen lassen – aus Eisblöcken auf einem Fluss („Ice Globe Theatre“) – und darin Shakespeare-Stücke auf Samisch gespielt. Gerade plant er, das Kolosseum nachzubauen. Wir haben übrigens das samische Theater nach Frankfurt geholt, wo es die Geschichte des ersten samischen Schriftstellers Johan Turi erzählt.

Nochmal 100 km weiter kommt man dann nach Karasjok, der Stadt, in der das samische Parlament tagt und wo sich sich regelmäßig die Samen aus Finnland, Schweden und Russland treffen, wobei es auch um Landverteilung geht. Ich war einen Tag vorher dort. Da erlebt man ddie Samen in ihren unterschiedlichen Trachten, die wir in unterschiedlichen Formen auch im Museum präsentieren.

Kommen wir zum nordöstlichsten Punkt der Finnmark, nach Vardø, in der Insel Barentsee, wo der Schweizer Architekt Peter Zumthor das „Steilneset Memorial“ entworfen hat, zu dem die französisch-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois eigens einen Pavillon gebaut hat. Was war der Hintergrund?

In Vardø fanden im 17. Jahrhundert Hexenprozesse statt. Es gab nirgends in Europa mehr Hexenprozesse als dort, ganze 135 Prozesse, darunter 91 Verurteilungen zum Tode: 77 Frauen und 14 Männer wurden als Hexen und Hexer verurteilt, größtenteils blutjunge Norwegerinnen oder auch Samen. In der Festung gegenüber von der Insel lebte ein Kommandeur, der dem dänischen König unterstellt war und diesem besonders gefallen wollte. Daher war er unerbittlich und verfolgte die Hexen.

Was wurde den Hexen denn vorgeworfen?

Was ihnen vorgeworfen wurde, war die Verzauberung von Dingen, von Menschen oder Tieren, die krank wurden und starben. Daran hat man vor allem den Frauen die Schuld gegeben. Es ist zu vermuten, dass dieser Hauptmann es wohl selbst auf diese Jungfrauen abgesehen hatte. Und wenn sie nicht mitzogen, gab es die berühmte Wasserprobe: Sie wurden ins Wasser geworfen. Wenn sie oben schwammen, waren sie vom Teufel besessen, sonst wären sie ja wie ein Stein gesunken. Und ein Stein kann ja kein Teufel sein.

Wagner K überprüft die Hängung in den Raum, in dem das Memorial präsentiert wird, Foto: Petra Kammann

Wie haben Peter Zumthor und Louise Bourgeois diese grausame Situation denn umgesetzt?

Peter Zumthors Entwurf ist an die Konstruktion eines Holzgestells angelehnt, auf dem die Fische in der salzigen Meeresluft getrocknet werden. Sein „Monument“ besteht aus einer 120 m langen Holzkonstruktion, in die eine „Haut“ aus Teflon hineingespannt ist. Im Inneren des Gehäuses befindet sich dann ein Gang mit 91 Fenstern, die auf der einen Seite auf die Barentsee und die Festung zeigen, auf der anderen Seite zur Stadt hin. Vor jedem Fenster hängt eine Glühlampe. Das entspricht einer Tradition im Norden, Lichter in die Fenster zu hängen, um den Weg immer wieder nach Hause zu finden. Daneben befindet sich eine erinnernde Texttafel mit Gerichtsprotokollen, die jeweils einer/m der 91 Opfer zugeordnet ist. Das wurde von einer Historikerin aufgearbeitet. Damit man sich eine Vorstellung von den Dimensionen des Monuments in der dortigen Landschaft machen kann, haben wir auf die 2010 entstandenen Fotografien des Berliner Fotografen und Norwegen-Kenners Ken Schluchtman zurückgegriffen, die das Mahnmal aus verschiedenen Perspektiven in einem speziellen Licht zeigen.

Peter Zumthor / Louise Bourgeois, Steilneset Memorial 2011, Foto: Kenn Schluchtmann

Und wie sieht real der quadratische gläserne Pavillon von Louise Bourgeois aus? Muss man sich den konkret ganz transparent vorstellen?

Da wir uns hier in einer arktischen Landschaft befinden, wo man der Witterung ausgesetzt ist, sind die Fenster mit abgetönten Rauchglasscheiben versehen. Aber der Pavillon ist begehbar. In dem Betonring im Innern, der den Scheiterhaufen symbolisiert, züngeln Tag und Nacht Flammen, über denen ein Stuhl aufgebaut ist. Die Szene ist von Rundspiegeln umgeben, die auf die Flamme gerichtet sind, sie entsprechen gewissermaßen den fünf Richtern, die auf das Opfer auf dem Stuhl blicken. Wenn man also in den Raum eintritt, findet man gleichzeitig sein eigenes Antlitz darin wiedergespiegelt. Dieses eindrucksvolle Werk ist übrigens das letzte Werk von Louise Bourgeois.

Wie steht es denn mit der Architektur in der Finnmark? Gibt es da etwas Typisches? 

Da ja alles der Natur ausgesetzt ist, ist alles etwas kleiner. Man arbeitet vor allem mit Verschalungen. Holzdeckenschalungen, damit es drinnen mucklig warm ist. Auffällig ist, dass fast zu jedem Privathaus ein kleines Kunststück gehört, ein sogenanntes Lavvo, das man draufsetzt. Das entspricht dem kegelförmigen Zelt der Samen. Wenn man etwa zu Rentierzüchtern eingeladen wird oder mit ihnen zum Eisfischen geht, wird man im Anschluss in das Lavvo eingeladen. Darin ist es ziemlich verräuchert, weil es eine Feuerstelle gibt. Das hat aber auch etwas Geselliges. Denn es wird darin auch gejoikt. Der Joik, immerhin eine der ältesten Gesangstraditionen Europas, der einer Person, einem Tier oder einem Ort gewidmet wird, ist hier noch äußerst lebendig. Entsprechend klingen die Harmonien. Mitten in dieser Landschaft herrscht eben auch eine große Gastfreundschaft.

Und wie empfinden Sie das gegenüber den anderen Landschaften?

In der Telemark, viel weiter unten, im Westen oberhalb von Oslo, sind es vor allem die gewaltigen, teils finsteren Wälder, die Berge mit ihren tiefen Taleinschnitten, die einen schon beeindrucken. Wenn es hingegen so flach und die Vegetation nur so spärlich ist, hat man dafür die Weite des riesigen Himmels…

Ingrid Torvund, Seite des Skizzenbuchs, Foto: Ingrid Torvund

Da spielt doch sicher das Licht eine besondere Rolle?

Da ist das Spiel von Licht und Schatten besonders reizvoll… Ich mag besonders die Farbigkeit des Januarhimmels, wenn die Sonne noch nicht über den Horizont gekommen ist und man nur so eine Ahnung hat, wo sie sein mag. Da entsteht so ein milchiges Blau-Grau, durch das nur so ein leicht goldener Orange-Ton von der Sonne durchschimmert. Wenn das dann so über die Eisflächen strahlt, wirkt das ganz fein, wie aquarelliert.

Spiegelt dieses Licht sich nicht auch in dem Fries von Britta Marakatt-Labba?

Es gibt von ihr ja auch sehr subtile Aquarelle zu diesem Werk, wo sie als Skizze versucht, die Geschichte der Samen zu erzählen: die frühere nomadische Lebensweise, Einflussname wie auch die Unterdrückung. Aber sie fühlt sich besonders mit den Orten an der Küste verbunden. Die Seesamen, die vor allem vom Fischfang leben, waren natürlich an der Küste sesshafter als die Rentiersamen, ebenso die Waldsamen, die schon früher als die Bergsamen feste Wohnsitze hatten. Aber inzwischen hat sich ohnehin eine Menge verändert. So wird inzwischen der Schnee häufig mit Schneescootern geräumt. In Zeiten des Internet ist eben vieles moderner geworden. Auch, wenn man bedenkt, dass Rolf Degerlund gerade plant, das Kolosseum aus Eis zu bauen. Da macht die Globalisierung nicht halt.

Hat das in Ihren Augen nicht auch etwas spektakulär Touristisches, das in starkem Gegensatz zu vielem steht, was auch noch sehr archaisch wirkt? Der Schmuck, den Sie ausstellen, hat beides, etwas Archaisches und gleichzeitig etwas streng Modernes. Gibt es so etwas wie eine ganz eigene Ästhetik des samischen Kunsthandwerks?  

Das samische Kunsthandwerk Douji, das verwendet bestimmte Materialien und verlangt eine entsprechende Arbeitsweise. Wir haben ja historische Stücke dieses speziellen Kunsthandwerks und auch Stücke von zeitgenössischen jungen Kunsthandwerkern. Das unterscheidet sich kaum. Die bleiben sozusagen ihren Vorbildern sehr treu, was z. B. die Gravuren anbelangt oder die Form, wie bei den Messern, welche die Sami mit sich tragen. Sie benutzen das Messer bei vielen Gelegenheiten, um Trockenfleisch abzuschneiden oder das Lasso zu kürzen o.ä.. Gleichzeitig ist es auch ein Schmuck und gewinnt dadurch noch ein Mehr an Bedeutung. Man hat es immer bei sich und transportiert so die Tradition ins Heute, worüber sich eben auch immer wieder neu nachdenken lässt. Solche Gegenstände gibt es in den unterschiedlichen Landschaften. Das soll in der Schau zum Ausdruck kommen, aber nicht in abgegrenzter Form. Ich wollte bewusst mit der Mischung aus Kunsthandwerk und Design versuchen, überraschende Konstellationen zu schaffen, die zu einem neuen Sehen führen.

Prof. Matthias Wagner K in der Ausstellung im „House of Norway, Foto: Petra Kammann

Deswegen haben Sie auch auf einer Wand die Zeichnungenvon Edvard Munch mit den Gedichten platziert und auf der Rückseite die Entwürfe von Ingrid Torvund zu ihrer Film-Trilogie „Under Earth“?

An anderer Stelle zeigen wir die gesamte Trilogie als Film. Hier im Gebäude ist alles untereinander verbunden, steht aber nicht zwangsläufig nebeneinander. Graphisch entdecken wir die Trilogie noch mal in einer anderen künstlerischen Position, die für meine Begriffe gut die Munch-Zeichnungen ergänzen, gewissermaßen als eine Art gemaltes Storyboard.

Ingrid Torvund ist auch keine Samin, sie kommt aus der West-Telemark, wo sie auch ihre Filme gedreht hat. Aus den Geschichten, die man sich in dieser Gegend erzählte, wo archaische Symboliken und christliche Symboliken aufeinandertreffen, hat sie einen ganz eigenen Bildkosmos entwickelt, der viel mit den Orten zu tun hat,  an denen sie gedreht hat. Sie ist eher eine Ausnahme von dem, was aus der Finsternis, der Dunkelheit, geboren ist. Ich finde, sie passt gut zu Munch, weil Munch gerade in seiner Lyrik so etwas Tragisches hat und vom „Adler, der sich die Eingeweide ins Herz krallt“, spricht. Auch bei Torvund kommen die Erzählungen aus der Dunkelheit. Bei ihm drückt sich das lyrisch, bei ihr eben erzählerisch aus. Insofern ist die Kombination – Vorder- und Rückseite der Wand – speziell. Und Torvunds Werk begegnet man immer wieder mal im Haus in verschiedenen Konstellationen.

So haben Sie ja beispielsweise auch ihre Kostüme ausgestellt, die einerseits modern wirken, aber auch an Basler Fasnet-Kostüme erinnern.

Ja, das hat so ganz Vieles. Mit den merkwürdigen Ausbeulungen erinnert es auch an Marsanzüge. Anders als die traditionell samischen Kleider, die hier ja als wunderbare Fotos von Per Heimly präsent sind. Sie wollen die Tradition fortsetzen, während Torvund eine dezidiert zeitgenössische Künstlerin ist, was nichts mit Tradition zu tun hat.

Projektleiter des norwegischen Gastlandauftritts Halldor Gudmundsson (NORLA), Foto: Petra Kammann

Mit Halldor Gudmundsson konnten Sie an Ihre Island-Erfahrung anküpfen, so dass Sie auch Grund hatten, sich zu trauen, ein anspruchsvolles „House of Norway“ zu bauen. Nun kommt sogar die Kronprinzessin Mette Marit und besucht eigens Ihr Haus. Ist das die „Krönung“?

Natürlich ist das eine Ehre. Aber die ist nicht nur eine sehr sympathische und natürliche Person, sondern auch sehr design- und literaturaffin. Sie macht eben auch in ihrem eigenen Land öffentliche Lesungen und stellt da ihre Lieblingsautoren vor. Sie stammt wohl aus einem Literaturhaushalt. Und für mich war es eine wunderbare Gelegenheit, auf mir Bekanntes zu stoßen und dabei etwas Neues kennenzulernen.

War die documenta 14, an der auch sie teilgenommen hat, für Sie eine Quelle der Inspiration für die Vorbereitung der Ausstellung?

Da stieß ich halt auf Britta Marakatt-Labba, die ich gerne kennenlernen wollte. Da sie ja noch eine Professur an der Arts and Crafts-Schule von Kautokeino hat, konnten wir uns dann da zum ersten Mal treffen. Und dann beeindruckte mich Máret Anne Saras Installation „Gielastuvvon“ (deutsch: Gefangen). Die von der Decke herunterhängenden Schlingen, die an Galgen erinnern, zeigen eigentlich Lassos, die von Rentierhirten eingesetzt werden. Die Reihung muss wohl als Protest gegen die Einschränkung von Weideflächen und Tierhaltung durch die norwegische Regierung verstanden werden, denn was aus ökologischen Gründen geschieht, gefährdet aus Sicht der Samen die wirtschaftliche Existenz der Züchter.

Und Hans Ragnar Mathisen alias Keviselie, der wahrscheinlich so etwas wie ein Outsider-Künstler ist, hat diese quietsch-bunten Landkarten mit den samischen Begriffen entwickelt. Seine detaillierten Sápmi-Landkarten mit vielen Fischen, Vögeln und Rentieren haben allerdings keine Grenzen, während die Namen der Hügel und Landschaften vom Künstler in der Sprache der Sámi hineingeschrieben wurden, um die Sprache und die Kultur seines Volkes wieder zu beleben.

Norwegische Design-Klassiker im oberen Ausstellungsraum, Foto: Petra Kammann

Im oberen Stockwerk haben Sie dann noch einen Raum mit norwegischen Design-Klassikern eingerichtet? Finden Sie das vergleichbar mit schwedischem, dänischem und finnischem Design?

Da sind klassische Vintage-Stücke aus den Fifities und Sixties dabei, die nie so berühmt wurden wie die Objekte von Avar Aalto oder die der skandinavischen Kollegen. Das hat wiederum für die Jüngeren den Vorteil, wie zum Beispiel für Modedesignerinnen wie Edda Gimnes oder Glaskünstlerinnen wie Kari Molstad nicht so große Vorbilder im Rücken zu haben und sich daher freier entfalten zu können. Auch was das Möbeldesign anbelangt, man konnte freier sein, als wenn man sich ständig an so großen Vorbildern wie Alvar Aalto oder Marimekko aus Finnland abarbeiten muss. Die haben so starke Maßstäbe gesetzt, dass man das Gefühl hatte, aus deren Formensprache nicht mehr rauszukommen. Die vergleichbaren großen Designer aus Norwegen waren einfach nicht so bekannt.

Führen Sie das auf die Randlage Norwegens zurück, dass das in den 60er/70er Jahren des Skandinavien-Booms nicht bekannter wurde?

Es ist sicher nochmal eine Ecke schwieriger, nach Norwegen zu kommen als nach Schweden oder Dänemark, was halt deutlich näher am übrigen Europa liegt. So ein Architekt wie Sven Ferre hat eben auch in Schweden gearbeitet. Und selbst den kennen viele nicht. Vielleicht war man damals auch nicht so international unterwegs.

Modell der Villa Holme von Sverre Sven, Foto: Petra Kammann

Kommen wir zur Architektur. Sie haben auch einen Architekturklassiker in der Ausstellung als Holzhaus aufgebaut. Warum?

Ja, das Modell einer Raumecke von Sverre Fehn. Das ist ein komplett symmetrisches Gebäude, mit 50 Quadratmetern Grundfläche und mit den über Eck angeordneten Fenstern an allen vier Ecken und den Seitenwänden. Im Original sind die allerdings aus Backstein. Dabei hat Fehn sich an die Villa Rotonda von Palladio bei Vicenza angelehnt, die exakt den gleichen Grundriss hat. Nur, dass es sich bei Palladio um eine sehr große Villa handelt. Natürlich sind hier ganz andere Raumhöhen im Spiel. Exakt um die Mitte gruppieren sich in der Mitte des Hauses Küche und Bad und die anderen Zimmern symmetrisch. Ich wollte dieses Haus hier im Haus haben, um einen Unterschied aufzuzeigen. Während Architekten wie Richard Meier, in dessen Bau ja unsere Schau stattfindet, das Außen nach Innen holen wollte, ist es in der Villa Holme von Fehn genau anders herum. Da geht das Innen nach außen über diese Ecke, weil es nur an diesen Ecken Licht gibt. Ansonsten strömt das Tageslicht in der Mitte mit einem erhöhten Dach und einem Fensterband von oben ein und spielt so mit Licht und Schatten. Das Haus hat weniger Licht, und die Führung ist eher nach außen. Man kann auch diese Ecken mit 2,50 langen Schiebewänden wieder zuziehen und dann zwei Seiten komplette Lichtflächen öffnen. Das hat der Architekturkurator Markus Richter hier eigens in Holz nachgebaut.

Haben wegen der speziellen Lichtsituation die Norweger auch entsprechende Lichtsysteme entwickelt? 

In Oslo wäre so etwas möglich. In der Finnmark könnte man sich gar nicht so viel Licht leisten, da sind die Fenster automatisch kleiner. Ansonsten haben die Designer wohl eher an Leuchten gedacht, die man unten im Museum in einem Extra-Pavillon anschauen und sogar bestellen kann. Da gibt es dann zum Beispiel die Birdie als Re-Edition.

Welche Rolle spielt die Natur bei der Formgebung und greift das Thema Klimaveränderung auch so heftig in den Alltag?

Was Formgebung anbelangt, spielt das schon eine große Rolle. In Oslo selbst nicht so sehr, vor allem bei den Samis. Man denke nur an die Flechten in der Schneetundra, wie sie auf dem Stein sitzen. Darauf bezieht sich etwa die Schmuckdesignerin Regine Juhls.

Die Klimaveränderung ist – so glaube ich – noch nicht so richtig angekommen, außer in der kleinen Klanginstallation „Niemandsland“. von Frank Ekeberg. Da geht es um den Regenwald im Süden von Norwegen, wo 80 Prozent durch menschliche Eingriffe sowie durch die zunehmende Klimaerwärmung kaputt geht. Das hab auch in diesem Sommer erlebt. Da gab es Ausfälle wegen der Borkenkäfer.

Edvard Munch, A ford of prey has taken/ abode inside of me, Text und Zeichung aus: The Tree of Knowledge, ca. 1930 © Munchmuseet, Oslo

Was ist für Sie denn der größte Schatz in dieser Ausstellung? Sind es die Munch-Zeichnungen?

Ja, das ist schon Munch, weil dieser Munch noch nie gezeigt wurde.

Ärgert es Sie nicht, dass die große Munch-Ausstellung, die von Knausgard kuratiert wurde, nach Düsseldorf ins K20 abgewandert ist?

Die kannte ich schon von Oslo her und habe sie sogar der dortigen Museumsleiterin Susanne Gaensheimer vorgeschlagen. Die Zeichnungen habe ich selbst erst vor zwei Jahren entdeckt. Sie waren gerade digitalisiert: 8 000 Zeichnungen aus den Skizzenbüchern. Ich hatte vom Museum einen Link zu deren digitalem Archiv bekommen. Und dann stieß ich auf diese Textarbeiten. Jetzt geht es erst an die wissenschaftliche Aufarbeitung. Es waren eben auch lose Blätter, die dazugelegt waren, wobei ich die Vermutung habe, dass Munch darin so eine Sammlung anlegte, um sie als Vorbild für ein Buch mit all seinen Themen, die er darin nochmal aufgreifen wollte, zu verwenden. Dann habe ich stümperhaft angefangen, das zu übersetzen und dachte, das muss gute Lyrik sein – eine phantastische Lyrik. Die ist nun professionell von Ulrich Sonnenberg übersetzt worden. In dem Skizzenbuch befinden sich insgesamt 81 Blätter. Das fertige Buch wird man dann vermutlich zur Eröffnung des Munch-Museums im kommenden Frühjahr in Oslo zeigen. Ich empfinde es als großes Geschenk, dass uns die Möglichkeit gegeben wurde, das als erstes zu zeigen.

 

Das „House of Norway“ ist  bis zum 26. Januar 2020 im Museum Angewandte Kunst (MAK) in Frankfurt am Main, Schaumainkai 17, zu sehen. Idee und Konzept der Ausstellung stammen von MAK-Direktor Matthias Wagner K und von Sabine  Schirdewahn, Kurator ist Wagner K. 

Am 12. Oktober startete das Begleitprogramm mit der Deutschlandpremiere des samischen Theaterstücks „Johan Turi“ des Sami National Theatre Beaaivvas. 

Das Museumsrestaurant „Emma Metzler“ präsentiert für die Dauer der Ausstellung Spezialitäten der New Nordic Cuisine. 

Die Öffnungszeiten der Ausstellung sind: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr und Mittwoch von 10 bis 20 Uhr

 

 

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