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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„The Medium“ von Gian Carlo Menotti und “Satyricon” von Bruno Maderna

Spiritismus  und Dekadenz

von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Kontrastreicher konnte es nicht sein. Einzige Gemeinsamkeit der beiden Kurz-Opern, die am 15. Juni ihre Erstaufführungen in Frankfurt hatten: ihre Komponisten sind Italiener. Gian Carlo Menotti (1911-2007) studierte und lehrte bereits mit 22 Jahren in Philadelphia. Schon bald wurde seine erste Oper Amelia al ballo an der Metropiltan Opera gespielt. „The Medium“,  Menottis dritte Oper, 1946 in New York uraufgeführt, wurde später ein Renner.

Meredith Arwady (Madame Flora; am Lampenschalter ziehend) und Ensemble in „The Medium“

Sein Film, den er drehte, lief sogar in Cannes. Den größten Teil seines Lebens hat der Komponist in Amerika verbracht.  Die englische Sprache, in der er seine Libretti schrieb, zieht er der italienischen vor. „Ich bin ein Komponist mit einem italienischen Kopf und einem amerikanischen Herzen.“

„Satyricon“ ist die letzte Oper von Bruno Maderna (1920 -1973), einem der musikalisch-wichtigsten Komponisten der Nachkriegszeit und ein bedeutender Dirigent. Er wuchs in Venedig auf, wo er sich mit Unterhaltungsmusik beschäftigen musste, studierte in Rom Alte Musik, wurde als Soldat einberufen, schloss sich später den Partisanen an. Zurück in Venedig, regte ihn ein Dirigierkurs bei Hermann Scherchen an, nach Deutschland zu gehen, nach Darmstadt.

Dort gab es die legendären Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, 1946 gegründet, und heute noch in veränderter Form bestehend. Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Luciano Berio, Luigi Nono, Olivier Messiaen, Edgar Varèse waren die Komponisten in den Anfängen. Maderna hatte 1949 den ersten Kontakt zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, vierzehn Jahre später zog er sogar nach Darmstadt, wo er starb und beerdigt wurde.

Menotti schrieb sein Libretto für „The Medium“ selbst. Maderna, dessen Oper 1973 in Scheveningen uraufgeführt wurde, war begeistert von dem Text Satyricon des antiken Dichters Titus Petronius (um 14–66 n. Chr.). Er habe sich ausschließlich auf den Text des römischen Autors gestützt. „Mit anderen Worten: Der Text ist für mich das Wichtigste.“ Er liebe den Autor und seine unnachahmliche Art, eine Gesellschaft zu porträtieren.

Maderna hatte schon vor dem Krieg vor, die Oper zu schreiben. Seine Befürchtung, dass  Federico Fellini in seinem Film „Satyricon“  (1969) „eine ähnliche Vision wie ich entwickeln könnte“, war unbegründet. Fellini entfernte sich von der Pretonius-Vorlage.

v.l.n.r. Louise Alder (Monica), Meredith Arwady (Madame Flora) und Marek Löcker (Toby) in „The Medium“

In der zweiaktigen Oper „The Medium“ von Gian Carlo Menotti bereitet Baba alias Madame Flora mit Hilfe ihrer Tochter Monica und dem stummen Waisenjungen, den sie aufnahm, eine Séance vor und das, obwohl sie gar nicht an übernatürliche Kräfte glaubt. Ein Ehepaar (Barbara Zechmeister und Dietrich Volle) sowie eine Frau (Kelsey Lauritano) suchen den Kontakt zu den verstorbenen Kindern, was angeblich auch gelingt. Kinderlachen ist zu hören und der Ruf „Mother, mother are you there?“ Lachen und Worte wurden von Monica mit Tobys technischer Hilfe hervorgebracht.

Aber dann passiert etwas: Baba spürt plötzlich eine Hand, die sich um ihren Hals legt. Panisch schickt sie die Kunden fort. Nun glaubt sie, das Kinderlachen und die Worte „Mother, Mother are you there“ zu hören. Sie will wissen, ob Monica oder Toby die Hand um ihren Hals legten. Immer mehr gerät sie in Wut und peitscht Toby blutig. Die Kunden kommen wieder und bestehen auf dem Kontakt zum Jenseits. Baba erklärt ihnen, dass die Séancen inszeniert waren und gibt das Geld zurück.

Sie drängt die Kunden, aber auch Toby, der für sie zum Katalysator ihrer Ängste wird, aus dem Haus. Eine Katastrophe bahnt sich an.

Eine wahrhaft düstere Geschichte, die Regisseur Hans Walter Richter in einem verstaubten Raum spielen lässt. Hatte er sich an alten Hollywood-Filmen zum Beispiel an Alfred Hitchcocks Film „Rebecca“ (1940) nach dem gleichnamigen Roman von Daphne du Maurier orientiert? Wie im Film beherrscht die bedrückende Atmosphäre von Angst und Kälte die Inszenierung von „The Medium“. Baba und die Klienten, die auf der Séance bestehen, sie alle sind traumatisierte Menschen.

„Je besser ein Mensch in der Umwelt orientiert ist, desto weniger leicht wird er von den Dingen oder Vorfällen in ihr den Eindruck der Unheimlichkeit empfangen“, lautete die Einsicht des Psychoanalytikers Sigmund Freud.

Die amerikanische Altistin Meredith Arwady, die als Erda in Wagners „Ring des Nibelungen“ im Gedächtnis blieb, singt und spielt Baba geradezu fulminant. Wie sie zerfetzt durch Angst und Vorwürfe, aber auch brutal ausrastend, agiert, das ist einfach umwerfend.

Louise Alder als Monica versucht, die Mutter zu beruhigen. Ihr feiner lyrischer Sopran gibt der Rolle der Monica eine überzeugende, menschliche Größe. Wunderbar klar erreicht sie, die vor zwei Jahren in London ausgezeichnet wurde, die hohen Töne.

Nicht einfach ist die Rolle des Toby für Marek Löcker, der gerade die Schule mit Abitur abschloss. Er meistert sie auf beeindruckende Weise.

Kapellmeister Nikolai Petersen steht am Pult der kleinen Auswahl aus 14 Musikern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Sehr wuchtig beginnt die Musik, die eine Mischung von eigener und nachahmender Tonsprache ist. Puccini lässt gelegentlich grüßen.

Peter Marsh (Trimalchio; in der Bildmitte in goldenem Kostüm) und Ensemble, in „Satyricon“

Vierzig Minuten dauerte die Pause. Das ausschweifend-opulente, ‚verrückte‘ Bühnenbild für „Satyricon“ von Bruno Maderna begründet die Länge. Sofort wird die römische oder vielleicht auch heutige Dekadenz optisch auf den Punkt gebracht, nicht zuletzt  in den Kostümen von Cornelia Schmidt. Auch dieses Bühnenbild hat Kaspar Glarner, der durch seine letzte  Bühnenschöpfung für Arnulf Herrmanns Oper „Der Mieter“ unter der Regie von Johannes Erath begeisterte, entworfen. Auch für Regisseur Keith Warner war Glarner immer wieder aktiv.

Übrigens saß Keith Warner bei der Premiere im Publikum – vielleicht auch wegen Peter Marsh, der die mehr sprechende als singende Rolle des Trimalchio üppig umsetzte.

Peter Marsh und Keith Warner am 12.10.2014, Foto: Renate Feyerbacher

Der ehemalige Sklave ist zu Reichtum gekommen, ein Angeber schlimmster Sorte. Er hat Gäste eingeladen, um die er sich aber kaum kümmert, prahlt mit falschen Zitaten mit seinem Halbwissen, um seine neureichen Gäste zu beeindrucken. Gekonnt wird er und seine Gäste umtanzt von drei offensichtlich schwulen Slaven.

Ein schillerndes Werk – inhaltlich und musikalisch ganz anders als „The Medium“. Die 16 einzelnen Szenen lassen sich beliebig vertauschen. Den roten Faden zieht Fortunata, ehemals Hure, die Trimalchio aus der Gosse zog und zur Ehefrau machte.

Die Mezzosopranistin Susanne Gritschneder gibt ihr gelungenes Debüt an der Oper Frankfurt. Trimalchio möchte geliebt werden: zu Lebzeiten, aber auch wenn er tot ist. Comicähnlich lässt Regisseurin Nelly Danker, die auch erstmals an der Oper Frankfurt inszeniert, die Figuren überzeichnen, auch wenn es ihr um einen realistischen Kern geht.

Verschiedene Arten von Musik dienen der Übertreibung, dem Humor und dem Witz.

Die Musik hält Kapellmeister Simone Di Felice durchaus für eine italienische. Madernas Instrumente sprechen und streiten miteinander wie Italiener beim Festessen in einer Familie: lautes Durcheinander-Sprechen, keiner hört zu. „Es gibt eigentlich keinen Dialog, sondern viele Monologe gleichzeitig und trotzdem haben am Ende alle eine gute Zeit – meistens.“ So ähnlich geht es auch in „Satyricon“ zu. Diesmal sind es 18 Musiker, wobei das Schlagzeug kräftig mitmischt.

Das Publikum feierte beide Teams und das Orchester, das exzellent musizierte.

Weitere Vorstellungen am 22., 24., 27. Und 29. Juni 2019 im Bockenheimer Depot

 

 

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