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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Geheimnis der Materie“ – Arbeiten auf und mit Holz im Städel Museum

Wechselbeziehungen zwischen Holzschnitt und Holzskulptur im Schaffen der „Brücke“-Künstler Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff

Von Petra Kammann

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Farbentanz, 1933, Farbholzschnitt von drei, teils zersägten Stöcken auf Japanpapier 502 × 354 mm (Druckstock), Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Städel Museum

Wenn im Frankfurter Städel, das ein herausragendes Konvolut an Druckgrafiken von Picasso in seinem Bestand aufbewahrt, am 30. Juni die hervorragende Ausstellung „Picasso. Druckgrafik als Experiment“ zu Ende geht, wird die aus konservatorischen Gründen selten zu sehende Geschichte der Druckgrafik an anderer Stelle im Museum weiterlaufen, nämlich in der oberen Etage des Peichl-Baus.

Hatte Picasso in seiner Spätphase ein vollkommen neuartiges Linolschnitt-Verfahren entwickelt, das es dem Künstler erlaubte, Bildmotive aus großen, strahlenden Farbflächen zu gestalten und hatte er damit dem farbintensiven Linolschnitt zu einer ungeahnten Blüte verholfen, so kann man sich jetzt in der Ausstellung „Geheimnis der Materie“ ein anschauliches Bild davon machen, dass es das Material Holz war, das die Expressionisten zu neuen Ausdrucksformen animierte.

Eingefärbte Druckstöcke von Ernst Ludwig Kirchners „Farbentanz“, 1933 Farbholzschnitt von drei, teils zersägten Stöcken auf Japanpapier 502 × 354 mm (Druckstock), Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: Petra Kammann

Kommen wir zunächst einmal zum Holzschnitt, der zu den ältesten grafischen Techniken der Bildherstellung zählt. Der Druckstock, bei dem eine meist dünne Holzplatte reliefartig geschnitten wird, ist dafür die Basis. Dieses Holzrelief wird anschließend eingefärbt und von Hand oder mit einer Presse auf einen Bogen Papier gedruckt. Nach dem Abziehen des Papiers vom Stock erscheinen die erhabenen Bereiche der Darstellung spiegelverkehrt auf dem Papier. Mithilfe mehrerer, auch zersägter Druckstöcke können dann verschiedene Farben neben- und übereinander gedruckt werden.

Die drei „Brücke“-Mitbegründer Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Erich Heckel (1883–1970) und Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976), die nach künstlerischer Erneuerung, sowohl nach mehr Authentizität als auch nach Unmittelbarkeit strebten, erkannten das ungemeine Potenzial, das in dem Werkstoff Holz steckte. Den Widerstand, den es beim Schneiden zu überwinden galt, wollten sie nutzen, um ihre ganz persönliche Ausdrucksweise herauszuarbeiten, weswegen die Künstler häufig ohne detaillierte Vorzeichnung ins Holz schnitten und mit den unterschiedlichen Holzarten experimentierten.

Durch den ungleichen Wuchs eines Baumstamms, durch Unebenheiten, wechselnde Färbungen oder verschiedene Härtegrade der Holzarten verändert sich das Material, es arbeitet, springt und weist Maserungen auf, das auch den Künstlern die Anregung gab, sich der Holzbildhauerei zuzuwenden. Man konnte ganz unmittelbar in alle Richtungen experimentieren, indem man die unregelmäßigen Linien und Maserungen aufgriff und unterschiedliche Farben auf die erhabenen Flächen auftrug. Da ein Stück unbehauenen Holzes zudem etwas Ursprüngliches hat, reizte es die Künstler, auch, aus einem schlichten und rohen Stück Holz eine Skulptur herauszuschneiden und sie ebenfalls anschließend zu bemalen.

Blick in die Ausstellung bei der Pressekonferenz mit Städeldirektor Philipp Demandt und Kuratorin Regina Freyberger, Foto: Petra Kammann

98 qualitativ hochwertige Holzschnitte, 12 Skulpturen und 5 Druckstöcke sind in der Ausstellung zu sehen, wobei ein Großteil der Werke aus eigenem  Bestand stammt, nämlich aus der legendären Sammlung und Schenkung des Essener Chemikers, Mäzens, Kunstförderers und Kunstsammlers Carl Hagemann, durch den unter anderem auch Kirchners Akt mit Hut und Varieté oder Noldes Christus in der Unterwelt ins Städel kamen.

Nachdem der Sammler nach seinem Unfalltod 1940 etwa 1900 Kunstobjekte hinterließ – darunter fast hundert Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Otto Mueller und Emil Nolde und anderen –, versteckte der damalige Direktor des Städel, Ernst Holzinger, die gesamte Sammlung, die im Dritten Reich als „entartet“ bezeichnet wurde. Dabei ging er ein hohes persönliches Risiko ein, als er sie mit anderen Bildern des Städel auslagerte. Auf diese Weise überstand aber die Sammlung den Krieg weitgehend unbeschadet.

Heute befinden sich Bilder aus Hagemanns Sammlung in Museen der ganzen Welt, zum Teil auch in Privatbesitz, während die Grafik und die Zeichnungen dem Städel 1948 als Dank für den außergewöhnlichen Einsatz in bedrohter Zeit großzügig als Schenkung überlassen wurde. Daher freute Städeldirektor Philipp Demandt sich ganz besonders darüber, dass man für diese Ausstellung aus dem Fundus des Städel schöpfen konnte, denn der „Kern des heute außerordentlich reichen Bestandes expressionistischer Kunst im Städel bildete die einst bürgerliche Privatsammlung Carl Hagemann… und, so Demandt, „wurde bis heute konsequent ergänzt.“ Das Städel Museum sei immerhin eines der wichtigsten musealen Zentren weltweit, an denen die Arbeiten auf Papier der Expressionisten in höchster Qualität und Dichte erfahren werden könnten.

Blick in die Ausstellung „Geheimnis der Materie“, Foto: Petra Kammann

Punktuell ergänzt wurde die aktuelle Schau durch kostbare Leihgaben aus dem Stedelijk Museum Amsterdam, dem Brücke-Museum Berlin und der Albertina Wien, nicht zuletzt durch einzelne Werke aus Privatbesitz und dem Nachlass Erich Heckels in Hemmenhofen. Doch habe man bei dieser Schau auf etwa 80 Prozent Städelbestand zurückgreifen können. Bestens präsentiert hat die engagierte Kuratorin Regina Freyberger die Werke der drei Künstler auf den pflaume-aubergine-farbig gestrichenen Wänden, welche die Farben und Unregelmäßigkeiten der Drucke besonders intensiv hervortreten lassen. Auch die ohne Passepartout gerahmten Holzschnitte bekommen so etwas ganz Unmittelbares und wirkend passend zu den unterschiedlichen Werken der drei Künstler, denen jeweils ein eigener Raum gewidmet ist.

Da wird etwa die ganze Bandbreite des ständig experimentierenden Künstlers Ernst Ludwig Kirchner auf der Suche nach neuen Formen und Farbzusammenstellungen sichtbar. Da Kirchner die Farbe auch oft mit dem Pinsel auf die erhabenen Stellen auftrug, und kein Abzug wie der andere ist, vermitteln die einzelnen Abzüge ein hohes Maß an Authentizität und zeigen die große Gestaltungsvielfalt Kirchners. Dabei zeigt er häufig den Menschen, der ständig in Bewegung ist, badend, sitzend, stehend, sich hinlagernd, sich räkelnd oder tanzend wie im berühmten „Farbentanz“, von dem außerdem drei Druckstöcke gezeigt werden.

Eindrucksvoll auch die ausdrucksstarke Dreidimensionalität seiner bemalten Holzskulpturen wie in seiner eindrücklichen Skulptur von „Mutter und Kind“ aus dem Jahr 1924, um die man herumgehen und von allen Seiten betrachten kann, um sie dann in ihrem ganzen Volumen und in ihrer ganzen Ausdruckskraft zu erfassen: das nach vorne drängende Kind, zu dem sich die eher nachdenkliche Mutter herabbeugt.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Kämpfe (Qualen der Liebe). Aus der Holzschnittfolge Peter Schlemihl nach Adelbert von Chamisso, 1915 Farbholzschnitt von zwei, teils zersägten Stöcken auf Löschpapier, 336 × 214 mm (Druckstock), Städel Museum, Frankfurt am Main Foto: Städel Museum

Ganz herausragend, häufig janusköpfig gestaltet, ist auch die kühne Holzschnittfolge von Kirchners „Peter Schlemihl“-Version, die er nach Adelbert von Chamissos Erzählung Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1813) geschaffen hatte, die für den Künstler während des Ersten Weltkriegs zum Gleichnis seines eigenen Identitätsverlustes wurde. In Chamissos Erzählung verkauft Schlemihl seinen eigenen Schatten, um auf ewig reich zu sein, wird dadurch aber auch zum Außenseiter der Gesellschaft.

Kirchner interpretiert Chamissos märchenhafte Erzählung als Geschichte eines „Verfolgungswahnsinnigen“, der seine „innerste Eigenart verkauft“, der sich verliebt, dessen Liebe aber unglücklich bleibt, und der aus der Gesellschaft ausgestoßen wird. Als ihm das graue Männlein begegnet, dem er einst den Schatten verkaufte, lässt sich sein Handel nicht mehr rückgängig machen, weshalb Schlemihl traurig durch die Lande zieht, dabei unverhofft seinem Schatten wieder begegnet. Es gelingt ihm aber nicht, den Schatten wieder an sich zu binden.

Blick in die Ausstellung mit der Schlemihl-Holzschnittfolge, Foto: Petra Kammann

Kirchners „Schlemihl“ endet eben nicht so versöhnlich wie bei Chamisso, wo Schlemihl zu guter letzt mit Siebenmeilenstiefeln um die Welt läuft. Stattdessen lösen sich bei Kirchner die ‚Farbflächen‘ immer stärker aus den Umrissen der Zeichnung des Druckstocks, bis die Komposition nur noch aus Farbe besteht und am Ende der Schatten selbst mehr ‚Substanz‘ bekommt als Schlemihl selbst, der sich schemenhaft auflöst.

 

Introvertierter, bisweilen auch zarter und unentschiedener dagegen wirken die Arbeiten von Erich Heckel, der sich als Autodidakt fast 15 Jahre mit den Techniken des Holzschnitts und der Holzskulptur auseinandersetzte und deren Besonderheiten ausprobierte. Noch stärker als in der Druckgrafik bedingte dabei der natürliche Wuchs des Holzes seine bildhauerischen Werke. „Das Ungewußte und das Ungewollte“, schrieb Heckel 1914 in einer Umfrage, sei „die Quelle der künstlerischen Kraft.“ Man könnte auch vom Zufälligen des Gegebenen sprechen, das man nur ergreifen soll.

Henkel, der zunächst vielmehr flächig und mit starken lebendigen Farbkontrasten arbeitete, veränderte seinen lebensbejahenden Stil nach seinem Umzug nach Berlin und verwandelt ihn zu einen spitzkantigen Expressionismus. Seit dieser Zeit sind seine Holzschnitte und Skulpturen sehr viel stärker von Skepsis, Melancholie und Trauer gekennzeichnet.

Ausstellungsansicht „Geheimnis der Materie. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff“, Foto: Städel Museum

Karl Schmidt-Rottluffs Schaffen wiederum war von 1911 an über 20 Jahre lang vom Holzschnitt geprägt, der für ihn das geeignete Medium war, dem Elementaren und Existentiellen nachzuspüren und seine erlebten Empfindungen ins Allgemeine zu übersetzen. Da bei ihm die vereinfachte Formensprache im Vordergrund stand, arbeitete er nahezu ausschließlich kantig und großflächig in Schwarz-Weiß. Auch experimentierte er nur wenig mit Farbe oder farbigem Papier. Umsomehr setzte er insbesondere die Maserung des Holzes gezielt als eigenes Gestaltungsmittel ein. Die Druckstöcke bearbeitete er hin und wieder als Reliefs weiter und sägte sie dann später wie Stempel auf das zu druckende Motiv zu.

Holzstock, Holzschnitt und Holzskulptur standen bei ihm – inhaltlich wie formal – in enger Wechselwirkung. Besonders eindrucksvoll sind seine scharfkantig verfremdeten Gesichter und Köpfe aus den Jahren des Ersten Weltkriegs, die teils an afrikanische Masken erinnern wie zum Beispiel sein Selbstbildnis oder seine monochrom und massig wirkende Skulptur vom „Arbeiter mit Ballonmütze“. Der Wucht des Faktischen, die sie ausstrahlt, kann man sich als Betrachter einfach nicht entziehen.

Von der künstlerischen Qualität der Ausstellung einmal abgesehen, gibt sie beste Einblicke in die Schaffensprozesse der drei „Brücke“-Künstler. Und wegen der Fragilität der Blätter wird man die besonderen Exponate sobald wohl nicht wieder zu sehen bekommen. Insofern empfiehlt sich in diesem Falle auch besonders der Kauf des von Regina Freyberger herausgegebenen exzellenten Katalogs „Geheimnis der Materie. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff“ aus dem Sandstein Verlag.

Ausstellungsansicht „Geheimnis der Materie. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff“, Foto: Städel Museum

Die Ausstellung geht bis zum 13. Oktober 2019. Weitere Infos unter:

www.staedelmuseum.de

 

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