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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Manon Lescaut“ in der Oper Frankfurt

Verhängnisvolle Schönheit – Leidenschaft und Vernunft

von  Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Joshua Guerrero (Chevalier Renato Des Grieux) und Asmik Grigorian (Manon Lescaut)

Nach 20 Jahren ist das Dramma Lirico „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini wieder auf der Frankfurter Opernbühne zu erleben. Was für ein Erlebnis!  Asmik Grigorian, Sängerin des Jahres 2019, und Joshua Guerrero als verhindertes Liebespaar, bieten ein Stimmenfest, das vom Publikum frenetisch gefeiert wurde ebenso die musikalische  Darbietung. Auch die Regie eines künstlerischen Leiters des Theaterkollektivs La Fura dels Baus, das vor 40 Jahren in Barcelona gegründet wurde, fand große Zustimmung.

Manon ist auf der Flucht. Ihre Eltern wollen sie gegen ihren Willen ins Kloster stecken. Flucht, Suche nach der Zukunft sind die Grundgedanken des Regisseurs Alex Ollé und seiner Mitarbeiterin Valentina Carrasco: für sie ist Manon eine illegale Einwanderin, die vielleicht Europa als Paradies der Glückseligkeit sieht. „Unser Heute ist schwindelerregend in den Abgrund der Zukunft getaucht.“ Das Vorspann-Video deutet bereits die Fluchtbewegungen, die derzeit unsere Welt bewegen, an. (Video: Emmanuel Carlier)

In Begleitung ihres Bruders kommt Manon mit dem Bus, der auch ganz real auf die Bühne fährt. Sofort von ihrer Schönheit fasziniert, umschwärmt sie der mittellose Student Chevalier Renato des Grieux. Sie fliehen, aber Lescaut, ihr Bruder, findet sie und lockt sie von Des Grieux weg in die Arme des wohlhabenden Geronte, der ein Etablissement mit Table-Tänzerinnen in Paris unterhält. Sie wird der Star und sie wird reich beschenkt mit Schmuck und Geld. Aber ihr fehlt die Liebe. Ihr Bruder weiß, wo Des Grieux ist und schafft ihn herbei. Es folgen Liebesschwüre, die beiden wollen fliehen. Manon will jedoch noch Schmuck und Geld zusammenraffen, als die Polizei  erscheint, um sie zu verhaften. Geronte hat sie angezeigt. Was folgt, ist die Ausweisung und Deportation nach Amerika.

Warum ausgerechnet nach Amerika? Als Antoine-Francois Abbé Prévost d’Exiles seinen Roman über Des Grieux und Manon veröffentlichte, das war 1731, da hatte Frankreich dort noch Kolonien. Regisseur Àlex Ollé lässt den vierten und letzten Akt in einem Grenzgebiet spielen, weil er überzeugt ist, dass Manon willens ist, alles daran zu setzen, um wieder nach Europa zurückzukehren. Mehrere Librettisten und Puccini selbst hatten sich über hundert Jahre später um den Text der Oper bemüht.

Donato Di Stefano (Geronte de Ravoir; links in beigem Anzug), Asmik Grigorian (Manon Lescaut) und Statisterie der Oper Frankfurt

Manon stirbt schließlich vor Erschöpfung, Durst und Verzweiflung. Als sie Des Grieux  wegschickt, um nach Wasser zu suchen und sie alleine ist, wird deutlich, dass ihre „Wüste das unendliche Gefühl der Einsamkeit ist [..] Manon stirbt als Opfer einer Entmenschlichung, die jede Landschaft verdorren lässt – eine Wüste der Liebe“ (Ollé im Programmheft). Ihren Weg in die Zukunft hat Manon nicht gefunden. Das Regieteam hat die alte Geschichte in die Gegenwart gesetzt. Mit Recht.

LOVE – dieses Wort beherrscht in dreidimensionalen Buchstaben übergroß die Bühne. Im ersten Akt stehen die Tische des Schnellrestaurants davor. Hier begegnen sich Manon und Des Grieux zum ersten Mal. Farbig prangen die Buchstaben im Nachtclub. Selbst im Gefängnisakt, der durch seine Drahtkäfige an Guantanamo erinnert, steht es im Hintergrund. Und im letzten Akt steht LOVE seitenverkehrt, dreht sich dann langsam und wird zur  Grenzmauer aus Beton. Ein starkes Bild, das sich der spanische Bühnenbildner Alfons Flores einfallen ließ. Unterstützt wird er durch vorzügliches Lichtdesign von Joachim Klein, der seit 1994 an der Oper Frankfurt arbeitet. Moderne, legere Kleidung, passend zum Fluchtgedanken und sexy für die Nachtclubszene, hat Lluc Castells entworfen.

Die Nachtclubszene empfand ich allerdings zu überladen. Ansonsten war es ein hoch interessantes, großartiges Regiekonzept.

Die Musik von Giacomo Puccini (1858-1924) klingt modern. Leitmotive kehren immer wieder, wunderschöne instrumentale Momente gibt es. Manchmal beginnen Bratsche, Cello, Geige, Flöte eine Passage. Eine andere Puccini-Klangwelt ist oft zu hören. Jede Figur hat eine eigene Tonfarbe. Man merkt, wie dem jungen Dirigenten Lorenzo Viotti und den Musiker*innen des Frankfurter Opern- und Museumsorchester die Musik gefällt. Manon berührt, ohne ins Larmoyante abzugleiten. Dass Manon und Des Grieux aus unterschiedlichen Verhältnissen kommen, das wird musikalisch deutlich, aber auch, wie sie sich annähern, vor allem im vierten Akt.

Was für ein Traumpaar steht der Oper Frankfurt  für diese Produktion zur Verfügung! Asmik Grigorian begeisterte bereits 2018 in „Iolanta“ . Die gebürtige Litauerin erhielt nicht nur den International Opera Award als „Beste Sängerin“ 2019, sondern auch die Auszeichnung als „Sängerin des Jahres“ (Opernwelt) für die Rolle der Salome bei den Salzburger Festspielen. Für die Rolle der Manon hätte sie ihn wieder verdient. Sie präsentiert sich als eine moderne junge Frau, selten locker, die durch ihre Zukunft bedroht ist. Ständig steht sie am Abgrund. Nur die Liebesszenen mit Des Grieux sind Lichtblicke. Nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihr natürliches Spiel kommen dieser Ausgangslage auf einzigartige Weise nach.

v.l.n.r. Iurii Samoilov (Lescaut), Joshua Guerrero (Chevalier Renato Des Grieux) und Asmik Grigorian (Manon Lescaut)

In Joshua Guerrero als Chevalier Renato des Grieux hat sie einen ebenbürtigen Partner. Der junge Tenor aus Las Vergas, wo er als Gondoliere sein Geld verdiente, debütierte 2016 an der Seite von Plácido Domingo an der Los Angeles Opera. Eine Entdeckung für Frankfurt, für Deutschland! Ungewöhnlich differenziert setzt er seine Stimme ein und ebenso sein Spiel. Ein realistisches Paar, das selbst denen gefällt, die mehr den italienischen Schmelz lieben. Ensemblemitglied Iurii Samoilov singt erstmals den Lescaut, den Bruder von Manon. Sein Bariton überzeugt in dieser zwiespältigen Rolle, während der italienische Buffobass Donato die Stefano, abermals an der Oper Frankfurt, Geronte di Ravoir, Besitzer des Nachtclubs, verkörpert, einen miesen Zuhälter, der jedoch recht brav gesungen wird. Im Restaurant, im Etablissement sowie im Gefängnis erlebt man die prägnanten Auftritte des Chors (Tilman Michael).

Der faszinierende, ans Herz gehende Opernabend „Manon Lescaut“ steht am 13., 18., 25., 27.,  Oktober,  am 2. und 15. November – danach Oper lieben – und am  23. November auf dem Spielplan.

Ein Besuch dieser Inszenierung ist für Liebhaber außergewöhnlicher Stimmen ein absolutes Muss!

 

 

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