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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Carl Hagemann – leidenschaftlicher Sammler und großzügiger Mäzen

Ein erfülltes Leben inmitten von Kunst

Von Hans-Bernd Heier

Bildnis Dr. Carl Hagemann. 1928. Carl Hagemann, dargestellt von Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938): Bildnis Dr. Carl Hagemann, 1928; 121 x 90 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK

In der derzeitigen Ausstellung „Geheimnis der Materie. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff“ spürt das Städel Museum den Wechselbeziehungen zwischen Holzschnitt und Holzskulptur im Schaffen der drei Brücke-Künstler nach. Die beiden unterschiedlichen künstlerischen Medien verbindet das Material Holz, das aufs Engste mit der Kunst des deutschen Expressionismus verknüpft ist. Die Beschäftigung mit den Eigenheiten der unterschiedlichen Holzarten und den Möglichkeiten der Technik zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Œuvre. Die sehenswerte Städel-Schau vereint 98 Holzschnitte, 12 Skulpturen und 5 Druckstöcke.

Dabei konnte die Kuratorin Regina Freyberger weitgehend aus dem eigenen Fundus schöpfen. „Den Kern des heute außerordentlich reichen Bestandes expressionistischer Kunst im Städel Museum bildet die einst bürgerliche Privatsammlung Carl Hagemann. Diese wurde dem Kunstinstitut 1948 großzügig von den Erben als Schenkung überlassen und bis heute konsequent ergänzt. Das Städel Museum ist eines der wichtigsten musealen Zentren weltweit, an denen die Arbeiten auf Papier der Expressionisten in höchster Qualität und Dichte erfahren werden können“, betont Städel-Direktor, Philipp Demandt. Aus der legendären Hagemann-Sammlung kamen unter anderem auch Kirchners „Akt mit Hut“ und „Varieté“ oder Noldes „Christus in der Unterwelt“ ins Städel.

Kirchner, Ernst Ludwig,(1880-1938), Nackte Frau mit Hut. Um 1911, Öl auf Leinwand, 195,5 x 64,5 cm Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städelmuseum, Artothek

Carl Hagemann, 1867 in Essen geboren, war einer der wichtigsten deutschen Kunstsammler, Kunstförderer und Mäzene. Nach seinem tragischen Unfalltod 1940 – er wurde vor dem Frankfurter Hauptbahnhof von einer Straßenbahn überfahren – hinterließ der leidenschaftliche Sammler etwa 1.900 Kunstobjekte – darunter fast hundert Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Otto Mueller und Emil Nolde.

Doch was ist über die zurückhaltend lebende Person Carl Hagemann bekannt? Er wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen in Essen auf und studierte nach dem Abitur in Tübingen, Hannover und Leipzig Philosophie und Chemie. Nach seiner Promotion in Hannover trat er 1894 in die Farbenfabriken Bayer ein und machte dort schnell Karriere. Er entwickelte sich zu einem erfolgreichen Forscher und bezog aus seinen Patenten beträchtliche Tantiemen, die ihm zu Wohlstand verhalfen. 1920 wechselte er als Technischer Direktor zu den Farbfabriken Leopold Cassella & Co in Frankfurt. Nach deren Eingliederung in den I.G. Farben- Konzern im Jahr 1925 wurde Hagemann dort Mitglied des Vorstands. Kurz vor Erreichen des 65. Lebensjahres schied er 1932 plangemäß aus dem Vorstand aus.

Kirchner, Ernst Ludwig. Häuser auf Fehmarn. 1908, Öl auf Leinwand, 75 x 99,3 cm, Städel Museum Frankfurt a.M.Foto: Städel Museum, Artothek

Etwa um die Jahrhundertwende begann der Junggeselle Hagemann, Kunst zu sammeln. Anfangs kaufte er Grafiken damals beliebter Künstler. Ab 1910 wandte sich Hagemann den Malern der Brücke zu – beeinflusst von seinem Freund Ernst Gosebruch, dem damaligen Direktor des Essener Kunstmuseums. Besonders intensiv waren seine Beziehungen zu Ernst Ludwig Kirchner, wie fast 350 Briefe mit dem Künstler und dessen Lebensgefährtin bezeugen. Über die Jahre erwarb er von Kirchner 25 Gemälde und über 280 Arbeiten auf Papier, darunter auch zwei Porträts, die Hagemann selbst zeigen.

Auch mit anderen Brücke-Künstlern korrespondierte der Sammler eifrig, so mit Emil Nolde, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff, von denen Hagemann ebenfalls Arbeiten kaufte. Die Künstler schickten ihm kontinuierlich Werke zur Ansicht und Auswahl. So erwarb er je 17 Gemälde von Nolde und Schmidt-Rottluff sowie 10 Werke von Heckel.

Kirchner, Ernst Ludwig, Varieté. 1912/13, Öl auf Leinwand
151 x 120 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Kartothek

Dass der konservative Hagemann so intensiven Kontakt mit einigen Brücke-Malern pflegte, ja mit ihnen sogar befreundet war, überrascht zunächst. Denn unterschiedlicher konnten die Charaktere und Lebensverhältnisse kaum sein: In Dresden wandten sich die Gründungsmitglieder der Künstlergruppe „Brücke“, Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff 1905 enthusiastisch einem neuen Kunststil zu.

Mit ihrer Bildsprache und ihrer kritischen Einstellung gegenüber der traditionellen Malerei begründeten sie eine Bewegung, die als Expressionismus bezeichnet wird und die auch Ausdruck eines neuen Lebensgefühls wurde. Künstlerisches Arbeiten während längerer Sommeraufenthalte in der unberührten Natur gehörte zu den jährlichen Ritualen der Künstler. Ihre Lebens- und Arbeitsweise war alles andere als bürgerlich-konventionell und stieß in der Gesellschaft teilweise auf heftige Kritik und Ablehnung. Das störte den Sammler aus Neigung und Leidenschaft allerdings nicht.

Typisch für den Chemiker Dr. Carl Theodor Louis Hagemann, so sein vollständiger Name, war dagegen seine formal-korrekte Lebensart. Der erfolgreiche Manager achtete auf größte Ordnung in seiner Wohnung, für die seine Haushälterin Anni Dinkgraeve sorgte. Selbst im Urlaub war er niemals ohne Jackett und Krawatte zu sehen. Trotz der sehr unterschiedlichen Lebensart nahm der Sammler aus Neigung stets unmittelbar Anteil an dem Leben der Künstler und unterstützte sie großzügig. So erhielt der schwierige und labile Ernst Ludwig Kirchner, mit dem er bis zu dessen Tod 1938 befreundet war, zeitweilig ein monatliches Fixum von ihm, für das Hagemann sich Bilder aussuchte. Auch Heckel unterstütze er finanziell.

Dr. Carl Hagemann, Foto aus: Wikipedia

Als der Chemiker 1920 nach Frankfurt ging, um die Leitung der Farbfabriken Cassella zu übernehmen, war er so von seiner neuen Tätigkeit in Anspruch genommen, „dass darunter auch der Kontakt zu den Künstler merklich leidet. Seine Sammeltätigkeit geht jedoch weiter“, wie Hans Delfs in einer „Biografischen Skizze“ schreibt.

Im Jahre 1925 bezieht Hagemann als Vorstandsmitglied eine geräumige Villa an der Forsthausstraße (heute Kennedyallee). Wie sehr Hagemann seine Sammlung – insbesondere die Werke der Brücke-Künstler – in sein alltägliches Leben integriert hat, zeigt sich unter anderem darin, dass er sein großes Esszimmer als „Kirchner-Raum“ gestaltete und das Schlafzimmer als Schmidt-Rottluff-Kabinett. Kirchner, der sich im Schweizer Exil verstärkt der Textilkunst zugewandt hatte, erteilte er den Auftrag für einen großen Webteppich. Die monumentale nahezu quadratische Webarbeit „Das Leben“ (264 x 258 cm) war ursprünglich als mittig zu öffnender Vorhang für eine Tür in der Sachsenhäuser Villa geplant. Schließlich gelangte das farbintensive Textilkunstwerk, das heute ebenfalls in Städel-Besitz ist, in den Wintergarten.

Ausstellungsansicht der Schlemihl-Serie in der Ausstellung „Geheimnis der Materie“ im  Städel Museum, Foto: Petra Kammann

Hagemann wollte keineswegs ein anonymer Sammler bleiben. In seiner Heimatstadt Essen fand 1920 zum ersten Mal eine Ausstellung mit Werken seiner Kollektion statt. Später folgten Präsentationen mit Zeichnungen und Druckgrafiken im Wiesbadener Kunstmuseum und mit Gemälden im Städel Museum. Er beabsichtigte sogar, seine wertvolle Sammlung auf Anraten seines Freunds Ernst Gosebruch dem Folkwang-Museum, dem früheren Essener Kunstmuseum, zu überlassen.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der beginnenden Verfemung der Moderne sowie derer, die sie kauften und verkauften, förderten und ausstellten, fand sich plötzlich Hagemann als Sammler nunmehr „entarteter Kunst“ in einer geradezu prekären Situation: Auch Privatsammler waren keineswegs vor den Beschlagnahme-Aktionen der Nazi-Schergen sicher. Das musste auch Hagemann bitter erfahren: Drei von ihm gestiftete Werke fielen der Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer; so beispielsweise Derains „Blick aus dem Fenster“, das 1939 in der Luzerner Galerie Fischer versteigert wurde, und heute im Kunstmuseum Basel hängt.

Der Sammler machte sich nicht nur große Sorgen um die Zukunft „seiner“ Künstler, sondern auch um seine Kollektion. Wie berechtigt die Befürchtungen waren, machte Klaus Graf von Baudissan, Gosebruchs Nachfolger am Folkwang-Museum, deutlich, als er öffentlich drohte, auch die als entartet verfemte Kunst in Privatbesitz zu beschlagnahmen. Diese Drohung hielt Hagemann jedoch nicht ab, weiterhin Kunstwerke von den nunmehr Not leidenden Brücke-Künstlern zu erwerben. Die „Schlemihl-Folge“, die jetzt in der großartigen Städel-Schau einen eigenen Raum einnimmt, war vermutlich Hagemanns letzte Erwerbung.

Die kulturpolitische Situation im Dritten Reich spitzte sich erschreckend zu: Die als entartet diffamierten Bilder wurden systematisch aus den Museen entfernt und teilweise in der Hetz-Ausstellung „Entartete Kunst“ an den Pranger gestellt. In diesem hasserfüllten Umfeld sah Hagemann keine Chancen für den Zusammenhalt seiner Sammlung und Präsentation in einer öffentlichen Galerie. Er entschloss sich schweren Herzens, sein Testament zu ändern, und verfügte Ende 1937, dass seine Kunstsammlung zu gleichen Teilen seine drei Geschwister erben sollten.

Einige der Schätze aus Hagemann- Sammlung sind derzeit im Städel zu sehen. Unser Autor Hans-Bernd Heier schaut sie aufmerksam an, Foto: Petra Kammann

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kamen quälende Sorgen bei dem Sammler auf, dass bei einem Luftangriff seine Kunstwerke zerstört werden könnten. Direkt nach Hagemanns Tod im November 1940, kontaktierte sein Freund Gosebruch den damaligen Städel-Direktor Ernst Holzinger und bat um Hilfe. Holzinger bot umgehend an, die gesamte Hagemann-Sammlung in den Kellerräumen des Städelschen Kunstinstituts zu verstecken. Dabei ging er ein hohes persönliches Risiko ein, als er diese Werke später mit anderen Bildern des Städel auslagerte. Durch Holzingers mutigen Einsatz überstand aber die Sammlung den Krieg weitgehend unbeschadet.

Die Erben von Hagemanns Sammlung schenkten 1948 dem Städel die Grafiken und Zeichnungen als Dank für den außergewöhnlichen Einsatz in bedrohter Zeit. Die Gemälde und Plastiken dagegen befinden sich in Museen der ganzen Welt, zum Teil auch in Privatbesitz. Der große Wunsch des leidenschaftlichen Sammlers, seine Kollektion zusammenzuhalten, um sie in einem öffentlichen Museum zeigen zu können, erfüllte sich also nur teilweise.

In der großartigen Schau „Geheimnis der Materie“ sind noch bis zum 13. Oktober 2019 erlesene Holzschnitte aus Hagemanns Sammlung zu bewundern.

 

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