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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kultur und Sprache: Zum Anlass des Internationalen Jahrs der Indigenen Sprachen

Jedem seine Sprache, auch in Frankfurt

von Gunnar Schanno

Auch die Museen sind in Frankfurt viele und sie sprechen ihre je eigene „Sprache“. Doch wenn sie sich auf ihre gemeinsame Basis berufen, sind sie „mehr“; Foto: Petra Kammann

Die Sprache gehört gewiss zum Charakteristischsten in den Merkmalen der physischen und geistigen Ausstattung des Menschen. Die Sprache als Phänomen des Menschlichen ist so überwältigend vielfältig in ihren Ausdrucksformen, wie es schließlich auch das Erscheinungsbild der Menschen in all ihrer Vielfalt ist. Für die Verortung der Sprache mag hilfreich sein, wiederum die Unterscheidung heranzuziehen zwischen kultureller Empfindungswelt und zivilisatorischer Rationalität.

In unserem Zusammenhang geht es freilich nicht um das, was Bibliotheken füllend über Sprache geforscht wurde. Es soll lediglich ein wenig nachgedacht sein – auch anlässlich des Internationalen Jahrs indigener Sprachen – wie uns umgebende Sprachenvielfalt, auf jeden von uns wirkend, ein individuell-kulturelles Empfinden schafft und was uns in all der Multikulturalität garantiert, dass keiner an je eigener muttersprachlichen Pflege gehindert wird. Dazu gehört dann auch die Frage, wie und warum sich dennoch alle unter dem gesellschaftlichen Dach einer einheitlichen Sprache finden können und sollen.

Das, was wir Globalisierung nennen, ergreift auch die Welt der Sprachen. Genauer gesagt und pragmatisch besehen ist es gesellschaftliche Offenheit, die das Verhältnis zur Vielfalt der Sprachen bestimmt. Vom Ursprung her stammt Sprache aus tiefsten Wurzeln ihrer jeweiligen Kultur. Darin bildet sie einen Corpus wie die Religion oder die Kunst als mächtigste Ausprägungen im Gesamtkorpus der Kultur.

Es ist doch auch so, dass aus säkular-zivilisatorischen Grundlagen, gebildet aus der Synthese wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie sie dann auch in empirisch-praktische Anwendung übergehen, menschenrechtlich grundierte Toleranz wächst. Es ist jene Toleranz, die uns in den Bürgergesellschaften so frei und selbstbestimmt leben lässt. Dieser Geist des Miteinanders umfasst auch die Gewährung unterschiedlicher Sprachsysteme im bürgerrechtlichen Gefüge des Staats.

Beispiel geben Stadtgesellschaften wie Frankfurt am Main mit weit über hundert Nationalitäten und mit wohl ebenso vielen Herkunftssprachen, die ein Miteinander in kommunaler Verträglichkeit leben. Warum nun wird also Frankfurt und freilich viele andere kommunale Gesellschaften weltweit mit ihren so unterschiedlichen vielsprachlichen Ethnien nicht zum Babel? „Frankfurt Babel“ hieß denn auch mal ein Bühnenstück mit jungen Migranten. Ein Babel der babylonischen Sprachverwirrung, wo nach biblischem Narrativ keiner mehr die Sprache des andern versteht, zur Strafe der Vermessenheit, einen Turm bis in Gottes Himmel bauen zu wollen?

„Das, was wir Globalisierung nennen, ergreift auch die Welt der Sprachen…“; Foto: Petra Kammann

Frage wie Antwort mögen banal scheinen und doch ist es hilfreich, beide in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen. Denn es ist ja nicht die Vielfalt der Kulturen, die Sprachenvielfalt garantiert. Nicht die Kultur als solche schafft ein Miteinander über Sprachgrenzen hinweg! Wir sagten ja, dass menschliche Einzelkulturen tief innerlich im Grundsätzlichen eher selten verträglich miteinander sind. Das konnte einst in Abgrenzung und Gegeneinander kultureller Gemeinschaften bis in die Dialekte von Dorf zu Dorf, von Stamm zu Stamm wirken.

Sprachenstreit oder Sprachunterdrückung wären Stichworte, die auch heute noch ihre Beispiele finden. Es ist nämlich der zivilisatorische Anspruch, der gesellschafts- und staatsbildend, über Dialekt- und Sprachgrenzen hinweg zwei Wege geht, durchaus auch in Mischformen: sei es in Richtung einer funktionalen Verkehrs- oder hegemonialen Herrschaftssprache.

Da gab es also den schlimmen Weg der Herrschaftssprache als Medium der Ausgrenzung kulturell unterschiedlicher, regionaler, ethnisch geprägter Sprachformen. Und damit einher ging die Verdrängung aus einer, sagen wir, hegemonial vom reichsschaffenden Gebietsherr vertretenen Einheitssprache im jeweiligen Herrschaftsraum.

Grundsätzlich aber gilt: Der zunächst berechtigt erscheinende zivilisatorische Anspruch war auf eine über allen Einzelsprachen stehenden Einheitssprache gerichtet – das römische Reich war frühes Beispiel. Die Restriktion des schlimmen Wegs bis in heutige Zeiten der Unterdrückung  gruppenbezogener Sprachen war denn auch stets Ausdruck der Furcht, dass regional-sprachliche Eigenständigkeit sich zur separatistischen Gefahr auswächst.

Und nach heutigem Verständnis gründet sich der Anspruch darin, für Gesellschaft und Staat eine übergeordnete Verkehrs-oder Amtssprache als gemeinsames Kommunikationsvehikel zu schaffen. Sie erst erfüllt die Aufgabe, als Medium die sprachliche Grundlage zu bilden für einheitliche Verwaltung, Bildung oder Gesetzgebung. Gemeinsame Sprache erst schafft im wörtlichen Sinne ein Verständlichmachen von Lebensbedingungen und Regelwerk  in einem gesellschaftlich-staatlichen Raum.

Nun ist es der konstruktiv-universell gültige Weg, wie ihn die UNO in ihren Grundsätzen des Rechts einer jeden Ethnie auf ihre eigene Sprache vorgegeben hat – aus Anlass der Sorge besonders auf indigene Völker bezogen. In unserem Gedächtnis mag auf einmal Indien erscheinen mit seinem geradezu unermesslichen kulturellen ethnisch-sprachlichen Reichtum.

Was würde aus Indien als staatliche Einheit ohne die während englischer Kolonialzeit ausgestattete Einheits- und Verkehrssprache, dem Englischen? Es muss nicht jeder im weiten Land des Englischen mächtig sein, aber die Akzeptanz aller über alle sprachliche Unterschiedlichkeiten und Grenzen hinweg geeinigt zu sein durch das, was einst seit mittelalterlicher Zeit die „lingua franca“ genannt wurde, verleiht dem Land im zivilisatorischen Sinne einen gewissen gesellschaftlich-demokratischen Konsens.

Kultur und Sprache gehören also zusammen. Wenn in der Bundesrepublik von Menschen anderer Sprachen das Erlernen der Sprache des Ankunftslandes geboten erscheint, so ist dies jedoch kein kultureller Akt, sondern ein zivilisatorischer! Er geschieht aus rationaler Funktionalität, allen Menschen in der Gesellschaft über das Medium einer einzigen gemeinsam-verbindlichen Sprache den Weg gemeinsamen Verstehens zu weisen. Sozusagen kognitiv verbunden damit soll gemeinsame Sprache ermöglichen, die Anerkennung der staatlichen Verfasstheit gleicher Rechte und Pflichten, wie sie das Grundgesetz vorgeben, einzufordern und auch Chance der Teilhabe garantieren am gesamtgesellschaftlichen Leben.

Die Erfahrungen nämlich, gerade auch in europäischen Gesellschaften, etwa Frankreich, England oder Belgien, dass Einzelkulturen im Land innerhalb der Gesamtgesellschaft auch ab- bis ausgrenzend und separierend sein können, tritt als das in Erscheinung, was wir Parallelgesellschaft nennen. Verstärkt wird die Tendenz zur Bildung parallelgesellschaftlicher Gemeinschaften durch das Hinzukommen einer weiteren mächtigen Kulturausprägung, wie sie besagte Religion darstellt.

Das Parallelgesellschaftliche entsteht im Moment des kulturellen Anspruchs, in je eigener Sprache und eigener Religion die eigene – verlassene – Heimat im Ankunftsland Land wieder erstehen zu lassen.

Im öffentlichen Diskurs, besonders hörbar in den vielen Talkrunden gerade auch in deutschen Medien steht dann nicht der kulturelle Anspruch des Rechts auf eigene Sprache (oder Religion) im Mittelpunkt, sondern, es lässt sich geradezu  nennen, der nicht-kulturelle Ansatz.

Diskutiert nämlich wird über zivilgesellschaftliche Prinzipien, darunter das Prinzip der Verbindlichkeit einer übergeordneten integrativen Einheitssprache für alle bürgerlichen Gruppen unabhängig von Sprache und Religion.

Sprachliche Kultur lebt im kulturellen Raum individueller Lebensgestaltung und somit im Gemeinschaftlichen, bis in die Familie hinein. Und gerade diese Sprachenvielfalt ist es, die ihren Schutz findet durch den gesellschaftlichen Verfassungsrahmen. Er nämlich – und nicht irgendein Kulturverständnis – enthält das zivilisatorische, universelle Prinzip des Rechts auf eigene Sprache.

Um aber einer Entwicklung innerstaatlicher Parallelgesellschaften entgegenzuwirken, erhebt der Staat, genauer seine Bildungsinstanzen, den gesellschaftlich-politischen Anspruch auf eine gemeinsame Sprachplattform für alle, auf dass sie in Stadt und Land an toleranzgeprägter Vielseitigkeit einer Zivilgesellschaft à la Frankfurt partizipieren können .

 

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