home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Jahr danach: Die neue Altstadt in Frankfurt – alles andere als Disneyland

Die neualte Altstadt – Eine Erfolgsgeschichte

Von Uwe Kammann

Jetzt, mit dem Einzug des Lokalhelden Struwwelpeter in sein neues Museum, ist die Sache komplett. Denn die schöne Adresse „Hinter dem Lämmchen 2“ kann sicher jeder richtige Frankfurter sofort einordnen: Sie gehört zur neuen Altstadt. Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass im September – bei sanftem Herbst-Sonnenglanz – ein komplett neues Quartier eröffnet wurde: die neualte Altstadt. Hier, im Herzen der Stadt, zwischen dem Römerberg mit dem Rathaus und dem mächtigen Dom, finden sich seither drei Dutzend nagelneue Häuser. Für die allermeisten Besucher sehen sie alt aus. Sprich, sie haben zur einen Hälfte Fassadengesichter wie früher, zur anderen Hälfte nehmen sie in den Umrissen und mit ihren Steildächern die alte Formensprache auf, verbunden mit neuen Elementen. Schöpferische Nachbauten, so heißt das in der Fachsprache.

Ein Nebeneinander von alten und neuen Fassadengesichtern, Foto: Uwe Kammann

Zusammen ergibt diese Mischung ein verblüffendes Bild, weil man heute in den gebauten Bildern einer Zeit spazieren geht, die für immer als verloren galten. Weil hier, in der damals real sehr viel vielfältigeren „wirklichen“ Altstadt, kein Stein, kein Holzbalken stehengeblieben war, als ein Kriegsbomber die Stadt Frankfurt wieder und wieder angegriffen hat, am schwersten im März 1944.

Ob die Flaneure von heute davon noch eine Vorstellung haben, wenn sie durch die Gassen schlendern, in denen kein Auto fährt, so dass sie wie aus der Zeit gefallen scheinen?

Mittels einer App kann man sich Haus für Haus erläutern lassen, Foto: Petra Kammann

Wiederum, in der Eingangshalle des Doms, sind viele Besucher erkennbar erschüttert, wenn ihre Augen über das großformatige Foto schweifen, welches das damalige Trümmerfeld dokumentiert. Dann fallen Kommentare zwischen „unglaublich“ und „wie hat man bloß den Mut zum Wiederaufbau gefunden?“ Diese Erschütterung ist erkennbar über die Generationen hinweg, wenn die Großeltern ihren Enkeln erklären, was es mit den Bildern der Ruinen auf sich hat.

Im Eingangsbereich des Doms kann man die zerstörte Altstadt betrachten, Foto: Uwe Kammann

Was weder viele Frankfurter noch Touristen wissen: Bei diesem Kernbereich fand lange Zeit kein Plan Gnade, die Scheu vor einer falschen Entscheidung war größer als der Wunsch, das Herz der Stadt  – so wie etwa in Warschau – auch baulich wieder schlagen zu lassen. Lange prägte ein großer Parkplatz das Bild, dann, aus dem Deckel einer neuen Tiefgarage herausragend, ein Raster von Betonhöckern, vorgesehen als Träger für, ja was …?

Das änderte sich nur teilweise, als 1974 ein mächtiger Bau fertig wurde, dessen drei Türme im Stil des Beton-Brutalismus schnell als „Elefantenfüße“ geschmäht wurden. Als das darin beheimatete Technische Rathaus schon drei Jahrzehnte später als stark sanierungsbedürftig eingestuft wurde, waren (trotz einiger Liebhaber dieser gar nicht so alten Modeerscheinung) seine Tage gezählt.

Die postmoderne „Schirn“ aus den 80ern wurde über eine Pergola mit dem Krönungsweg verbunden, Foto: Petra Kammann

Gegenüber, zum Mainufer hin, war Anfang der 80er Jahre ein Kunst-Komplex entstanden, die „Schirn“. Auch sie, ein Kind der Postmoderne, wirkte eher ungeschlacht. Nicht ganz so ungeschlacht allerdings wie der scharfkantige Betonquader des Historischen Museums. Und, auch das gehörte zum Bild der Stadtmitte – der Schirn waren sechs Fachwerkhäuser vorgeblendet – eine Art vermittelnder Kompromiss als östliche Platzwand des Römers und damit ein erster (und ebenfalls von den Modernisten heftig befeindeter) baulicher Neubeginn mit einer an die historischen Originale angelehnten Rekonstruktion und häufig als Disneyland charakterisiert.

In diesem Rahmen entstand also das auf der Größe von zwei Fußballfeldern, was heute auf die meisten Betrachter so selbstverständlich wirkt, als hätte es schon immer dagestanden: die Rekonstruktion eines kleinen Teils der „alten“ Altstadt. In einer Mischung, die auch Neues einbezieht. Errichtet auf dem Deckel der großen Tiefgarage, die Ende der 60er Jahre im Zuge des U-Bahn-Baus entstanden war.

Hühnermarkt mit Stoltze-Brunnen und Struwwelpeter-Museum (hinten links) im Haus von Goethes „Tante Melba“, Foto: Petra Kammann

Allerdings, das nun scheinbar so Selbstverständliche war keineswegs unumstritten, als sich die Stadtverordneten Mitte der Zehnerjahre des neuen Jahrtausends für den Abriss des Beton-Rathauses und die Mini-Rekonstruktion von 35 Häusern (vor dem Krieg umfasste die Altstadt mehr als 1200 Häuser, vom Mittelalter bis zur Renaissance) entschieden. Denn dieser mit klarer Mehrheit gefasste Beschluss des Stadtparlaments stieß auf heftige Protest der Gruppierung, die lange Zeit weitgehend unangefochten die Deutungshoheit innehatte, was zeitgenössische Architektur und zeitgemäßen Städtebau angeht. Sprich: Nahezu die gesamte Architektenschaft, auch die Planungsfachleute und – begleitend – die Meinungsführer in den Feuilletons fanden die Vorstellung eines Wiederaufbaus in der Formensprache der Vergangenheit nur grässlich. Rückwärtsgewandt, spießig, kulissenhaft, geschichtsvergessen, so das Urteil. Die populäre Zuspitzung: Disneyland.

Nun war das keine neue Streitfront. Bei der Frauenkirche in Dresden, beim Berliner Schloss, bei anderen Projekten klang es ähnlich. Dass die Abstimmung mit den Füßen dann ganz anders lief und läuft, das schmerzt viele Architekten und den Theorie-Kreis immer noch. Jetzt, da das Deutsche Architekturmuseum eine Debatte um eine historische Rekonstruktion der nach dem Krieg bewusst schlicht wieder aufgebauten Paulskirche neu auflegt, bemüht ein Kritiker einer solchen (von der Mehrheit offensichtlich abgelehnten) Rekonstruktion als abschreckendes Beispiel wider die Altstadt. Doch ist dieser Theoriestreit  den vielen Besuchern des Viertels erkennbar egal.

Das Nebeneinander verschiedener Fassadenoberflächen ist reizvoll und die offene Tür lockt ins Café, Foto: Petra Kammann

Nachdem die erste große Welle der Neugier aus dem letzten Herbst abgeebbt ist, sieht man nach einem Jahr eine lebendige Mischung aus Besuchergruppen – oft fachkundig geführt mit Erläuterungen zum Konzept und zu den einzelnen Bauten – und jede Menge von Einzelspaziergängern, darunter erkennbar viele Einheimische: „Schau mal, hier war vorher nie ein Mensch“, hört man, und: „Toll, wie die das hingekriegt haben“, oder: „Wie schön, dass ich das noch erleben kann“. Alt-Frankfurter, umringt von Kindern und Enkeln, beim Wurst-Imbiss an einem Stand, welcher den früheren Fleischerläden (genannt eben: Schirn) nachgebildet ist: Das ist gang und gäbe. Vielerorts nach oben gerichtete Köpfe, Staunen, Innehalten, Vergleichen, Sich-Zurückwenden: Das gehört auf Schritt und Tritt zur neuen Alltagswirklichkeit.

Blick auf das reichverzierte Kaufmannshaus die „Goldene Waage“ – ein Publikumsliebling, Foto: Uwe Kammann

Publikumsstar ist dabei unbestritten das prunkvoll verzierte ehemalige Kaufmannshaus „Goldene Waage“. Dessen Nachbar ist zur einen Seite das mit einer hocheleganten Innentreppe aufwartende Museum des Heimatdichters Stoltze, zur anderen Seite das wegen seiner klaren Architektur vielgelobte Stadthaus, welches im offenen Untergrund die karolingische Urgeschichte der Stadt auf äußerst attraktive Weise veranschaulicht. Weil auch der Kunstverein, das neue Historische Museum, das gerade eröffnete Struwwelpetermuseum und die aufpolierte Schirn zum Areal gehören, ist die neue Altstadt auch kulturell ein wiedergewonnenes Herzstück der Stadt.

Auch das im vergangenen Jahr wiedereröffnete Historische Museum wurde in die Planung mit einbezogen , Foto: Petra Kammann

Auch die Inhaber der kleinen Geschäfte – die neben einem gehobenen Mix von Kaschmir bis Edelporzellan durchaus auch Normalbedürfnisse erfüllen, inklusive Reformhaus und Apotheke – sind in der großen Mehrzahl mit dem Gang der Dinge zufrieden. Das ergab eine aktuelle Bilanz der FAZ-Lokalreporter. Der Gastronomie, das ergibt der Augenschein, geht es ebenfalls nicht schlecht. Vom Weinhaus über das Café im absoluten Hingucker, der „Goldenen Waage“, bis zum Wirtshaus am Hühnermarkt (das sinnigerweise seinen Namen nach außen wie ein Geheimnis hütet).

Inzwischen sind die Gässchen belebt, Foto: Petra Kammann

Allerdings, ohne weitere Recherche gehen Medien auch gerne in die andere Richtung. Als Anfang Februar eine Boutique mit teuren Dessous aufgeben musste, roch die Presse sofort Lunte und verband genüsslich, wie die „Bild“-Zeitung, die Vokabeln „Edelviertel“ mit „Totalpleite“. Sofort war auch die „Hessenschau“ zur Stelle, um unkend anzudeuten, dass die neue Altstadt auf tönernen Füßen stehe.

Dolce farbiente in der Gastronomie, Foto: Petra Kammann

Auch da war wieder zu spüren, dass viele Medienvertreter eher im fachkritischen Hauptstrom mitschwimmen und im Streit der Modernisten und Traditionalisten eindeutig Position beziehen. Das war im Vorfeld der Bauphase ebenso zu erfahren wie bei der Eröffnung selbst. Denn da widmeten die „Tagesthemen“  dem Architekturtheoretiker Stephan Trüby viel Interviewraum, der mit einer steilen These aufgefallen war.

Danach nämlich ist diese Altstadt-Rekonstruktion ein Musterbeispiel für die „Architektur der neuen Rechten“, verkörpere sie doch den Willen einer verstockten Menge, die schwärzeste Phase der deutschen Geschichte vergessen zu machen („Das Frankfurter Heile-Geschichte-Gebaue soll einer scheinbar bruchlosen Nationalgeschichte zuarbeiten.“) Obwohl damals selbst die meisten Kritiker des Altstadt-Wiederaufbaus diese Behauptung als abstrus abtaten, legte der in Stuttgart lehrende Professor in diesem Sommer noch einmal nach und stellte das neue Frankfurter Viertel in eine faschistische Tradition. Seine Plattform für diese mehr als steile These – die mit eher kuriosen Beispielen bis ins Mussolini-Italien unterlegt war – war die Sommerausgabe der Vierteljahreszeitschrift ARCH+ (die allerdings schon immer einen Ansatz für sich beansprucht hat, Architektur unter gesellschaftskritischen Kriterien zu untersuchen).

Viele Gruppen zieht es zur „Goldenen Waage“, Foto: Uwe Kammann

Abgründige Diskussionsbeiträge im Sinne Trübys kamen in einer bestens besuchten Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt nicht vor. Sowenig wie die Stellvertreterdebatte, wonach moralische Erwägungen (Bombentrümmer als Zeichen geschichtlicher Schuld) zwingend eine Bau- und Denkmalsästhetik der „offenen Wunden“ erforderten.

Eine denkwürdige Leerstelle bei den vielfältigen Diskussion und der (Rück-)Schau auf die Altstadtentwicklung ist allerdings immer noch nicht gefüllt. Nämlich die Erörterung der Frage, warum auch heutige Menschen so stark angezogen sind von traditionellen Eigenheiten solcher Stadtformen.

Viele aufgeschnappte Bemerkungen geben ersten Aufschluss. Es dominiert die Lust an erkennbaren Räumen, am Lesen der Fassaden, am Entdecken von Details, am Deuten der Schmuckelemente, am optischen Abtasten der Vor- und Rücksprünge, am Genießen von variationsreichen Einzelformen, am Überfliegen der Farbstafetten, am Entziffern der Grammatik dieser in sich reichen Architektursprache. Zu der Materialen wie Stein, Putz, Holz gehören, denen oft die Spuren der Handbearbeitung noch anzusehen sind.

Vorsitzender des Gestaltungsbeirats: der Architekt Christoph Mäckler (rechts), hier mit Ex-OB Petra Roth und Planungsdezernent Mike Josef, Foto: Petra Kammann

Der Architekt Prof. Christoph Mäckler, der als Vorsitzender des für die Rekonstruktion der Altstadt eingesetzten Gestaltungsbeirats wesentlichen Anteil am jetzigen Formenkanon hat, schwärmt geradezu von dieser haptischen Verführung („So eine Oberfläche möchte man anfassen“).  Auch die „Zeit“, sonst eher skekpisch bis kritisch bei Rekonstruktionsvorhaben, lobt den handwerklichen Reichtum bei der jetzigen Ausführung.

Vor dem Hotspot Hühnermarkt, wo inzwischen Geschäfte, Cafés und eine Apotheke eingezogen sind, Foto: Petra Kammann

Bei Mäckler, der das jetzt in Frankfurt beheimatete Institut für Stadtbaukunst ins Leben gerufen hat, wird auch fündig, wer die inneren und äußeren Gesetzmäßigkeiten für einen Städtebau sucht, welcher die Menschen erkennbar anzieht. „Geborgenheit“ durch klar definierte und wohlprortionierte Stadträume mit erkennbaren Begrenzungen und jeweils erkennbaren Wänden mit eigenen Gesichtern, die Orientierung vermitteln und vertraute Eindrücke erzeugen: das gehört zu den Schlüsselbegriffen. Im gerade bei DOM publishers erschienenen Band „Stadtbaukunst“, der Mäcklers Lehre der letzten zwanzig Jahre vorstellt, ist all dies mit vielen Beispielen nachzulesen. Zahlreiche Bilder liefern genau jene Anschauung, die zweidimensional das zeigen, was die Frankfurter Altstadt im gebauten Status belegt: nämlich, wie beeinträchtigend  die städtebaulichen und architektonischen Defizite gemeinhin in den Nachkriegsgroßstädten sind.

Farbliche Anpassung an den so typischen Mainsandstein, Foto: Petra Kammann 

Denn all das, was für Mäckler zu den Grundvoraussetzungen für eine das Leben bereichernde Raumdefinition und Formensprache gehört, bietet die puristisch ausgerichtete, auf Abstraktion setzende moderne Architektur in der Regel nicht, vor allem dann nicht, wenn sie in uniformen Großformen auftritt, oft eitel, ohne Bezug zur Umgebung.

Begeisterung der Stadtoberen bei der Einweihung der neuen Altstadt vor einem Jahr, Foto: Petra Kammann

Diese Defizite werden inzwischen offener diskutiert. Nicht nur wegen des Publikumserfolgs haben inzwischen auch frühere Altstadt-Gegner – unter ihnen der Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) – ihren Frieden mit dem Projekt gemacht. Anfangs allerdings, als seine Amtsvorgängerin Petra Roth (CDU) sich die von einer großen Bürgermehrheit getragenen Argumente für einen historisierenden Wiederaufbau zu eigen machte und damit die Grundentscheidung mit großer Entschlossenheit auf den Weg der Realisierung brachte, hatte Feldmann zur Front derer gehört, welche das Projekt als nicht zeitgemäß ablehnten. Dass eine solche Kehrtwendung nicht nur von Feldmann, sondern auch von anderen früheren Gegnern auch öffentlich eingestanden wird, gehört heute, ein Jahr später, zu den größten Erfolgen dieser in Deutschland einzigartigen Neubau-Geschichte. Im einst erbitterten Streit um Sinn und Zulässigkeit von Rekonstruktionen bröckeln die Dogmen, ist ein rigides ,Ja‘ oder ,Nein‘ nicht mehr das Maß aller Dinge.

Dies alles allerdings kümmert die Normalbesucher des neu-alten Quartiers rein gar nicht. Sie schlendern – und staunen, immer wieder, immer anders. Alles in allem: ein kleines Wunder.

Weitere Infos über die neue Altstadt:

→ Das neue Stoltze-Museum in der Frankfurter Altstadt

→ Der Concept Store der Höchster Porzellan-Manufaktur von 1746 in der neuen Frankfurter Altstadt ist eröffnet

→ Die „neue Altstadt“ – das Herzstück des historischen Frankfurt

Große Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum – DIE IMMER NEUE ALTSTADT

→ Frankfurts „neue“ Altstadt für das Publikum eröffnet

Comments are closed.